Das wäre die Lösung, Interview mit Prof. Reimund Schwarze

Der Club of Rome zeigt in seinem neuen Bericht, dass nur eine drastische Umverteilung des Reichtums unsere Gesellschaft retten kann. Ein Gespräch mit dem Umweltökonomen Professor Reimund Schwarze über den schlechten Ratgeber Angst, das Geld der Reichsten und das Wohlergehen der Menschen.

Umweltökonom Prof. Dr. Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig (Foto: Club of Rome)

Fünfzig Jahre nach dem letzten großen, aufrüttelnden Bericht des Club of Rome – „Die Grenzen des Wachstums“ –  wurde nun der neue aktuelle Report „Earth For All“ veröffentlicht. Der Blick auf unsere Zukunft ist nicht weniger desaströs, das Forscherteam zeigt aber hier präzise Lösungsansätze auf. Und es werden neben Themen wie Klimawandel sowie Umweltzerstörung zwei weitere zentrale Knackpunkte genannt, die maßgeblich darüber entscheiden werden, ob unsere Gesellschaft fortbestehen wird: Beendigung der Armut und Beseitigung der eklatanten Ungleichheit. Barbara Breitsprecher sprach mit dem Umweltökonomen Professor Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig über den neuen Bericht des Club of Rome.

Der neue Bericht „Earth For All“ des Club of Rome nennt fünf außergewöhnliche Kehrtwenden („extraordinary turnarounds“) in historischem Ausmaß, die nötig seien, um unsere Gesellschaft zu retten: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung („empowerment“) der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie. Hat sich die Sichtweise, was entscheidend für das menschliche Überleben, verschoben gegenüber dem ersten Bericht?

Reimund Schwarze: Ja, es sind jetzt nicht mehr die planetaren Grenzen, es hat jetzt nichts mehr im engeren Sinne mit Naturwissenschaft zu tun. Die Forschenden antworten hier nicht auf die ökologischen Probleme, sondern es sind eher politische Fragestellungen. Ich habe in meiner Schulzeit den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ und den berühmten Vergleich mit dem Teich und den Seerosen kennengelernt. Ich bin immer noch ganz glücklich, dass uns unser Lehrer im Gemeinschaftskundeunterricht dieses Buch gegeben hat. Es hat mich persönlich in meiner Entwicklung sehr angestoßen. Die Zukunftssimulationen damals waren sehr stark getrieben von der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung. Und jetzt plötzlich ist es aber viel politischer als damals. 

Neu ist auch, dass es um das Wohlergehen („well-being“) aller Menschen gehen sollte, und dass dafür ein Systemwechsel gefordert wird.

Reimund Schwarze: Der Bericht hat mir zunächst einmal gefallen, das sollte ich vielleicht vorab sagen. Und dass ich sehr glücklich und angeregt dadurch bin,  wie auch schon beim ersten Bericht, obwohl ich ja nun schon viel älter bin. Diese Anstöße tun gut, über Vieles neu nachzudenken. Wir sind das ja heute schon gewohnt, uns mit Simulationen über die Welt und die Zukunft zu beschäftigen. Damals war das noch wie der Blick in ein Zauberglas. Aber der neue Bericht geht eben weiter, er sagt, was wir tun sollen, und er ist nicht nur dadurch getrieben, was die Simulationen ergeben. 

Der konkrete Vorschlag des Forscherteams  lautet, zwei bis vier Prozent des Vermögens der zehn Prozent reichsten Menschen zu nehmen, um Ungleichheiten zu beseitigen und auch den Ausbau regenerativer Energien umzusetzen.  

Reimund Schwarze: Viele denken ja erst einmal zwei bis vier Prozent des Weltsozialprodukts seien wenig. Aber vier Prozent des Sozialprodukts ist eine unvorstellbar hohe Zahl! Das sind 84.000 Milliarden insgesamt, über die wir hier reden, also sind vier Prozent rund 4.000 Milliarden. Das ist nicht gerade wenig. Vergleichen wir es mal mit der weltweiten Entwicklungshilfe, wo Ziele bis zwei Prozent seit langem genannt werden, die aber immer wieder verfehlt wurden.  

Könnte es nicht Beispielländer geben, Vorreiterrollen? Norwegen und Deutschland haben ja bereits begonnen, E-Autos oder regenerative Energien zu fördern, allerdings wurden dabei die Kosten bisher immer auf den Schultern aller Steuerzahlenden verteilt. 

Reimund Schwarze: Gut, einigen wir uns auf einen politischen Vorschlag für Vorreiterrollen. Das ist realistisch, die Umverteilung eines Teils des Vermögens der Reichsten eines Landes zugunsten des Zieles Erhalt der Erde beziehungsweise der Menschheit durch die fünf Programmpunkte. Das lässt sich im Rahmen einer Vorreiterpolitik sicher machen. Wir müssen uns aber klar sein, dass dies nur gute Beispiele sind. Die Ziele, wie Beendigung der Armut, Bekämpfung der Ungleichheit in der Welt, weltweite Ermächtigung der Frauen, lassen sich durch Vorreiterrollen, durch die guten Beispiele, nicht effektiv erreichen. 

Die Forschenden haben neben Ländern wie Afghanistan oder Syrien auch das Beispiel USA genannt, wo die enorme Kluft zwischen arm und reich zu eine Kollaps führen könnte.  Könnte die Vorbildfunktion kleinerer Länder nicht überschwappen auf ein Land wie die USA?

Reimund Schwarze: Auf welchem Mechanismus sollte ein solches Überschwappen beruhen? Ich glaube nicht, dass es irgend einen Eindruck in den USA erzeugt, wenn man in Norwegen oder Schweden eine Politik der Umverteilung umsetzt. Alle reden doch vom nordischen Modell des Wohlfahrtstaats, aber keiner hat je in den USA darüber nachgedacht, dies zu übernehmen. 

Noch viel krasser ist es ja, wenn man sich fragt, ist das ein Beispiel für Russland und Saudi-Arabien, wo noch viel höhere Einkommen durch ganz wenige akkumuliert sind als beispielsweise in Deutschland. Die Reichsten dieser Welt sitzen ja gar nicht in Deutschland. Die größte Ungleichverteilung gibt es außerhalb Deutschlands.

Muss also die Angst der Wohlhabenden vor Verlust und Zusammenbruch der Weltökonomie zur Einsicht führen?

Reimund Schwarze: Beim ersten Bericht vor 50 Jahren stand die Angst vor „doomsday“ (Weltuntergang; Anm.d.Red.) im Vordergrund, die Angst vor dem ökologischen Zusammenbruch. Diese Kassandra-Politik ist allerdings letztlich ungehört verhallt. Der neue Bericht will das nicht, er will positive Narrative entwickeln. Der neue Bericht hat ausdrücklich einen anderen Ansatz, einen durch beispielhaft Erzählungen getriebenen, wie die Autoren das nennen. Sie wollen damit dem „doomsday“-Denken entgegentreten und darauf hinweisen, wie es noch zu schaffen ist. Und das ist aus meiner Sicht der wichtigste Anstoß, die Einbeziehung der Psychologie der Klimakrise. Es gibt bändeweise Erkenntnisse der Klimapsychologie, die zeigen, dass Angst ein denkbar schlechter Ratgeber in Notsituationen ist. Angst führt genau zum Gegenteil von Vernunftdenken. Das kann man bei den Ratten wie auch bei uns Menschen beobachten: Gerät man in eine existenzielle Angst, macht man eines auf keinen Fall – man macht sich keine Gedanken über die Welt im Großen und Ganzen. Man denkt nur an die Nächsten, die Familie, die Kinder, vielleicht die Nachbarn. Nicht viel weiter. Die soziale Übersicht wird viel kleiner, die Linse wird sehr eng. Von daher die wichtige und richtige Erkenntnis, dass alle Weltprogramme – und damit haben wir es ja mit „Earth For All“ zu tun – nur dann funktionieren, wenn wir eine Weltperspektive einnehmen, die nicht mit der engen Perspektive der Angst vereinbar ist. Und wir müssen die Chancen weltweiten Handelns betonen. Sonst sind wir verloren.

Ist dies der positive Ansatz, der Sie so inspiriert und angestoßen hat, beim aktuellen Bericht?

Reimund Schwarze: Genau, die Überwindung des Defätismus und der Kassandra- oder „Doomsday“-Politik, die dem Club of Rome der 70er Jahren so anhaftete. Insofern ist dieser Bericht auch ein Meilenstein für den Club of Rome, der ja zuletzt kaum noch neben dem Weltklimarat zur Kenntnis genommen wurde. Vor 50 Jahren hat man den Club of Rome noch an den Schulen gelesen und es wurden Generation in ihrem Denken geprägt. Aber danach war es lange, lange ruhig um Kreis der römischen Zukunftsforscher. Das, was jetzt vorgelegt wurde, ist eben wieder so „anstößig“, dass es Menschen zum Nachdenken bringen kann. Und ich wünsche diesem Bericht dass er gelesen wird. Am Ende des Buches steht die Frage: Was tun Sie, wenn sie das Buch aus der Hand legen? Was ich dann tun werde, habe ich mir nicht lange überlegen müssen. Ich werde dieses Buch meinen Studierenden weiterempfehlen. Und damit dem Buch das beste tun, was man einem Buch tun kann – es in die Bildung an Schulen und Universitäten einfließen lassen, so dass es Generationen in ihrem Denken prägen kann. Kurzum, mir gefällt das Buch „Earth For All“ sehr und ich weiß, dass beispielsweise Per Espen Stoknes (norwegischer Umweltpsychologe und Mitwirkender am „Earth For All“-Projekt; Anm.d.Red.) unbedingt Recht hat: Wir werden überhaupt nichts erreichen, wenn wir jetzt in der Krise in den Angstmodus des Denkens gehen. Angst bringt uns gar nichts außer einer Verengung des sozialen Blickwinkels.

Das Buch „Earth For All“ will das Handwerkszeug für politische Entscheider, Führungskräfte und Regierungen für eine weltweite Lösung bieten sowie Antworten geben, wie ein Systemwechsel aussehen kann. Wie kann das  mit diesem optimistischen Ansatz klappen? 

Reimund Schwarze: Es geht in dem Buch im Kern um das Wohlergehen der Menschen. Der Bericht arbeitet ja ganz stark mit der Frage, was tut uns wirklich gut. Reichtum tut uns eigentlich gar nicht gut. Wir sind nicht unbedingt glücklich, wenn wir reich sind. Denken wir an die stoischen Grundsätze der alten Griechen zum guten Lebens zurückgeht: Was brauchen wir denn eigentlich zum Wohlergehen? Moderation und Beschränkung jedweder Gier, auch der nach Geld. Ich glaube nicht, dass sich selbst die russischen Oligarchen in Antalya (türkisches Urlaubsziel mit zahllosen Yachten; Anm.d.Red.) gerade besonders wohlfühlen, wenn ich mal so sarkastisch sein darf. Sie können ihr vieles Geld ja gar nicht mehr freudig ausgeben.  Die müssen sich ja immer nur schützen und abschirmen. Worauf setzt man also? Vernunft, das ist das eine, sich klar machen, was ein gutes Leben ausmacht, ist das andere. Diese Wendung der Geschichte ist wichtig, nur mit dieser Kehrtwende werden wir etwas erreichen. Die Angst, dass einem etwas weggenommen wird, wird dagegen gar nicht helfen. Angst ist, wie gesagt, ein ganz schlechter Ratgeber.   

Das komplette, ausführliche Interview können Sie unter www.barbarabreitsprecher.com lesen.

(C) Club of Rome

Die Zukunft der Menschheit steht auf dem Spiel: Seit 1968 arbeitet der Club of Rome, eine gemeinnützige Organisation von Expertinnen und Experten – WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und Wirtschaftsexperten – an Strategien, wie die Umwelt gerettet und die Gesellschaft wirtschaftlich sowie sozial gerechter gestaltet werden kann. 1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen ersten, aufsehenerregenden Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Der internationale Think Tank hat nun seinen neuen Bericht „Earth for all“ herausgebracht. Darin manifestieren sie ihre Erkenntnis, dass eine internationale Kehrtwende der globalen Politik und Wirtschaft nötig ist. Zwei Jahre hat das Forscherteam zusammen mit verschiedenen  wissenschaftlichen Einrichtungen an diesem Bericht gearbeitet. Zwei Szenarien werden hervorgehoben: Schaffen es die Menschen, die historischen Kehrtwenden umzusetzen, kommt es zum „gigantischen Sprung“ und wir können das Ruder noch einmal herumreißen. Ansonsten tritt Szenario 2 ein: „Zu wenig zu spät“.   bb