„Weil mich ein Lied hat“, Interview mit Konstantin Wecker

Der Liedermacher Konstantin Wecker kommt mit seinem aktuellen Album „Utopia“ für ein Konzert nach Freiburg. Im Gespräch sprüht der gut gelaunte 74-Jährige vor Esprit.

Konstantin Wecker (Foto: Thomas Karsten)
Konstantin Wecker (Foto: Thomas Karsten)

Er ist als Liedermacher ein radikaler Utopist, der  von einer herrschaftsfreien Welt träumt. Bis in die 1990er Jahren war Konstantin Wecker schwer kokainsüchtig und wurde dafür auch zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Diese sowie viele weitere Erfahrungen hat er in seinen Büchern verarbeitet. „Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten“ (Kösel-Verlag) lautet der Titel seines aktuell erschienenen Buchs. Auch in seinem 75. Lebensjahr will der Musiker, Komponist, Schauspieler und Autor Ungerechtigkeiten klar benennen. „Utopia“ heißt sein aktuelles Album und ebenso die Tournee, die ihn am 16. Dezember nach Freiburg führen wird. Ein Gespräch mit dem sympathischen, unverbesserlichen Weltverbesserer.

Welche Bedeutung hat Poesie für Sie? 

Konstantin Wecker: Ich denke mal, dass Poesie der Leitfaden meines Lebens ist. Immer schon.  Und natürlich die Musik, die ja auch Poesie ist, genau wie auch ein schönes Gemälde.  Das Geheimnis der Poesie war für mich, dass sie einfach immer klüger war als ich. Ich habe Gedichte zu einer Zeit geschrieben, in der ich rational noch gar nicht richtig begriff, was ich da geschrieben hatte. Es ist wie bei Melodien, die kann man sich auch nicht ausdenken. Die passieren einem.  Genauso passieren mir die Verse. Vielen meiner schreibenden Kolleginnen und Kollegen geht es ähnlich. Manchmal hat man sogar das Gefühl, ein Gedicht ist in einem schon fertig geschrieben und wartet nur darauf gepflückt zu werden.  Die sehr von mir bewunderte Mascha Kaléko hat das einmal so schön auf den Punkt gebracht, in vier Zeilen: „Mein schönstes Gedicht? Ich schrieb es nicht. Aus tiefsten Tiefen stieg es. Ich schwieg es.“ Das ist wunderbar. 

Haben Gedichte in der heutigen, schnelllebigen Zeit bei jungen Menschen noch ihren Platz? 

Konstantin Wecker: Bei jungen Leuten heißt es dann Slam Poetry, und natürlich schreiben die in den seltensten Fällen noch Sonette. Das Motto meines Lebens, das Lied meines Lebens, habe ich als  19-Jähriger geschrieben: „Ich singe weil ich ein Lied hab, nicht weil es euch gefällt“. Heute im Alter würde ich fast sagen: Ich singe, weil mich ein Lied hat.

Eine Zeile weiter heißt Ihr Liedtext von damals „…oder weil ihr es bei mir bestellt“. Es geht Ihnen also um das freie kreative Denken, den nicht auftragsgeprägten Künstler?  

Konstantin Wecker: Anfangs wollte mein Publikum immer nur „Willy“ von mir hören, das war halt mein bekanntestes Lied als ich noch unter 30 war. Die Hallen wurden immer voller bei meinen Konzerten und ich merkte, dass mein Publikum eine ganz bestimmte Erwartung hat. Da bin ich dann auf die Bühne und habe – ganz im Sinne von Hanns Dieter Hüsch, meinem Mentor – gesagt: „Ich bin es nicht! Ich bin auf keinen Fall der oder das, was ihr erwartet habt!“ Das habe ich durchgezogen, dass ich auch entgegen den Erwartungen meines Publikums das, was in mir brannte, raus gelassen habe. Und wie schön ist es, ein Publikum zu haben, das dies über Jahrzehnte auch mitgemacht hat. 

Sie haben wiederholt von der Systemrelevanz der Kultur gesprochen. Gerade die Kultur leidet ja in der Pandemie, zumal sie nicht im gleichen Maße gefördert wird, wie die freie Wirtschaft…

Konstantin Wecker: …und wie der Fußball  (lacht). Das Publikum ist wahnsinnig verunsichert. Es wurden so viele Konzerte verschoben, dann sind die Regeln in den verschiedenen Bundesländern oft unterschiedlich. Viele haben richtig Angst, Karten zu kaufen, was ich auch verstehe. Für die meisten Politiker ist Kultur nicht systemrelevant. Nur wenn es um ein Foto bei der Premiere in Bayreuth geht, das ist dann ganz wichtig. Es war interessant, ich habe in Bayreuth gespielt, als die Festspiele stattfanden. Ins Festspielhaus durften damals tausend Leute rein. Ich habe im Freien gespielt und da durften gerade mal 400 Leute mit Abstand zuhören.   Den meisten Politikern wäre es recht, wenn die Subkultur verschwindet und nicht mehr so viel mitreden will.

Weil die Subkultur für utopische Gedanken steht? So wie Ihr Traum der einer herrschaftsfreien Welt ist?

Konstantin Wecker: Das steckt dahinter, natürlich. Ich habe auch im Rahmen dieses Buches ganz viel recherchiert, zu meinem Thema Utopia, das mich ja schon seit Jahrzehnten umtreibt. Ich habe mich schon als sehr junger Mann mit Thomas Morus beschäftigt, weil ich Stefan Zweig sehr liebe. Über dessen Buch „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“ kam ich auf Morus. Das Buch von Stefan Zweig habe ich jetzt übrigens wieder gelesen – es ist atemberaubend schön. Zweigs Sprache  ist einfach hinreißend. Und natürlich habe ich Oscar Wilde verschlungen, der ja auch viel zu Utopia gesagt hat. Oder Dostojewski. Den Gedanken dieser herrschaftsfreien Welt, den findet man schon in der Odyssee, auch wenn er sich dort nicht Utopia oder anarchisch nennt. Wenn ich früher Dostojewski gelesen habe, war ich anschließend für ein paar Wochen ein besserer Mensch. Leider nur für ein paar Wochen (lacht).

Sie haben mal gesagt, Sie führen den Wahnsinn, der die Menschen umtreibt, zurück aufs Patriarchat. Sie haben es den `Narzissmus der Herrschenden` genannt. Ist der Gehorsam die Bedingung für Patriarchat und Narzissmus?

Konstantin Wecker: Darum war es auch eine Frau, nämlich Hannah Arendt, die den schönen Satz „Es gibt kein Recht auf Gehorsam“ geprägt hat. Ich meine damit diesen strukturellen Gehorsam, der vor allem immer durchs Militär geprägt wurde, dieser bedingungslose Gehorsam. Ich hatte einen wunderbaren Vater, der wirklich antiautoritär war. Ein kleines Wunder, denn er wurde 1914 geboren, in der Zeit der schwarzen Pädagogik. Ich habe bis zu seinem Tod nicht erfahren, was in seinem Leben passiert ist, dass er so ein sanfter und antiautoritärer Mann war und mich eigentlich zum Ungehorsam erzogen hat (lacht). Mein Vater hat den Kriegsdienst in der Nazizeit verweigert und wie durch ein Wunder überlebt.

Wie ist ihm das gelungen? Kriegsdienstverweigerer erwartete bei den Nazis die Todesstrafe. 

Konstantin Wecker: Er ist zum Glück, in die Klapsmühle gesteckt worden und kam nicht aufs Schafott. Er kam aus der Klinik bald wieder raus und er sagte zu mir: „Konstantin, ich war eingezogen, dann bin ich desertiert, denn ich hätte auf jemanden schießen sollen, den ich gar nicht kenne. So etwas tue ich nicht.“ (Lacht.) Übrigens habe ich den gleichen Satz später bei Oskar Maria Graf gelesen. Ich glaube ohne diese schwarze Pädagogik, ohne diese Dreckspädagogik hätte sich der Faschismus gar nicht installieren können. Die Leute waren so getrimmt auf diesen bedingungslosen Gehorsam. So etwas darf nie mehr wieder passieren. Ich komme aus einer echten Macho-Generation, das ist überhaupt keine Frage. Wir wurden insgesamt so geprägt, auch wenn ich von meinen Eltern anders erzogen wurde. Ich sehe da einen riesigen Unterschied zur heutigen Generation. Für sehr viele dieser jungen Menschen heute ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau eine Selbstverständlichkeit.     

Sind diese Erkenntnisse der Grund, warum Sie mit der Frau, mit der Sie früher verheiratet waren, jetzt ohne Trauschein zusammen leben?

Konstantin Wecker: Wir haben uns ja nie geschieden. Wir hatten uns nur mal getrennt. Aber klar könnten wir auch ohne Trauschein zusammen sein, keine Frage. Männer meiner Generation müssen schon versuchen, das, was wir intellektuell erkennen, auch tief in uns selbst zu verankern. Als ich den SS-Mann spielte in dem  Film „Wunderkinder“, hat dieser Dreh mein Leben nochmal verändert. Ein wunderbarer, antifaschistischer Film und ich habe die Drecksau gespielt. Da habe ich viele Mails bekommen, in denen ich beschimpft wurde: Wie kannst du als Antifaschist einen Faschisten spielen? Und einer schrieb (lacht): Wie können Sie als Antifaschist einen Faschisten spielen und auch noch so gut? Aber das Erschütternde für mich war, als ich merkte, ich muss das nicht spielen. Ich war in dieser Uniform für den Moment der Dreharbeiten dieser SS-Mann. Da hat sich etwas in mir gezeigt. Es gibt diesen Satz, „Niemand darf sich Antifaschist nennen, wenn er nicht den Faschisten in sich entdeckt hat“. Das ist ganz wichtig. Denn es wohnt alles in uns. Alles. Und wir müssen immer wieder aufpassen. Wie Hannes Wader zu mir auf einer gemeinsamen Tournee sagte: „Ich denke jeden Tag an den Holocaust“. Es ist wichtig, diese Kultur des Erinnerns weiter zu bewahren. Gerade auch für junge Menschen, die keine Ahnung haben, wie schrecklich eine Diktatur ist, was für Grausamkeiten da geschehen.  Das merkt man auch an solchen geschichtsvergessenen Menschen, wenn die sich bei Demonstrationen gegen das Maskentragen mit Sophie Scholl vergleichen. Das ist eine unglaubliche Geschichtsvergessenheit,  sonst würde man so etwas nicht wagen. Denn was mussten diese Menschen damals ertragen und was für einen unendlichen Mut hatten sie, wie großartig war das, was sie damals getan haben. Es ist so wichtig, immer wieder daran zu erinnern. Ich hatte das Glück, dass ich mit Esther Bejarano befreundet war, der Holocaust-Überlebenden aus dem Mädchenorchester in Auschwitz. Sie war mit über 90 noch mit mir auf der Bühne und hat „Sage nein!“ mit mir gesungen. Eine unglaublich tolle Frau. Sie hat immer wieder gesagt: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Diese Worte sind zur Zeit so sehr wichtig. Wenn man sieht, was die Trumpisten in Amerika anstellen, und von Erdogan über Orbán – mal ehrlich, das sind alles alte Machos! (Lacht.) Das geht ja seit Jahrtausenden so. Die männlichen Herrscher, die ja zu 99 Prozent Psychopathen oder Soziopathen waren und sind, von Caligula bis Trump, waren alle der gleiche Typus. Schon im deutschen Wort „Herrschaft“ stecken ja die Herren. 

Kann es sein, dass Sie sich auf Ihrem Album „Utopia“ erstmals mit dem Alter beschäftigen?

Konstantin Wecker: Ja, es ist mir auch gar nicht so angenehm gewesen, rein rational, dass sich viele meiner Gedichte mit dem Alter beschäftigen. Ich wollte es anfangs gar nicht so wissen. Mein Faust-Monolog – den ich übrigens auch mal vertont habe, aber er klingt einfach gesprochen besser – war eine schwere Geburt. Ich hatte Angst davor zu erkennen, was dabei heraus kommt. Man möchte sich ja im Alter irgendwann einmal angekommen sehen und nicht immer weiter fragen, wer bin ich. 

Glauben Sie denn, dass man irgendwann so angekommen ist, dass man sich diese Frage als kreativer Mensch nicht mehr stellt?

Konstantin Wecker: Ich glaube, dann ist man auch nicht mehr kreativ. Ich habe mir das oft überlegt. So wirklich weise Menschen, die monatelang auf irgend einem Berg meditieren, die schreiben auch nicht mehr.  

Einer Ihrer aktuellen Songs heißt „Schäm dich Europa!“. Wie sieht für Sie ein utopisches Europa aus?

Konstantin Wecker: Grenzenlos. Der europäische Gedanke war ja wunderschön, geboren aus den Schrecken des Krieges und des Faschismus. Es war ein guter und wichtiger Weg. Auch der von mir sehr geschätzte Jean Ziegler, dem ich auch ein paar mal persönlich begegnet bin, hat ja ein Buch geschrieben, „Die Schande Europas“, in dem es darum geht, wie die Geflüchteten behandelt werden. Das ist eine Katastrophe. Wir hätten das Geld, alle die leiden, die von den Waffen, die bei uns in Europa hergestellt wurden, kaputt geschossen oder verletzt werden, aufzunehmen. Was da an den Grenzen passiert, wie Menschen, die schon in Europa waren, wieder zurück gedrängt werden, obwohl sie nach Gesetz aufgenommen werden müssten, ist entsetzlich.

Können solche Zustände durch künstlerisches Engagement verändert werden? Oder eben doch nur auf politischer Ebene?

Konstantin Wecker: Ja wahrscheinlich. Aber ich bin Künstler. Ich habe oftmals die Möglichkeit gehabt in die Politik zu gehen, und ich habe mich immer geweigert. Genau aus dem Grund. Aber es gab ja schon immer schöne Ansätze. Zum Beispiel gab es sechs Tage in Deutschland, in der Bayerischen Rätepolitik, wo wirkliche Anarchos (lacht) am arbeiten waren. Ich habe übrigens auf meinem Album zwei Gedichte von Erich Mühsam vertont: „Sich fügen heißt lügen“ und „Der Gefangene“. Dass diese Rätepolitik damals kaputt ging, heißt nicht, dass die Idee schlecht war. Ich als Künstler versuche halt alles über die Kunst weiter zu tragen. Ich bin der Meinung, diese anarchische Sehnsucht nach einem herrschaftsfreien, liebevollen Miteinander, die darf als Idee einfach nicht verloren gehen. In der Kunst kann diese Idee weiter getragen werden, muss sie weiter getragen werden. 

Konstantin Wecker „Eine Konzertreise nach Utopia“, 16. Dezember 2021, Konzerthaus Freiburg