Mir freche Freiburger

Der SC Freiburg wird heimisch in Europa. Zwei Qualifikationen in zwei Jahren hintereinander – das gab es noch nie!

Bild: Achim Keller

Das gab es noch nie: Der SC Freiburg ist in der zweiten Saison hintereinander nicht mehr von Platz fünf zu verdrängen und spielt daher auch in der kommenden Saison (mindestens) in der Gruppenphase der Europa-League. (Ein noch möglicher Sensationserfolg, am letzten Spieltag sogar noch die Champions-League zu erreichen, stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht fest). Klar gab es auch früher tolle Ausreißer nach oben. Aber danach wurde es meist sehr schwierig. Auf den Höhenflug folgte oft die Talfahrt. Die Konstanz, zwei Mal in Folge so weit vorne zu landen, ist daher kaum hoch genug einzuschätzen. Als Tabellenfünfter lässt der SC ja immerhin 13 Teams hinter sich, nun also seit zwei Jahren. Früher war es das Ziel und das größte Glück, drei Teams hinter sich zu lassen, um die Klasse zu halten. Und wer mal schaut, welche Klubs sich unter den 13 befinden, die hinter dem SC landen, findet da namhafte und finanzstarke Vereine wie etwa Bayer Leverkusen, Wolfsburg, Gladbach, Frankfurt oder auch Hoffenheim. Vor allem aber ist der zweite Streich da oben eben trotz der Mehrbelastung des ersten Streichs erreicht worden. Frei nach Woddy Allen: Mach`s noch einmal, SC! Nach dem Sieg gegen Wolfsburg im letzten Heimspiel der Saison sagte Christian Streich dazu: „Die Mannschaft hat 59 Punkte geholt. Ich weiß nicht, ob wir das jemals noch einmal erreichen. Solange ich noch hier bin eher nicht.“

Sportvorstand Jochen Saier sagte denn auch voller Zufriedenheit: „Die Gruppenphase der Europa League erneut erreicht zu haben, ist ein unglaublicher Erfolg für uns. Was die Mannschaft in den bisherigen 45 Pflichtspiele geleistet hat, ist großartig. Vor ihr sowie unserem Trainer- und Funktionsteam ziehe ich alle Hüte.“ Jetzt haben wir zwar den Saier bisher noch nie mit einem einzigen Hut gesehen, schon gar nicht steht er für alte Hüte. Was uns an ihm sowieso gefällt, ist seine Ehrlichkeit auch im Ehrgeiz. Saier hat nicht dieses „Mir kleine Freiburger“ als Leitsatz. Er war zwischendurch auch ehrlich genug, offensiv die Chancen auf eine Teilnahme an der Champions-League einzuräumen. Der SC-Sportvorstand gibt sich stets nüchtern, aber auch ambitioniert. Da ziehen wir gerne auch den Hut, den wir nicht auf haben.

Das Ausweichmanöver des Christian Streich

Nach der 2:4-Niederlage bei Union Berlin, ein vorentscheidendes „Endspiel“ um Platz vier, hat Christian Streich in seiner typischen Art mal wieder ein kleines Ausweichmanöver gestartet. Er hob den Blick aufs große Ganze, lobte nicht nur Union Berlin und dessen Trainer Urs Fischer in den höchsten Tönen. Sondern gleich auch noch die Bundesliga als solche: „Es spricht für die deutsche Bundesliga, dass solche Vereine wie Union derartiges erreichen können. Ein paar Dinge stimmen hier noch. In einigen Ligen stimmen sie nicht mehr, besonders in der hochgelobten, angeblich größten und sensationellsten Liga, in der Premier League. Da stimmt für mich recht wenig“, sagte also Christian Streich. Na ja, mal abgesehen von den Millionen, die der SC für den jungen Kevin Schade kassiert hat.

Wer würde da noch nachfragen, ob „Vereine wie Union“ nicht genau auch den SC Freiburg einschließe und warum man das Spiel in Berlin bei Union denn so klar verloren habe. Zumal Streich diese 2:4-Niederlage gleich noch mit auf seine Kappe nahm, weil er den unter der Woche erkrankten Lukas Kübler aufgestellt habe und man dadurch „einen Mann weniger“ gewesen sei.  Man kann es Streich hoch anrechnen, dass er mit solchen Nebelkerzen den Druck von der Mannschaft zu nehmen versucht. Kübler musste mit Kreislaufproblemen in der 32. Minute raus, aber da stand es erst 0:1. Kurz darauf war es – nach Streichs Rechnung nun wieder vollzählig – mal schnell zum 0:3 aus Freiburger Sicht gekommen. 

Eine konkrete Debatte wurde auch darüber geführt, ob es klug war, in diesem „Endspiel“ das System auf eine eher defensivere Dreier (bzw. Fünfer-) Kette umzustellen und dafür in der Offensive auf einen Angreifer zu verzichten, in diesem Fall auf Gregoritsch. Dieselbe taktische Umstellung ging ja schon im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Leipzig (dort unter Verzicht von Grifo) ähnlich brutal nach hinten los wie zuletzt nun eben bei Union Berlin. 0:3 nach 38 Minuten liest sich nicht gerade wie ein Bollwerk in der Defensive. Vor allem, wenn nach vorne dann gar nix geht. Doch diese Debatte ist müßig. SC-Kapitän Christian Günter, der in Berlin sein rundes 300stes Bundesligaspiel (alle unter Streich) bestritt, sah das so: „Es liegt ganz selten am System. Mit einem offensiven Spieler mehr auf dem Platz kann man sich vielleicht mehr Chancen erarbeiten.“ Letztlich sei es immer eine Abwägungssache: „Es gibt viele Punkte die dafür und viele die dagegen sprechen.“

Übrigens wurde Christian Günter von Streich in der Halbzeit ausgewechselt, was sonst nie passiert. „Besonders auf unserer linken Seite haben wir schwach verteidigt. Wir waren nicht schnell genug, nicht aggressiv genug“, sagte Streich dazu. Ergo: Da ist er nicht ausgewichen, obwohl sein Paradespieler Günter ein Jubiläum feierte. Die Pointe lieferten beide dann im letzten Heimspiel der Saison gegen Wolfsburg. Da ließ Streich seinen Kapitän zunächst auf der Bank, obwohl Günter nicht verletzt war. Das gab es in den letzten Jahren ja gar nicht. Christian Günter war der, der immer spielt. Dann wurde er also eingewechselt und hat nach 43 Sekunden das 1:0 für seinen SC geschossen. Und übrigens hat er innerhalb dieser 43 Sekunden ja auch noch seine Kapitänsbinde überstreifen müssen, die zuvor Mark Flekken trug. Man könnte also sagen, dass Christian Streich seinem Dauerbrenner genau dadurch das erste Saisontor ermöglichte, indem er ihn zuvor mal ausruhen ließ. Bevor dann die große Fußballgott-Show des Nils Petersen begann.

Wäre noch mehr drin gewesen?

Na ja, vor den beiden direkten Duellen gegen Leipzig zu Hause und bei Union Berlin war es schon so, dass der SC Freiburg es selbst in der Hand hatte. Aber was heißt das schon? Leipzig war tatsächlich eine Nummer zu groß, zuerst im Pokal und dann auch im Bundesligaspiel. Das blöde 0:1 im Ligaspiel war zwar in der Entstehung hanebüchen (weil in dieser Situation sowohl Gregoritsch wie auch der junge Merlin Röhl zu pomadig zulaufen), aber zuvor hätte Leipzig bereits deutlich führen können. Die Qualität von Leipzig wurde dann ja auch deutlich, als sie in München trotz 0:1 Rückstand noch 3:1 gewannen.

Und bei Union Berlin haben nunmal (fast) alle verloren, während das Hinspiel-Ergebnis in Freiburg (4:1 für den SC) quasi für ausgeglichene Verhältnisse sorgt. Es war wohl auch nicht unwesentlich, dass Philipp Lienhart in Berlin verletzungsbedingt fehlte. Denn seine Schnelligkeit und Robustheit sind schon sehr außergewöhnlich.

In der Rückrunde fiel auf, dass es oft in der Offensive mehr haperte als noch in der Vorrunde. In diesem Zusammenhang sollte nicht vergessen werden, dass mit Daniel-Kofi Kyereh ein sehr starker Spieler aufgrund seines Kreuzbandrisses ausfiel und mit Kevin Schade ein Spieler verkauft wurde (ging ja nicht anders, bei der perversen Ablösesumme), der in der Vorrunde oft nach Einwechslung noch neuen Schwung nach vorne brachte.

Also ja, bei Redaktionsschluss stand ja noch nicht fest, ob es am letzten Spieltag noch zur großen Überraschung kam und der SC doch noch die Champions-League erreichte. Aber wenn es nicht so passiert ist, kann man nur sagen: Okay! Da fehlt ja noch ein bisschen etwas. Viele Spiele wurden knapp (und teilweise glücklich) gewonnen. Um international ganz oben dabei zu sein braucht es mehr als nur aufopferungsvolles Verteidigen. Und vielleicht ist es auch gesund, da langsam rein zu wachsen. (Nun ja, wenn die Fußball-Sensation dennoch zustande kam, wird es auf jeden Fall ganz schön knifflig.)