Zwei Männer unter vier Augen

„Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, bevor er zu einer Blitzvisite zu Joe Biden ins Weiße Haus aufbrach. Eine rätselhafte Reise.

Bevor  Olaf Scholz zu Joe Biden ins Weiße Haus nach Washington eilte, hielt er noch eine beachtliche Regierungserklärung ab, die gut ein Jahr nach seiner „Zeitenwende“-Rede überraschend deutlich ausfiel. Nahezu Klartext, und doch nicht vorlaut. Dies mochte man auch daran erkennen, dass sogar die Unionspolitiker und selbst deren Chef Friedrich Merz immer wieder applaudierten. Der Kernsatz, der wie ein Überschrift über die Rede wirkte, lautete: „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – außer über die eigene Unterwerfung“. Scholz fügte hinzu, dass sich niemand mehr den Frieden wünsche als die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jeden Tag unendliches Leid ertragen müssten.    

Diese Regierungserklärung von Scholz war auch eine Replik auf die Friedensdemonstrationen in Berlin (siehe auch Seite 11). Die Argumentation von Scholz war klar und kohärent. Es werde keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben. „Man schafft auch keinen Frieden, wenn man hier in Berlin ‚Nie wieder Krieg‘ ruft – und zugleich fordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen“, sagte Scholz. „Friedensliebe heißt nicht Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn. Würde die Ukraine aufhören, sich zu verteidigen, dann wäre das kein Frieden, sondern das Ende der Ukraine.“

Die Reaktion des Oppositionschefs war mild

Um zu sehen, wie viel Zustimmung es von Friedrich Merz als Chef der größten Oppositionspartei für die Scholz-Rede gab, muss man nur den nahezu identischen Wortlaut zum Thema zitieren:  „Es gibt nur einen, der ganz allein für diesen Krieg verantwortlich ist. Und der Mann heißt Wladimir Putin.“ Wenn Russland heute die Waffen schweigen ließe, dann sei morgen der Krieg zu Ende. „Wenn die Ukraine heute die Waffen niederlegt, dann ist morgen das ukrainische Volk und die Ukraine als Staat am Ende. Das ist der Unterschied“, so Merz im Bundestag. Damit wollte sich der Oppositionsführer natürlich auch von der AfD und Linken absetzen. Er warf Teilnehmern von AfD und Linken vor, vorsätzlich Täter und Opfer zu verwechseln und kritisierte diesbezüglich auch die von Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer kurz zuvor am Brandenburger Tor in Berlin veranstaltete Kundgebung gegen den Krieg. Kleine Fußnote: Sowohl die Formulierung von Scholz wie auch jene von Merz gingen auf die Worte zurück, die Annalena Baerbock bei der UN-Versammlung (siehe auch Seite 4) gebraucht hatte: „Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet dieser Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist es das Ende der Ukraine.“

Es herrschte also recht große Einigkeit im Bundestag, ein gutes Jahr nach Kriegsbeginn. Aber ein bisschen Widerspruch gab es doch. Der Co-Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, verteidigte nämlich die Forderung nach Friedensverhandlungen. Wer Verhandlungen fordere, wolle das Sterben und Leid in der Ukraine sowie die Gefahr einer nuklearen Eskalation beenden, sagte er. Verhandlungen forderte auch AfD-Co-Fraktionschef Tino Chrupalla. Beide Seiten müssten schnellstmöglich auf diplomatischem Weg zu einer Lösung kommen, sagte Chrupalla, der deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnte. „Es ist nicht unser Krieg“, sagte er.

Nun ja, dieser letzte Satz verrät viel über den Glauben der AfD, dass Putin bestimmt nett zu Deutschland wäre, wenn nur Deutschland auch nett zu Putin sei. Wenn es nämlich anders käme und Russland sich nach der Ukraine (weil die AfD ja dort keine Unterstützung mehr leisten will) dann auch Deutschland einverleiben wollte und dann die USA (etwa wieder unter Trump) sagen:  „Es ist nicht unser Krieg.“ Und wenn dies so passierte, dann wäre Deutschland demnächst unter Putins Herrschaft. Bestimmt würde das von Putin eingesetzte Scheinregime dann aus lauter AfD-Leuten bestehen.

Die Kurzvisite von Scholz bei Biden

Es muss schon gute Gründe geben, wenn ein Bundeskanzler so rund 20 Stunden Flugzeit hin und zurück über den großen Teich investiert, um zwischendurch eine gute Stunde lang im Weißen Haus ein vertrauliches Gespräch mit Joe Biden zu führen.  

Die Begrüßung war herzlich, die Stimmung entspannt. „Willkommen zurück im Weißen Haus“, empfing Biden seinen Gast. Danach gab es rund vier Minuten lang gegenseitiges Lob, das ungefähr so austariert war wie die ständige Formel, bei Waffenlieferungen „im Gleichschritt“ zu gehen. Also sagte Scholz zu Biden: „Ich freue mich wirklich sehr, hier zu sein, um mit dir zu sprechen.“ Und dann Biden zu Scholz: „Wir haben viel zu bereden, ich freue mich darauf.“ Na, bei soviel Freude (von Friede und Eierkuchen kann ja keine Rede sein) möchte man doch glatt vermuten, dass Biden und Scholz sich gegenseitig auch beim jeweiligen Wahlvolk helfen wollen.

„Olaf, es hat sich viel verändert, seit du im vergangenen Jahr hier gewesen bist“, duzt Joe Biden den Bundeskanzler im Oval Office und lobt ihn für seine „Zeitenwende“ (die sogar in die amerikanische Sprache Einzug fand). „Du hast zu Hause historische Veränderungen vorangetrieben. Ich habe durchaus wahrgenommen, dass die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die Diversifizierung weg von russischen Energiequellen nicht einfach und sehr schwierig für dich war.“ Und Olaf Scholz sagte der amerikanischen Öffentlichkeit beim anschließenden Interview mit dem US-Sender CNN über Joe Biden: „Ich denke, dass er einer der fähigsten Präsidenten ist, der weiß, wie die Dinge in der Welt laufen, was wichtig ist in Zeiten, die immer gefährlicher werden und in denen wir viele Veränderungen erleben“. Biden sei „wirklich ein guter Mann, wenn es um die transatlantische Partnerschaft geht“, die so wichtig sei für Europa, Frieden in der Welt und für die Nato.

Die Unterstützung der Ukraine verbindet 

Scholz weiß natürlich dass in den USA schon bald die Vorwahlen für die nächsten nächste Präsidentschaftswahl anstehen und dass Joe Biden von den Republikanern gerne für sein teures Engagement zugunsten der Ukraine angegriffen wird. Daher betonte Scholz im CNN-Interview,  dass Deutschland der zweitgrößte Unterstützer sei – und dies auch beibehalten werde. „Wir sind jetzt der stärkste Unterstützer der Ukraine in Kontinentaleuropa, und das werden wir auch weiterhin sein“, betonte Scholz. „Und das liegt auch an den Waffen, bei denen wir uns mit den Vereinigten Staaten und anderen Freunden abstimmen.“ Deutschland habe im vergangenen Jahr 14 Milliarden Euro auf die eine oder andere Weise zur Unterstützung der Ukraine ausgegeben. Soll heißen: Biden steht mit seinem Kurs nicht allein, Deutschland zieht da mit. Zwar ist es nur ein Bruchteil dessen, was die USA der Ukraine an Waffenhilfe leistet, aber für die US-Wähler ist aus Scholz Sicht wichtig, dass Biden Gefolgsleute und – länder in Europa hat. Sprich: Es soll der Eindruck vermieden werden, dass die USA sich in Europa engagieren und die Europäer sich daraus einen faulen Lenz machen.

Der russische Präsident Wladimir Putin habe die Einigkeit des Westens bei der Unterstützung der Ukraine unterschätzt, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz weiter in dem Interview mit dem US-Sender CNN.  „Er hat die Einigkeit Europas, der Vereinigten Staaten und aller Freunde der Ukraine sowie die ständige Lieferung von Waffen, die wir der Ukraine zur Verfügung stellen, falsch eingeschätzt“, so Scholz im US-TV. Und deshalb seien die Ukrainer in der Lage gewesen, ihr Land zu verteidigen. „Und sie werden auch in Zukunft in der Lage sein, dies zu tun“, sagte Scholz und bekräftigte, dass es neben finanzieller und humanitärer Hilfe auch weitere Waffenlieferungen geben werde.

Verhandlungen über die Beendigung des Krieges in der Ukraine würden laut Scholz erst dann beginnen, wenn der russische Präsident Wladimir Putin versteht, dass er nicht gewinnen wird. „Aus meiner Sicht ist es notwendig, dass Putin begreift, dass er mit dieser Invasion und seiner imperialistischen Aggression keinen Erfolg haben wird, dass er seine Truppen abziehen muss“, sagte Scholz im CNN-Interview.

Gibt es Geheimnisse hinter dem Treffen? 

Gerade weil die Blitzvisite von Olaf Scholz bei Joe Biden ohne Pressekonferenz oder sonstige Statements absolviert wurde, häuften sich die Fragen, was da wohl so streng unter vier Augen besprochen wurde. Denn nur, um sich gegenseitig mit Lob zu überhäufen, wird das Treffen kaum stattgefunden haben. Von dem Vieraugengespräch sollte nichts an die Öffentlichkeit dringen. Nicht einmal die Delegationen der beiden waren anwesend.

Die Mutmaßungen, was da alles verhandelt wurde, reichen von eher lächerlichen Dingen – etwa das Ausräumen von angeblichen Irritationen wegen der Panzerlieferungen beider Länder – bis hin zu „Geheimplänen“ bezüglich Verhandlungen mit Russland über ein Ende des Krieges in der Ukraine. Und dies alles natürlich vor dem Hintergrund China. Von US-Seite aus will man etwa unbedingt über China sprechen, den großen Rivalen.

Es bleibt eine rätselhafte Reise. Sollten die USA etwa echte Erkenntnisse zu chinesischer Unterstützung für Russland haben, mit der die Sanktionen unterlaufen werden, wird es heikel. Was dann? Zwei Männer sprachen über einen Krieg, der ein Alien für die Welt ist. Und wie bei „Men in black“ ist es so, dass die Ungeheuer oft unvermutet auftauchen.