Wenn Wunschdenken nur so wuchert

Es soll „keine Denkverbote“ geben und außerdem alles der „Vernunft“ gehorchen.Aber eben weil Denken nicht verboten sondern geboten ist, geht so mancher Vorschlag in die Irre.

Wir gehen jede Wette ein, dass zwei Begriffe immer dann auftauchen, wenn ihr Gegenteil wahr ist: „Vernunft“ ist der eine, „Denkverbot“ ist der andere. Letzteres darf es auf gar keinen Fall geben, weil nämlich die „Vernunft“ immer und von jedem (m/w/d) dafür in Anspruch genommen wird. Ein schönes Beispiel hat dafür Wolfgang Kubicki geliefert, als er sich für die sofortige Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 aussprach. Vordergründig war seine Argumentation durchaus plausibel. Wem aber das Denken nicht verboten ist, hat trotzdem gemerkt, was an diesem Vorschlag nicht stimmte.  

„Wir sollten Nord Stream 2 jetzt schleunigst öffnen, um unsere Gasspeicher für den Winter zu füllen“, sagte Kubicki dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Es gebe „keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen“. Da hat sich der FDP-Vize gleich mal rausgenommen, jede andere Entscheidung als unvernünftig zu geißeln. Aber gut, folgen wir erstmal seiner Argumentationskette: Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin dann doch nicht mehr Gas liefere, habe Deutschland nichts verloren. „Kommt auf diesem Weg mehr Gas bei uns an, vielleicht sogar die komplette vertraglich zugesicherte Menge, wird das helfen, dass Menschen im Winter nicht frieren müssen und unsere Industrie nicht schweren Schaden nimmt“, sagte Kubicki. Dafür zu sorgen, sei oberste Pflicht der Bundesregierung, fügte er an. Genau aus diesem Grund seien andere Pipelines aus Russland ja nicht gekappt worden. „Wenn die Gasspeicher gefüllt sind, können wir Nord Stream 2 ja wieder schließen – und die anderen Pipelines auch, wenn wir unabhängig geworden sind. Aber das sind wir nun mal noch nicht“, so Kubicki.  

Klingt doch überzeugend, geradezu, nun ja: vernünftig. Wenn es denn „keine Denkverbote“ gibt, dann ist auch Wunschdenken erlaubt. Wie schön ist ja auch der Wunsch, der hier Vater des Gedankens ist: Kleiner Kniefall vor Putin, und schon schickt der genügend Gas rüber, dass wir Deutschen weder frieren noch wirtschaftlich darben müssen. Wir wären quasi im Paradies, während in der Ukraine die Hölle auf Erden herrscht. 

Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen dem auf diese Weise von Wolfgang Kubicki herbei gewünschten Paradies und der Hölle des Krieges.  Und der heißt: Putin. Warum sollte Putin denn die Träume des Herrn Kubicki erfüllen und reichlich Gas durch Nord Stream 2 schicken? Klar würde er es geradezu genießen, wenn Deutschland vor ihm einknicken und die neue Pipeline öffnen würde. Aber noch schöner wäre im Nachgang ja für Putin, dass er dann wieder Gründe findet, warum trotzdem kein Gas nach Deutschland kommt. Nach dem Motto: Ihr habt schön geschleimt, aber dafür bestrafe ich euch noch mehr! Denn Putin hat kein Interesse an einem Paradies in Deutschland. Gerade weil sich der Krieg in der Ukraine nicht nach seinen Vorstellungen entwickelt hat, will Putin unbedingt die Einheit des Westens und somit die Unterstützung für die Ukraine zerstören.  Er will frierende Deutsche, er will Unruhen, er will  jeden Widerstand brechen. Gas durch Nord Stream 2 käme niemals an.

Ein Wunschdenken, das unrealistisch ist, mag noch angehen. Ein schwerer gedanklicher Fehler ist es jedoch, wenn Kubicki sagt, Deutschland „habe nichts verloren“, wenn Putin dann doch kein Gas liefere. Deutschland hätte sich dann  nicht nur der Lächerlichkeit preisgegeben, sondern sich allein mit dem Versuch von seinen Partnern im Westen isoliert. Das wiederum könnte nur Putin goutieren, dessen Kalkül dann aufgegangen wäre.

Wenn Wunschdenken nur so wuchert, kann es schweren Schaden anrichten. Das Schlimme ist nämlich, dass Kubickis Vorschläge genau das in sich tragen, was die Misere für Deutschland überhaupt erst angerichtet hat. Über Jahrzehnte war man dem ach so vernünftigen Gedanken erlegen, dass günstiges Gas aus Russland nicht nur prima für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei, sondern auch noch ein „Wandel durch Handel“ in Putins Denken herbeigeführt würde.

 FDP-Chef Christian Lindner über Kubickis Vorschlag: „Wolfgang Kubicki formuliert zumeist, was common sense unter Liberalen ist, auf besonders geländegängige Art. Vereinzelt sind darunter aber Positionen, die nicht common sense sind, sondern Nonsens.“