Vorahnungen und Visionen stiften Verwirrung

Weil er „Warnsignale von Weimar“ spüre, schlägt CSU-Chef Söder Kanzler Scholz eine „Regierung der nationalen Vernunft“ vor. Friedrich Merz würde dabei nix gewinnen.

Markus Söder plagen üble Vorahnungen. Er spürt „beginnende Warnsignale, wie wir sie in Weimar erlebt haben.“ (Na ja, „erlebt“ hat Söder das persönlich wohl eher nicht, wenn er nicht ohne unser Wissen auf die Hundert Jährchen zugeht). Und wenn einer wie Söder Vorahnungen hat, dann sind natürlich auch die Visionen nicht fern. Also hat Söder Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefordert, die Ampelkoalition zu beenden und eine „Regierung der nationalen Vernunft“ zu bilden. Explizit sprach er davon, dass CDU und CSU bis zur nächsten Bundestagswahl auch als Juniorpartner in einer solchen Regierung zur Verfügung stehen sollten. Preisfrage: Wusste CDU-Chef Merz auch davon, dass er dann den Vizekanzler geben soll? Oder beginnt mit diesem Manöver von Söder nicht schon wieder der große Tanz der Union um die K-Frage? 

 
Natürlich hat Markus Söder hier keine feinen Absichten in Bezug auf die amtierende Bundesregierung hinterlegt. Seiner Meinung nach, so sagte Söder, sei „die Ampel stehend k. o.“, sie habe nicht mehr die Kraft, die gewaltigen Probleme, etwa bei der Migration, zu lösen. „Unser Land steht vor großen Problemen, die Demokratie vor ihrer schwersten Bewährungsprobe“, sagte Söder. „Die Fliehkräfte aus dem Zentrum der Demokratie verstärken sich.“ Der bayerische Ministerpräsident verwies dabei auf die Wahlergebnisse und Umfragewerte der AfD und die bevorstehende Gründung einer neuen Partei durch die bisherige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (siehe auch Seite 13). Als er dies alles vorbrachte, war die Landtagswahl in Bayern bereits vorbei, ohne dass Söder dort verhindern konnte, dass die „Fliehkräfte aus dem Zentrum der Demokratie“ verdächtig oft in den Bierzelten rund um seinen Mitregierenden Hubert Aiwanger zu bewundern waren, der übrigens dann auch Ambitionen äußerte, seine Freien Wähler bundesweit ins Rennen zu schicken.

Wieso ist Söders Vorschlag eine Provokation für CDU-Chef Friedrich Merz?

Aus Kreisen der CSU hieß es zwar, Söder habe mit Merz über seinen Vorstoß gesprochen. Doch auf viel Begeisterung scheint er dabei nicht gestoßen zu sein. Merz hatte auf dem letzten CSU-Parteitag zwar mit Blick auf den Kanzler und die Migrationspolitik gesagt: „Wenn Sie es mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen, aber wir müssen dieses Problem lösen!“ So konnte sich Söder mit seinen Visionen auf diesen Auftritt von Merz vor der eigenen Haustüre berufen. Doch aktuell hieß aus dem Umfeld von Merz zu Söders Vorstoß nur: „Es gibt eine Bundesregierung. Diese Frage stellt sich jetzt nicht.“ Denn Söder konterkariert die bisherige Linie der CDU, die zwar ebenfalls vergiftete Angebote an Scholz macht, aber dabei eigentlich im Sinn hat, dass die Ampel (an den Grünen) zerbricht. Generalsekretär Carsten Linnemann sagte erst kürzlich:„Wenn sich diese Bundesregierung nicht zusammenrauft und zerbricht, geht kein Weg an Neuwahlen vorbei.“

Sich Scholz als Juniorpartner anzubieten ist außerdem das glatte Gegenteil dessen, wie Friedrich Merz sich sieht. Darin liegt eine offene Provokation von Söder gegenüber Merz. Denn man darf durchaus voraussetzen, dass Söder selbst auch nicht gerne den Vizekanzler unter Scholz geben will. Und darin sind sich Merz und Söder sogar emotional einig: Der Große kann nicht unter dem Kleinen dienen. Also, nicht nur nach Zentimetern an Körpergröße.

Wie haben eigentlich Kanzler Olaf Scholz und „seine“ Ampel-Parteien reagiert?

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte auf die Frage, was der Bundeskanzler vom Vorstoß Söders halte, nur ein Wort: „Nichts.“

Es sind allerdings laut Politbarometer nur noch 32 Prozent der Wahlberechtigten mit der Bundesregierung zufrieden – und damit so wenige wie nie zuvor in dieser Legislaturperiode. Auch die Arbeit des Kanzlers wird mehrheitlich schlecht bewertet. Allerdings sind trotzdem 71 Prozent davon überzeugt, dass die Ampelkoalition bis zum nächsten regulären Bundestagswahltermin im Herbst 2025 halten wird. Als derzeit wichtigstes Problem sehen die Befragten mit gewaltigem Vorsprung die Asyl- und Zuwanderungspolitik. Nur noch 33 Prozent sind der Auffassung, dass Deutschland „die vielen Flüchtlinge aus Krisengebieten verkraften“ kann.

Was Umfragen seit Monaten andeuten, haben die Wahlen in Bayern und Hessen bestätigt: Die fortschrittlichen Ampelparteien verlieren, Gewinne gibt es dagegen bei der bürgerlich-konservativen Union, denn viele Wähler wollen am liebsten die gemütlichen Merkel-Jahre fortsetzen. Vor allem aber gibt es erhebliche Gewinne bei der extremistischen AfD. 

Es ehrt Kanzler Scholz, dass er eine Aversion gegen Show und große Reden hegt und darauf setzt, dass seine ausgiebig durchdachten Pläne am Ende schon aufgehen werden. Ob dieser Plan aufgeht ist derzeit allerdings fraglich.

Auch Friedrich Merz hat ein gewaltiges Problem mit den Umfragen zu seiner Person

Es sind Zahlen, die das Herz des CDU-Chefs eigentlich höher schlagen ließen. In der neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa kommt die Union auf 32 Prozent. Sie ist damit genauso stark wie die drei Ampelparteien zusammen. Die Kanzler-Partei SPD liegt nur noch bei 14 Prozent. Der Erfolg der CDU bei der Landtagswahl in Hessen scheint der Union auch im Bund Auftrieb zu verleihen. Der CDU-Chef führt den Erfolg der Union selbstredend auf seine eigene Arbeit zurück. Nach den beiden Landtagswahlen sagte Merz, er habe für seine „Zuspitzung“, die er „gelegentlich auch mal mache“, in Hessen und in Bayern „sehr, sehr, sehr viel Zustimmung bekommen“. Er denke, auch das habe das Wahlergebnis „nach oben gebracht“

Nun ja, dies steht allerdings in glattem Gegensatz zu den Aussagen des Wahlsiegers in Hessen. Die Analyse von Boris Rhein am Tag nach der Hessen-Wahl fiel so aus: Man habe sich nicht verleiten lassen, an irgendwelchen Rändern zu fischen, hatte Rhein da gesagt. Man sei im Wahlkampf „immer mit Stil“ aufgetreten. Und man habe das „immer in einem Sound gemacht, der nie überdreht hat“. Das sei ein Grund für den Erfolg gewesen. Ergo: Man habe Erfolg gehabt, weil man genau NICHT wie Merk aufgetreten sei, der zuletzt ja mit seiner dümmlichen „Schöne-Zähne“-Provokation auch in der eigenen Partei Kopfschütteln ausgelöst hatte.

Hendrik Wüst, Daniel Günther und jetzt auch Boris Rhein haben mit überzeugenden Wahlsiegen in ihren Bundesländern punkten können – und zwar ganz klar als Gegenmodell zum selbstverliebten und impulsiven Merz. Und die Forsa-Umfrage hat diesbezüglich eine ganz schlechte Nachricht für Merz parat: Obwohl die Union sich im Höhenflug befindet, sind nämlich die ebenfalls abgefragten persönlichen Zustimmungswerte für Merz weiterhin schlecht. Bei der Kanzlerpräferenz, also der Frage, wen man zum Kanzler wählen würde, wenn er direkt gewählt werden könnte, kommt Merz lediglich auf 20 Prozent. Er liegt damit nur einen Prozentpunkt vor Olaf Scholz, obwohl dessen Sozialdemokraten gewaltige 18 Prozentpunkte hinter der Union rangieren.

Nun hat ja die Union im Bundestagswahlkampf 2021 erleben müssen, wie schnell Umfragewerte einbrechen können, wenn der eigene Kandidat nicht zieht. Und damals war es ja auch Markus Söder, der maßgeblich gegen Armin Laschet stichelte, an dem die CDU aber trotzdem festhielt. Da liegt der Gedanke nicht fern, dass Söders neuerliches „Angebot“ an Scholz nur dazu dient, Merz zu schaden. Klar ist nämlich, dass Merz dabei nix gewinnen kann.