Kann der Kanzler gut chinesisch?

Das China des Xi Jinping will beweisen, dass sein System den Demokratien des Westens überlegen ist und eine künftige Ordnung der Welt formen wird. Olaf Scholz reiste nach Peking, um sich ein eigenes Bild zu machen.

Eines muss man Olaf Scholz lassen: Er hat seinen eigenen Kopf und lässt sich nicht von dem abbringen, was er für richtig hält. Da kann es von allen Seiten Kritik hageln wie es will – Scholz zieht es durch. Je nach politischem Lager und sonstiger Interessenlage wird ihm das als Sturheit und Respektlosigkeit (Merz), als eine Art „Deutschland zuerst“ (Frankreich und die EU), oder aber auch als Unbeirrtheit und Führung (Scholz über Scholz) ausgelegt. Sicher ist jedenfalls, dass der Kanzler auch schwierige Missionen in Angriff nimmt, wie zuletzt seine Reise nach China. Er erklärte sein Vorgehen gegen alle Widerstände auch durchaus schlau. Es könnte sogar sein, dass Scholz es genau richtig machte, wenn er sich über die Bedenken und Interessen von Regierungspartnern (noch unerfahren) oder EU-Partnern (die im nationalen Eigeninteresse handeln) hinweg setzte. Die China-Reise war auf jeden Fall ein Ausrufezeichen des Olaf Scholz. Und als er sich mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping traf, konstatierte der Kanzler: „Es ist gut und richtig, dass ich hier bin.“

Vor seiner Reise nach Peking hat der Bundeskanzler einen Kurswechsel gegenüber China angekündigt. In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ begründete er das mit den Ergebnissen des Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas kurz zuvor. Die Bekenntnisse zum Marxismus-Leninismus hätten dabei deutlich breiteren Raum eingenommen als bei früheren Parteitagen. Dem Streben nach Stabilität des kommunistischen Systems und nationaler Autonomie komme künftig mehr Bedeutung zu. „Das China von heute ist nicht mehr dasselbe wie noch vor fünf oder zehn Jahren“, schreibt Scholz. „Es ist klar: Wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern.“ In dem „FAZ“-Beitrag beschrieb Scholz, was er sich unter einer neuen China-Strategie vorstellt. Er sei gegen eine wirtschaftliche Entkopplung. Einseitige Abhängigkeiten müssten aber abgebaut werden. „Wo riskante Abhängigkeiten entstanden sind – etwa bei wichtigen Rohstoffen, manchen seltenen Erden oder bestimmten Zukunftstechnologien –, stellen unsere Unternehmen ihre Lieferketten nun zu Recht breiter auf. Wir unterstützen sie dabei, zum Beispiel durch neue Rohstoff-Partnerschaften“, schreibt er. Für Scholz war die Reise auch aus einem anderen Grund wichtig: Er hoffte, dass Staatspräsident Xi Jinping seinen Einfluss auf Putin nutzt, um den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu beenden. Die Eskalationsgefahr sei erheblich, Putins Nukleardrohungen seien besorgniserregend, hieß es im Umfeld des Kanzlers. China habe da als Partner Russlands und als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat besonderes Gewicht.

Welche Kritik gab es an der Reise und von wem?

Zunächst richtete sich die Kritik gegen den Zeitpunkt der Reise von Scholz. Erst vor knapp zwei Wochen endete der Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Dort hat Staats- und Parteichef Xi Jinping mit einer historischen dritten Amtszeit als Generalsekretär seine Macht noch einmal ausgebaut. Bei demselben Parteitag hat Xi Jinping auch den Einsatz von Gewalt gegen Taiwan ausdrücklich offengehalten. Und dann gab es auch noch die verstörende Szene zu Beginn der Schlussveranstaltung in der Großen Halle des Volkes: der ehemalige Staatschef Hu Jintao wurde aus dem Saal geführt. Auf beschämende Weise und offensichtlich gegen seinen Willen.  Der Besuch von Scholz wirke daher wie eine Legitimierung des historischen Tabubruchs und sei außerdem ein deutscher Alleingang, lautete die Kritik in der EU, in den USA und sogar in der eigenen Ampel-Koalition (siehe dazu auch Seite 14). Der eilfertige deutsche Bundeskanzler wolle unbedingt der erste westliche Führer sein, der nach den Corona-Jahren in Peking vorspricht, hieß es vonseiten vieler Kritiker. Und dies beim Volksführer Xi, der sich gerade die Macht auf Lebenszeit gesichert hat und der den deutschen Kanzlerbesuch als Tribut eines wohlgesinnten Freundes aussehen lassen wolle.  Hinzu kommt: Einen Vorschlag des französischen Präsidenten Macron, ihn auf der China-Reise zu begleiten, um sozusagen als europäisches Duo aufzutreten, soll Scholz angelehnt haben. Das brachte ihm die Kritik ein, dass er lieber Vorteile für Deutschland aushandeln wolle, anstatt sich als Teil der EU zu verstehen und zu präsentieren. 

Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch sagte, es gebe ja Chinas Aggressionen gegen Taiwan, die Unterdrückung der Uiguren, die Tibet-Politik, um fortzufahren: „Wir können sehenden Auges beobachten, wie sich die Lage dort verschlechtert. So dass dieser Besuch zu einem – sagen wir mal – sehr interessanten Zeitpunkt kommt.“ 

Die Lage in China ist eine neue.

Das China des Xi Jinping ist ein neues und anderes  China. Dahinter steht ein fundamentaler Wandel in der Natur des Regimes: Denn Xi hat die Ein-Mann-Diktatur und die Ideologie zurückgebracht. Er stellt politische Kontrolle über das Wohlergehen der Wirtschaft. Er hat, erstmals seit Mao Zedong, aus China wieder einen totalitären Staat gemacht. Vor allem aber ist dieses China des Xi Jinping seit Jahren schon eines, das in den liberalen Demokratien den ideologischen Feind sieht. Der Wettstreit der Systeme ist zurück. Xis China ist angetreten zu beweisen, dass sein System den Demokratien des Westens überlegen ist – und dass es die künftige Ordnung der Welt formen wird.

Was hat Scholz mit seinem Besuch erreicht?

Der Kanzler hat sich in Pose geworfen, als er sagte, dass seine Reise gut und richtig gewesen sei. Die großen Krisen könne man nur gemeinsam bewältigen. Um das deutlich zu machen, sei er nach Peking gereist, ergänzte Olaf Scholz.

Chinas Staatschef Xi Jinping erklärte: „Als einflussreiche Großmächte sollten China und Deutschland in dieser chaotischen und sich verändernden Situation zusammenarbeiten, um einen größeren Beitrag zum Weltfrieden und zur Entwicklung zu leisten.“ Klingt positiv vage. Aber Deutschland als „Großmacht“ zu bezeichnen, vor allem gemessen an China und dessen neuem Selbstverständnis, könnte auch eine Spur von Spöttelei enthalten haben.

Es ist noch nicht abzuschätzen, was unterm Strich beim Scholz-Besuch in Peking tatsächlich raus kam. Festhalten kann man, dass Olaf Scholz in China öffentlich bei Pressekonferenzen die Dinge ansprach, die er ansprechen wollte und wohl auch musste, um in den Augen seiner westlichen Verbündeten nicht als reiner Wirtschaftsreisender zu gelten. Denn klar ist auch: China ist Deutschlands größter Handelspartner, zuletzt lag der beiderseitige Umsatz bei 246 Milliarden Euro pro Jahr. Rund eine Million Arbeitsplätze hängen in Deutschland am China-Geschäft. 

Scholz hat bei seinen Statements in China ausführlich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gegeißelt und seine verheerenden Folgen für Europa und die ganze Welt dargelegt – verbunden mit dem Appell an China, sich seiner Verantwortung für den Frieden zu besinnen. So hat das in Peking vermutlich noch niemand gesagt. Insofern trat Scholz auch als Vertreter der „freien Welt“ auf und hat damit Ansichten anderer Art zu Gehör gebracht. Er machte auch klar, dass die Europäer die von Russland verbrecherisch überfallenen Ukrainer nicht auf Geheiß aus Amerika unterstützen, sondern in einem Akt der Selbstverteidigung gegen Putin, den Zerstörer der friedlichen Ordnung in Europa. Alles Worte, die in China nicht oft gehört werden. Deshalb auch wichtige Botschaften. Inwieweit diese dann in den chinesischen Staatsmedien zensiert wurden, ist eine andere Frage.

Scholz hat öffentlich auch etliche andere  Streitthemen angesprochen. Er hat mehr Augenhöhe verlangt in den Wirtschaftsbeziehungen. China predigt permanent Offenheit, schottet sich selbst aber ab. Er hat vor einem gewaltsamen Vorgehen gegen Taiwan gewarnt. Und er hat die grausame Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang zumindest vorsichtig angedeutet, als sagte, dass Menschenrechte „keine inneren Angelegenheiten“ sind.

Aus Pekinger Sicht war aber entscheidend, dass Scholz mit zwölf deutschen Unternehmensbossen im Tross seine Aufwartung gemacht hat.  Ganz wie Vorgängerin Angela Merkel, die zwölf Mal in China war. Die Staatsmedien betonten denn auch die Zusage von Scholz, an den engen bilateralen Beziehungen festzuhalten.

Weshalb es sich gelohnt haben könnte.

Xi sagte im Beisein von Scholz: „Der Einsatz von nuklearen Waffen oder die Drohung damit muss abgelehnt werden.“ Vielleicht hat Scholz einen Anteil daran. Wenn Xi Jinping das auch Putin klarmacht, lohnt sich jede Reise.