Verbrauchtes Land

Sind die Bauernproteste Ausdruck eines verstärkten Stadt-Land-Konflikts? Der zunehmende Flächenverbrauch jedenfalls braucht sozialen Ausgleich.

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Wenn im Zuge der jüngsten Bauernproteste Landwirt:innen mit ihren Traktoren Straßen und Autobahnen blockieren, sehen sie sich auch als Vertreter:innen des ländlichen, strukturschwachen Raums, der Abgehängten, der Peripherie. Den Streit um Agrardiesel, Subventionen und Erzeugerpreise erhöhen die protestierenden Bäuer:innen damit zu einer grundsätzlichen Frage nach Gerechtigkeit zwischen Stadt und Land.

Dabei gibt es die strikten Grenzen zwischen Stadt und Land kaum noch. Über die Jahre haben sich Übergangszonen gebildet, denn immer mehr Menschen, denen die Mieten und Lebenshaltungskosten der Städte zu teuer geworden sind, leben in Vor- und Schlaforten, die nicht Stadt oder Land sind, sondern ein graugrünes Mosaik aus Straßen und Vorgärten. Umgekehrt rückt die Landbevölkerung immer näher an die Städte, baut Eigenheime an Zufahrtsstraßen, um bei Bedarf schnell zum Arbeiten, Einkaufen oder Ausgehen zu kommen. Die Folge: Die Speckgürtel wachsen. Und auch der Flächenverbrauch.

Damit einher geht auch eine Angleichung von städtischen und ländlichen Standards. Dies lässt sich einer Umfrage des Umweltbundesamtes für 2017 auch in Sachen Energieverbrauch beobachten, wenn sich „zwischen Stadt- und Landbewohner:innen kaum Unterschiede feststellen“ lassen. Dieselbe Studie weist auf einen entscheidenden anderen Aspekt hin: „Wer mehr verdient, hat größere Wohnungen, fährt schwerere Fahrzeugklassen und generell mehr Auto, fliegt häufiger in den Urlaub und geht öfter ins Restaurant. So schaffen es Menschen mit mehr als 3000 Euro Einkommen pro Monat, fast doppelt so viel Energie zu verbrauchen wie Menschen, die mit weniger als 1000 Euro auskommen müssen – völlig unabhängig davon, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben.“

Dass die gesellschaftliche Spaltung weniger zwischen Stadt und Land verläuft, sondern deutlich mehr zwischen Arm und Reich, zeigt sich auch bei der sehr heterogenen Bauernschaft, innerhalb derer die Einkommensunterschiede immens sind. „Bundesweit verdienten Landwirte im Schnitt 115.400 Euro im Wirtschaftsjahr 2022/2023“, heißt es in einem SWR-Beitrag zu einem Bericht des Landesbauernverbandes Baden-Württemberg. Das bäuerliche Durchschnittseinkommen in Baden-Württemberg mit seiner eher kleinflächigen Landwirtschaft dagegen lag bei nur 77.013 Euro und dort wiederum bei den Obstbauern bei 39.621 Euro – das ist ein Drittel des bundesweiten Durchschnitts. Am oberen Rand der Einkommensskala stehen die Eigner:innen sogenannter Agrarholdings, Investoren, die teils riesige Flächen – insbesondere in Ostdeutschland – bewirtschaften und dafür noch ordentliche Subventionen einstreichen. Laut Landwirtschaftszählung 2020 bewirtschafteten Holdings 1,84 Millionen Hektar, also mehr als 11 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland. Dass davon allein die sieben landwirtschaftlichen Tochterunternehmen der Lukas-Stiftung mehr als drei Millionen Euro an Subventionen einstrichen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Gehört diese Stiftung doch der Familie Albrecht – also Aldi Nord und damit einem jener Unternehmen, die durch ihre Marktmacht die Preise für Milch und andere landwirtschaftliche Produkte diktieren.

Ganz ähnlich verhält es sich beim zweiten – immer wichtiger werdenden – ökonomischen Standbein ländlicher Regionen, der Energieerzeugung. Seit dem Aufschluss des Braunkohletagebaus 1978 in der Niederrheinischen Bucht wurden allein dort etwa 6.230 Hektar Landschaft „verbraucht“. Die großen Energiekonzerne erhielten laut einer von Green Planet Energy in Auftrag gegebenen Studie allein im Jahr 2022 für den Abbau von Braunkohle und die Stromerzeugung daraus rund 1,7 Milliarden Euro Förderung. Obendrein können die Konzerne die Grundstücke, die sie über die Jahre für den Braunkohleabbau nutzten, nun erneut verwenden, um dort etwa Wind- und Solarparks zu errichten – ohne die erheblichen Pachtzahlungen.

Steuert Deutschland also auf Landkonflikte zu? Der Flächenbedarf für Windparks ist vergleichsweise gering, weil auf den Wiesen und Feldern weiter Landwirtschaft betrieben werden kann. Mehr ins Gewicht fallen die großen Flächen, auf denen Energiepflanzen wie Raps und Mais wachsen, um sie als Biokraftstoffe zu verwerten. 

Nur wenn nicht bloß die großen Energiekonzerne an Wind- und Solarparks verdienen, sondern Bürgerenergiegenossenschaften und Kommunen dafür sorgen, dass das erwirtschaftete Geld in der Region bleibt, wächst damit die Akzeptanz für die Anlagen und sinkt so auch das Konfliktpotential. 

Der hier gekürzte Beitrag ist im Rahmen der EWS-Kampagne „Klimagerechtigkeit“ erschienen.
Mehr dazu unter: https://ews.jetzt/klimagerechtigkeit