Wie viel Wohlstand wird es noch sein?

Die Inflationsrate betrug im Mai 2022 in Deutschland 7,9 Prozent, mehr als seit 40 Jahren. Das Problem wird nicht einfach durch Ausgleichszahlungen des Staates zu lösen sein. Es ist auch eine Frage der Haltung: Wie viel Verzicht wird nötig sein?

Bild: soupstock, Stockadobe
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Woran merkt man im Alltag, dass Inflation herrscht? Ganz einfach: wenn du mit dem Auto zum Supermarkt fährst und dort die Dinge kaufst, die du immer kaufst, aber dann kein Geld mehr hast, um die Heizkosten zu bezahlen. Weil schon das Benzin für die Fahrt viel mehr kostet und das Essen ebenso. Sonnenblumenöl: 36,7 Prozent. Butter: 31 Prozent. Rinderhackfleisch: 31,7 Prozent. Nudeln: 24 Prozent, lauten da die Teuerungsraten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Kein Wunder also, dass sich laut aktuellen Umfragen die rapide steigenden Preise den Menschen in Deutschland zurzeit mehr Sorgen machen als alles andere. Selbst der Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie stehen dahinter zurück.

Die Inflationsrate betrug im Mai 2022 in Deutschland 7,9 Prozent, meldet das Statistische Bundesamt. Damit liegt die Inflationsrate in Deutschland sogar noch etwas höher als im April 2022, in dem bereits die höchste Inflation seit der Wieder­vereinigung vor mehr als 30 Jahren gemessen wurde. Per Definition handelt es sich bei einer Inflation stets um einen anhaltenden Prozess, also keineswegs um kurzfristige Schwankungen im Preis einzelner Produkte. Vereinfacht verliert bei einer Inflation das Geld an Wert, da das Preisniveau innerhalb einer Volkswirtschaft steigt. Klingt zunächst ziemlich theoretisch, ist aber für viele Menschen sehr konkret spürbar. Denn eine Inflation führt zwangsläufig dazu, dass sich die Menschen für ihr Geld weniger leisten können.

Dies wiederum hat vielfältige Folgen. Meist mit dem Effekt des Hochschaukelns. Es entsteht beispielsweise eine geringere Nachfrage, die Unternehmen aus Kostengründen dazu zwingt, ihre Preise weiter zu erhöhen. Oder die Lohn-Preis-Spirale: Da die Unternehmen ihre Preise erhöhen, fordern Arbeitnehmer höhere Löhne. Daraufhin erhöhen die Unternehmen wieder ihre Preise, die Lohnforderungen werden wieder höher und die Inflation steigt weiter.

Die repräsentativen Umfragen zeigen: Zwei Drittel der Befragten haben zuletzt mehr Geld für Lebensmittel ausgegeben, 61 Prozent mehr für Benzin und Transportkosten, sowie für Energie. Die Folge: Fast jeder Dritte hat seinen Konsum in anderen Bereichen eingeschränkt. Gespart wird vor allem bei Ausgaben für Kosmetik, bei Bekleidung, Entertainment und Reisen. 

Dadurch sind besonders Branchen betroffen, die bereits durch die Pandemie sehr stark gelitten haben. Laut Umfragen schränken sich die Leute in Bereichen ein, für die sie mit abflauender Pandemie eigentlich wieder mehr Geld ausgeben wollten – etwa bei Restaurantbesuchen, Hotelübernachtungen und Events.

Fast zwei Drittel der Verbraucher haben laut Umfrage angesichts der steigenden Preise bereits damit begonnen, ihr Einkaufsverhalten zu ändern: etwa durch den Umstieg auf billigere Handelsmarken oder den häufigeren Einkauf beim Discounter. Über die Hälfte der Befragten gab außerdem an, zuhause bewusster mit ihrem Energieverbrauch umzugehen. 

Die Bundesregierung hat im März ein Paket geschnürt, um die Menschen angesichts der stark gestiegenen Energie- und Spritpreise zu entlasten. Darin enthalten ist auch eine auf drei Monate befristete Senkung der Energiesteuer, die den Liter Benzin um 30 Cent und Diesel um 14 Cent günstiger machen soll. Zudem erhalten Arbeitnehmer einmalig 300 Euro Energie­zuschuss auf ihr Bruttogehalt und Familien pro Kind 100 Euro Bonus auf den Kinderfreibetrag. Okay, das Energiegeld entlastet immerhin Arme stärker als Reiche. Allerdings sollen es nur Erwerbstätige bekommen. Nicht aber Rentner. Oder Studierende. Das hat für Unmut gesorgt (und sich womöglich in den Ergebnissen der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen niedergeschlagen, besonders für die FDP). Denn auch Rentner und Studierende müssen einkaufen und ihre Gasrechnung bezahlen.

Der Anstieg der Inflation bedeutet einen Wohlstandsverlust, den der Krieg in der Ukraine und seine geopolitischen Auswirkungen mit sich bringen. Der Staat kann die Knappheit der Dinge kurzfristig nicht beseitigen und die Unsicherheiten an den Märkten nicht stoppen. Siehe die Abhängigkeit von russischem Gas. 

Aber es geht ja auch um mehr. Es geht um eine Haltung, nicht nur zum Krieg in der Ukraine und gegenüber dem Handelspartner China, der zuletzt aufgrund seiner Corona-Strategie für einen Container-Stau sorgte, der wiederum größte Auswirkungen auf deutsche Wirtschaftsbereiche hat. Es geht auch um die Frage, wie viel Wohlstand noch nachhaltig möglich ist. Oder umgekehrt gesagt: Auf wie viel Wohlstand man in Deutschland verzichten muss, um eine Phase der Transformation zu gestalten. Okay, den Kasten Bier im Supermarkt mit dem Fahrrad abzuholen ist schwierig. Aber nicht unmöglich.