Wenn der Wind die Sinne weckt – Zwischen Klang und Stille
Der Herbst ist die Jahreszeit der Übergänge. Zwischen Licht und Dunkel, Wärme und Kälte, Blühen und Vergehen. Es ist eine Zeit, in der sich die Natur langsam zurückzieht – und zugleich eine Zeit, in der das Ohr aufmerksamer wird. Denn wenn die Welt sich visuell beruhigt, beginnt sie auf eine andere Weise zu sprechen: durch das Rauschen der Blätter, das Pfeifen des Windes, das entfernte Rufen der Vögel, die sich auf den Weg machen. Wer jetzt genau hinhört, hört mehr – oder bemerkt vielleicht auch, dass ihm manches entgeht.
Hören ist ein leiser Sinn. Anders als das Sehen, das greift, fixiert, einordnet, ist das Hören offen. Es lässt sich nicht abschalten. Selbst in der Nacht, im Schlaf, bleibt das Gehör wachsam. Es verbindet uns mit der Welt, auch wenn wir die Augen schließen. Und doch: Viele nehmen erst in den stilleren Monaten wahr, dass bestimmte Geräusche nicht mehr so klar, nicht mehr so nah wirken wie früher. Das feine Knistern, das ferne Zwitschern, das sanfte Flüstern – sie scheinen manchmal verschwommen, fern oder gar verschwunden.
Gerade im Herbst, wenn Nebel die Sicht trübt und das Licht früher schwindet, gewinnt das Ohr an Bedeutung. Der Wind wird zum Erzähler, der durch Straßen und Wälder zieht und die Dinge zum Klingen bringt – für jene, die ihn noch hören. Wer auf einem Waldweg geht, spürt den Untergrund, sieht das Farbenspiel der Blätter – aber hört er auch noch, wie sie fallen?
Doch Hören ist nicht nur passiv. Es ist ein aktiver Vorgang. Wer hört, nimmt Anteil. Lauschen heißt: sich einlassen, sich öffnen, aufmerksam werden für Zwischentöne. In einer Welt, die oft vom Visuellen dominiert ist, erinnert uns der Herbst daran, wie vielschichtig Klang sein kann – und wie eng er mit Emotion, Raum und Körper verbunden ist. Vielleicht wird genau das im Herbst spürbarer, weil die Geräusche weniger werden – oder weil man beginnt zu ahnen, wie viel einem entgeht, wenn das Ohr nicht mehr mithält.
Hören schafft Nähe – auch über Distanzen. Der Klang eines Schrittes auf Kies, das Zuschlagen einer Tür, ein vorbeifahrender Zug in weiter Ferne: All diese Geräusche erzählen von Leben, auch wenn es außerhalb unseres Blickfelds stattfindet. Und wenn wir sie nicht mehr klar erkennen, verändert sich auch unser Raumgefühl, unser Sicherheitsgefühl, unser Alltag. Gerade der Herbst, der oft mit Rückzug, Melancholie und innerer Einkehr verbunden ist, ruft uns dazu auf, das Ohr zu schärfen – nicht nur im übertragenen Sinn.
Vielleicht liegt darin auch eine stille Weisheit dieser Jahreszeit: In der Reduktion liegt Reichtum. Wenn die Farben verblassen, das Licht weicher wird und das Leben draußen langsamer, beginnen wir, differenzierter zu hören – oder vermissen das Differenzierte. Und dann kann ein Gespräch mit einem Hörakustiker genauso wertvoll sein wie ein Spaziergang durch raschelndes Laub.
Hören im Herbst heißt also auch: sich selbst begegnen. In der Stille zwischen zwei Windböen. Im Takt des Regens auf dem Dach. In der Stimme, die draußen durch das Laub geht. Und in der Entscheidung, sich wieder mit der Welt der Klänge zu verbinden – ganz bewusst, ganz offen, ganz nah.