Meine Wenigkeit weist den Weg

Friedrich Merz konstatiert nach den CDU-Wahlsiegen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, dass seine Partei „zurück auf Platz eins“ sei. Und die Strategie des Oppositionsführers heißt: Ich treibe den Scholz vor mir her.

Durch die neue schicke Brille von Friedrich Merz betrachtet, sieht die Sache so aus: Den kleinen Kanzler Scholz, den treibe ich vor mir her. Nach dem Wahlsieg seiner CDU in Nordrhein-Westfalen hat sich Parteichef Merz ja prompt in Bescheidenheit geübt: Solch ein Erfolg könne ein Vorsitzender „nicht allein“ erringen. Ergo: Er hatte wohl ein paar willige Helferlein, wie etwa die Spitzenkandidaten Daniel Günther in Schleswig-Holstein und Hendrik Wüst in NRW. Aber im Grunde genommen, so sieht das Merz, ist der Aufschwung der CDU seiner höchsteigenen Strategie des Kanzler-Bashing mit eingestreuter Staatsmännlichkeit zu verdanken. Und sowieso wäre der Scholz ja niemals überhaupt Kanzler geworden, wenn die CDU schon früher erkannt hätte, dass sie Friedrich Merz als Kanzlerkandidat hätte aufstellen müssen. Kann ja noch kommen, die neue Brille verleiht Merz ja ein geradezu jugendliches Aussehen, und nach der Wahl ist vor der Wahl. Ein schwarz-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl im Herbst 2025 flötet Friedrich Merz geradezu herbei, natürlich unter seiner Führung, durch seine Brille geschaut. Alles voll auf Zukunft, bei einem Gestrigen.

Die kommende Bundestagswahl ist noch lange hin. Und gerade die jüngsten Wahlsieger Daniel Günther und Hendrik Wüst könnten bis dahin dem CDU-Chef Merz eine Kanzler-Kandidatur streitig machen. Man kann ja konstatieren, dass die beiden Wahlsieger in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen für eine CDU stehen, die deutlich anders aussieht, als eine Merz-CDU aussähe: Daniel Günther steht gar für das Gegenteil der Merz-CDU. Und auch Hendrik Wüst achtete zuletzt sehr darauf, bloß nicht zu konservativ zu erscheinen. Die machen auf jung und aufgeschlossen, also tut Merz es auch. Seine neue Brille symbolisiert nach außen einen neuen Merz, der nicht mehr ein konservativer Hengst sein will, sondern Frauenquote und Nachwuchsförderung in den Blick nimmt. Man muss die Zukunft lesen können, wenn man das Image des aus der Zeit gefallenen Egozentrikers abstreifen will.

Aber hier und heute geht Merz zunächst in den Infight mit Olaf Scholz. Vielleicht auch genau deshalb. Sind es zwei Gestrige, die sich hier ein Duell liefern? Also zwei, die morgen nicht die Gestrigen gewesen sein wollen? Merz setzte nach dem Wahlsieg der CDU in NRW jedenfalls voll auf die Schmähkarte gegenüber Scholz. Er betonte völlig uneigennützig, dass die SPD ja in NRW flächendeckend mit Kanzler Scholz geworben habe und rechnete vor, dass damit die Partei „das schlechteste Wahlergebnis“ einfuhr, das die SPD nach dem zweiten Weltkrieg in Nordrhein-Westfalen erreicht habe. 

Das passt genau in seine bisherige Strategie als Oppositionsführer (was seine Aufgabe ist): Er stilisiert ein Duell Merz gegen Scholz und beteuert gleichzeitig, dass er stets bereit sei, sich als Staatsmann zu verhalten. Beispiel: Merz reiste ziemlich eigenmächtig nach Kiew, genau in dem Moment als Scholz sich weigerte, weil die Ukraine zuvor Bundespräsident Steinmeier ausgeladen hatte. Damit trieb Merz natürlich Scholz vor sich her, um dann aber gleichzeitig zu betonen, dass er staatsmännisch vermittelt habe (als quasi die Rolle des Bundeskanzlers übernommen habe): „Ich bin Präsident Selenskyj sehr dankbar, dass er meiner Bitte um eine Einladung des Bundespräsidenten gefolgt ist“, twitterte Merz. Übersetzt: meine große Wenigkeit hat den Weg für einen Besuch auch des Bundeskanzlers freigemacht. Also hopp, Scholz, hopp!

„Die CDU ist wieder zurück auf Platz eins unter den deutschen Parteien“, schrieb Merz nach dem Sieg in NRW. Er will derjenige sein, der den Weg in eine konservative Zukunft weist. Sein Brillengestell ist schwarz. Vielleicht für kommende CDU-Wähler zu schwarz.