All die kleinen Leute

Die geplante Neugründung einer Partei um Sahra Wagenknecht könnte der Demokratie in Deutschland tatsächlich mehr nutzen als schaden. Weil sie die AfD schwächt.

Wer sind eigentlich die „kleinen Leute“? Sie haben offensichtlich Verwandtschaft mit den „normalen Menschen.“ Und die Erzählung von rechts außen und links außen geht dann so, dass die Sorgen, Ängste und Bedürfnisse der kleinen und normalen Leute von der „herrschenden“ Politik nicht ernst genommen würden. Deshalb heißt der Slogan der AfD „Deutschland. Aber normal.“ Und deshalb sieht sich Sahra Wagenknecht nun geradezu gezwungen, eine neue Partei zu gründen, die praktischerweise gleich auch noch ihren Namen trägt. Diese Partei (Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BWS soll sie heißen, wenn sie mal fertig sein wird) ist quasi eine Zweitausgabe der AfD und somit gleichzeitig Konkurrenz wie auch Promotor  derselben Idee einer unterdrückten Bevölkerung lauter kleiner Leute. 

Was AfD und BWS eint, ist also die Idee, dass es Wähler gibt, die sich eine große ordnende Kraft (von „denen da oben“ muss doch mal einer „sagen, wo es lang geht“) wünschen, die ihnen dann alle Sorgen nimmt. Und diese Wähler gibt es reichlich. Sie befürchten, dass sie Verlierer einer Modernisierung werden, was übrigens von AfD und Wagenknecht weiter bestärkt wird. Ja, die Populisten nehmen die Sorgen der „kleinen Leute“ ernst, hegen und pflegen diese sogar, damit die Sorgen möglichst groß werden.  Also, klar gibt es Wähler, die der Komplexität einer krisenhaften und hochbeschleunigten Welt entgehen wollen. Es eint sie der Glaube an eine mächtige Kraft, die das Chaos da draußen in den Griff bekommen kann – eine Partei wie die AfD oder Sahra Wagenknecht eben.

Aber wo liegt der Unterschied zwischen der Rechtsaußen-Partei und der (geplanten) Linksaußen-Partei? Sahra Wagenknecht sieht das so: „Wer wählt denn die AfD? Das sind auch viele Wähler, die im Westen früher SPD gewählt haben, im Osten PDS und Linke. Das sind Menschen, die zutiefst unzufrieden mit der Politik sind und einfach nicht mehr wissen, was sie wählen sollen. Die Wahl der AfD ist ihr Mittel, ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Ich möchte, dass diese Wähler wieder eine seriöse Adresse bekommen, die nicht nur Protest artikuliert, sondern auch Konzepte hat. Der Aufstieg der AfD ist ein Spiegelbild der Verzweiflung der Menschen und der großen Repräsentationslücke, die wir in Deutschland haben“, so Wagenknecht in einem Interview mit der SZ.  

Nun ja, das mit der „seriösen Adresse“ ist eine gewagte Behauptung. Wagenknecht gehört nach den demoskopischen Messungen zu den bekanntesten Politikern des Landes. Die Zahlen zeigen aber auch, dass sie als unseriös eingeschätzt wird. Wagenknecht ist nicht die Alternative zur AfD, sie ist deren Zweitausgabe. Sie bedient dieselben Bedürfnisse und buhlt um dieselben Stimmen. In ihrem Kern sind AfD und Wagenknecht Anti-Eliten-Bewegungen, selbst stilisierte Außenseiter, die ein Gefühl der Benachteiligung und der Ausgrenzung füttern. 

Insofern muss die geplante Neugründung der Wagenknecht-Partei für die Demokratie in Deutschland ja nun kein Nachteil sein. Dieser Wagenknecht-Partei wird nämlich von Politologen und Wahlforschern zugetraut, die AfD zu halbieren, jedenfalls in den neuen Bundesländern. Das wäre ein großer demokratischer Gewinn. Denn ohne eine neue Wagenknecht-Partei, die erst einmal die öffentliche Aufmerksamkeit und dann die Wählerstimmen von der AfD abzieht, wird es bei den Landtagswahlen im Herbst 2024 nicht auf die Schnelle gelingen, den weiteren Aufmarsch der AfD zu verhindern.

 Für die etablierten Parteien ist die Entwicklung gefährlich, weil Wagenknecht und AfD ja nicht an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft fischen. Die Bindungen an Union, SPD & Co. gehen teilweise verloren. Aber es ist andererseits so, dass es immer die politische Mitte und das damit verknüpfte Vertrauen an die traditionellen Parteien war, das Deutschland stabil und wohlhabend gemacht hat. Diese Erfahrung aus mittlerweile 75 Jahren hat sich tief ins Bewusstsein der Bevölkerung eingegraben. Und die Mehrheit will auch nicht „klein“ sein.