Ganz nah dran, Interview mit Regisseurin Sigrid Faltin

Die Regisseurin Sigrid Faltin aus Freiburg hat gerade ihren Film über die Geigerin Anne-Sophie Mutter ins Kino gebracht, jetzt war sie mit dem Freiburger OB Martin Horn in der Ukraine. Über ihn dreht sie gerade ihren nächsten Dokumentarfilm.

Bild: Sascha Radke filmwelt

Ein Gespräch mit der Regisseurin Sigrid Faltin ist immer eine sehr fröhliche Sache, bei der viel gelacht wird. Auch wenn es um die Dreharbeiten rund um den Film „Anne-Sophie Mutter – Vivace“ geht, ein Filmporträt über die weltberühmte Geigerin, das Sigrid Faltin gerade ins Kino gebracht hat. Ernst wird sie eigentlich nur, wenn sie über die Reise ins ukrainische Lwiw spricht, wohin sie mit ihrem Filmteam OB Martin Horn begleitet hat. 

Sie haben Filme unter anderem über Aenne Burda und Erika Pluhar gemacht, und jetzt also Anne-Sophie Mutter. Wer ist denn da auf wen zugekommen?

Sigrid Faltin: Auf jeden Fall nicht Frau Mutter auf mich (lacht). Vor acht Jahren hatte ich die Idee, über sie einen Film zu machen. Schließlich kommt sie aus unserer Region und ist ein Weltstar. Wir haben uns damals vor einem ihrer Auftritte im Colombi getroffen. Ich erzählte ihr, dass ich sie im Film gerne mit anderen Leuten ins Gespräch bringen würde, um so subtil mehr über sie zu erfahren. Das fand sie eine nette Idee. Als ich sie fragte, wenn sie denn gerne treffen würde, kam spontan die Antwort: Roger Federer. Und damals dachte ich, na gut, das dürfte ja kein Problem sein. Wenn ich mit Anne-Sophie Mutter ankomme, werden sich mir sicher alle Türen öffnen. Aber das hat letztendlich dann doch seine Zeit gedauert.

Hat es tatsächlich acht Jahre gedauert, bis Roger Federer bereit war, sich zu treffen?

Sigrid Faltin: (Lacht) Nein, das doch nicht. Ich habe ihr dann eine Liste mit Leuten vorgelegt, die ich ihr für Treffen vorschlagen würde. Damals lebte auch noch ihr zweiter Mann André Previn. Aber dann machte das ZDF einen Film über sie und ihr Büro meinte, zwei Filme seien gerade etwas viel. Darüber verlor sich erst einmal unser Kontakt. Ich machte später einen Film über Karajan, dabei interviewte ich auch Anne-Sophie Mutter und so nahmen wir unsere Filmpläne auch wieder auf. Aber dann kam die Pandemie. Wir hatten einen Drehtag, danach war erst einmal wieder Schluss. Ach, das war ganz furchtbar…

Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Sigrid Faltin: Ich habe angefangen ein Buch zu schreiben, ich konnte ja nicht drehen. Das haben ganz viele gemacht (lacht). Ich möchte aber noch nicht darüber sprechen, das sind noch ungelegte Eier. Erst mal schauen, was daraus wird.

Jetzt drehen Sie aber wieder und kommen nicht mehr zum Schreiben…

Sigrid Faltin: Ganz genau. Ich finde dafür einfach nicht genug Ruhe. Und dann führt ja unser OB dauernd etwas Neues im Schilde (lacht).

Mit Martin Horn in der Ukraine: Joggend erkundet der OB die Stadt zusammen mit dem Ersten Bürgermeister von Lwiw, Andrey Moskalenko, Foto: Sigrid Faltin

Denn Sie sind ja dabei, einen Film über Martin Horn zu machen, „Machen statt Meckern. Ein Jahr mit dem Freiburger OB“.

Sigrid Faltin: Das ist der Arbeitstitel. Wir mussten ihn lange bearbeiten, bis er bereit war, sich auf dieses Filmprojekt einzulassen. Für drei Tage sind wir im April dann sogar zusammen mit ihm in die Ukraine gereist. Er ist ja auch da mutig und unerschrocken, und wenn man einen Film über ihn macht, muss man das dann halt auch sein. 

Sind Sie mutig und unerschrocken?

Sigrid Faltin: Was bleibt mir übrig (lacht).

Was war das eindrücklichste Erlebnis für Sie auf dieser Reise nach Lwiw?

Sigrid Faltin: Es war wirklich sehr bewegend. Jeden Tag finden dort Beerdigungen von Soldaten und Soldatinnen statt. Jeden Tag ist der Bürgermeister von Lwiw um 12 Uhr bei einer Beerdigung. Die Prozession führt direkt am Rathaus vorbei und alle Mitarbeitenden verneigen sich, Passanten knien nieder. Auch Martin Horn hat Blumen niedergelegt und mit der Witwe gesprochen, die mit ihren drei Kindern, sechs, neun und zwölf Jahre alt, am Trauerzug teilnahm. An einem Tag waren es drei Beerdigungen, die Männer waren zwischen 20 und 40 gewesen. 

Das zeigt die ganze Palette Ihrer Dokumentarerfahrungen… Anne-Sophie Mutter, die in diesem Jahr 60 wird und mit der Sie für Ihren Film „Vivace“ unterwegs waren, gilt nicht unbedingt als nahbar. Wie haben Sie sich ihr angenähert?

Sigrid Faltin: Zum einen über die Gespräche mit anderen. Aus den vielen Dokumentarfilmen über sie war mir klar, sie lässt niemanden an sich ran und wahrt immer die Distanz. Und was mich furchtbar genervt hat war, dass man sie dabei immer mit ihren zwei Dackeln an der Isar entlangspazieren gesehen hat. Da wollte ich schon etwas anderes. Ich wusste, dass sie gerne wandert, deshalb war ich so tollkühn und habe ihren Bruder, mit dem ich das alles verhandelt habe, gefragt, ob sie mit mir wandern gehen würde, denn ich wandere auch gerne. Er fragte sie dann und dann kam die Antwort, ja, das geht in Ordnung. Er warnte mich aber: Passen Sie auf, meine Schwester ist eine Bergziege. Diese Wanderung wurde dann zur Rahmenhandlung für den Film, was ganz witzig war, weil dann mein Kameramann dabei auch mal kurz zusammengeklappt ist (lacht). Frau Mutter sprang überall hoch und wir, mit Kamera und Ausrüstung schwer beladen, hinterher. 

Und immer mit Dackel…

Sigrid Faltin: Der eine Dackel war zwischenzeitlich gestorben, das erzählt sie auch im Film, wie sie aus Argentinien zurück gejettet ist, um dem Dackel die Pfote zu halten. Aber der andere Dackel, der auch schon recht betagt ist, taperte munter und tapfer hintendrein und war immer dabei. Frau Mutter ohne Dackel geht nicht. 

Gab es Themen, die Anne-Sophie Mutter ausklammern wollte?

Sigrid Faltin: Sie sagte mal, sie möchte es eigentlich so machen wie Roger Federer, der immer zugewandt, freundlich und höflich sei, aber eigentlich weiß man nichts über ihn. So würde sie auch gerne sein (lacht). Das gelingt ihr mal mehr, mal weniger. Sie ist ja eine politisch und sozial sehr engagierte Frau, es macht Spaß sich mit ihr zu unterhalten, da sie ein breites Interessensfeld hat. Aber es war völlig klar, man darf nicht bei ihr Zuhause drehen und ihre Kinder sowie ihre Brüder sollen nicht im Film vorkommen. Das wurde langsam ein bisschen nervig. Aber als wir endlich Roger Federer hatten, war ihr Sohn dann doch bereit vor die Kamera zu gehen, weil er den Tennisstar treffen wollte. Da hatten wir dann zwei Fliegen mit einer Klappe.

Sigrid Faltin (rechts) in den Bergen mit Anne-Sophie Mutter (links), Foto: white pepper film

Würden Sie sagen, Sie sind nach dem Film oder spätestens seit der Bergtour mit Anne-Sophie Mutter auf irgendeine Weise befreundet?

Sigrid Faltin: Nein, nein, nein, überhaupt nicht. Frau Mutter ist sehr freundlich, aber bleibt distanziert. Ich habe neulich gelesen, dass ein Journalist über die Schauspielerin Cate Blanchett geschrieben hat, sie habe eine professionelle Geerdetheit. So empfinde ich das auch bei Anne-Sophie Mutter. Sie gibt sich down to earth, ist sehr zugewandt in den zwei Stunden, die sie einem als Slot zuteilt, aber nach eineinhalb Stunden wird sie unruhig und nach zwei Stunden ist sie weg. Das nehme ich ihr auch nicht übel, sie ist hochprofessionell und jemand von diesem Kaliber muss so sein, muss sich abgrenzen. Das ist für sie überlebensnotwendig. Sie ist auch mit vielen ihrer Musiker, mit denen sie auftritt, per Sie. 

Welche Promis stehen als nächstes in Ihrem Fokus für Filme?

Sigrid Faltin: Wie gesagt, unser OB hält uns jetzt gut auf Trab, da ist das Jahr 2023 und vielleicht auch Anfang 2024 erst einmal ausgefüllt.

Sie haben Anglistik, Germanistik und Geschichte unter anderem in Freiburg studiert, und sind nach einem Volontariat beim damaligen Südwestfunk zum Dokumentarfilmen gekommen. Inzwischen haben Sie ihre eigene Filmproduktionsfirma White Pepper in der Wiehre in Freiburg. Wie außergewöhnlich ist solch ein Weg?   

Sigrid Faltin: Ich empfinde das nicht so als etwas Besonderes. Ich habe mich lange durchgekämpft und habe 20 Jahre gebraucht um vom 90-Sekünder zum 90-Minüter zu kommen. Da gibt es schon Kolleginnen und Kollegen, denen das sehr viel schneller passiert (lacht). Manchmal braucht es das aber auch, dass man den eigenen Sender verlässt. Das war bei mir so, als ich 2006 unbedingt den Film „La Paloma“ machen wollte, aber der SWR nicht daran interessiert war. Da bin ich eben zum ZDF, zu Arte gegangen, und der Film ist schließlich weltweit gezeigt worden. Ich bekam internationale Förderungen, habe auf fünf Kontinenten gedreht, und erst dann, glaube ich, hat man beim SWR gesehen, die kann ja tatsächlich was. Wobei einer meiner wichtigsten Filme hier in Freiburg entstand, „Letzte Saison – Wenn es Zeit ist zu sterben“, in dem ich drei Sterbende begleite.  

Das Filmteam: (v. l.) Michael Kirn (Ton), Jürgen Carle (Kamera), Anne-Sophie Mutter und Regisseurin Sigrid Faltin, Foto: Louis Anschütz

Sie haben aber auch witzige Filme gemacht, wie beispielsweise über Ihren Selbstversuch mit Fleischverzicht oder mit Hörgeräten.   

Sigrid Faltin: Wenn ich den Film über Hörgeräte nicht gemacht hätte, würde ich wahrscheinlich heute selbst noch keines haben. Und ich bin glücklich damit! Mir ging es wie vielen anderen Leuten auch, ich fand es zunächst demütigend ein Hörgerät zu tragen, ich bin immer um die Hörgeräteakustiker herumgeschlichen. Und erst als ich beschloss, einen Film darüber zu machen, traute ich mich über die Schwelle zu treten.  

Die erste Demütigung ist wahrscheinlich die Lesebrille, die zweite das Hörgerät…   

Sigrid Faltin: Ja, nur bei mir kam es umgekehrt.