Die Grünen sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Auf ihrem Parteitag in Bonn wurde deutlich: Aus der ehemaligen Protestpartei ist eine Regierungspartei geworden. An der Stelle der Kritik am Establishment heißt es nun: Wir sind der Staat! Atomkraft, nein danke? – das war einmal. Es heißt jetzt: Okay, dann sollen Kernkraftwerke halt länger laufen dürfen. Waffenlieferungen an die Ukraine? – muss dringend sein, am besten noch mehr und noch schneller. Aus dem Slogan von grünen Gründertagen – „Frieden schaffen ohne Waffen“ – ist nichts mehr übrig. Das hat die Außenministerin Annalena Baerbock mittels einer Umdeutung so gesagt: „Wir unterstützen die Ukraine, nicht OBWOHL wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind, sondern WEIL wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind.“ Dafür wären früher Farbbeutel geflogen, wie einst auf Joschka Fischer, ebenfalls grüner Außenminister, und heute kriegt Baerbock für ihren verbalen Kniff „Standing Ovations.“
Parteichef Omid Nouripour beschrieb den Wandel der Grünen so: „Wir tragen diesen Staat. Wir tragen diese Demokratie.“ Es ist erstaunlich, wie Putins Krieg in der Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise die grüne Sprache verändert hat. Man könnte auch sagen, die Grüne Partei ist in der Realität angekommen, als Regierungspartei. Geräuschlos wurden urgrüne Themen auf dem Parteitag abgeräumt, es gab kaum kritische Stimmen, und wenn ja, erhielten sie höchstens Höflichkeitsapplaus, mehr nicht.
Klar ließ man die Klimaaktivistin Luisa Neubauer reden. „Was ist denn Realpolitik in der Klimakatastrophe? Scholz und Lindner, sie sind nicht die Realität. Friedrich Merz und sein Klimapopulismus ist es auch nicht“, sagte Neubauer auf dem Grünen-Parteitag in Bonn. „Katastrophen, für die wir keine Wörter haben – das ist die Realität.“ Im gleichen Zug appellierte Neubauer für mehr Engagement in der Klima- und Umweltpolitik. „Die Klimakrise wird nicht verschwinden, im Gegenteil. Lässt man sie nur kurz aus dem Blick, kommt sie mit zehnfacher Wucht zurück“, so Neubauer. Dafür gab es viel grünen Beifall. Doch was da an Applaus toste war wie ein Relikt an das Urgrüne, während gleichzeitig auf dem Parteitag lauter Dinge beschlossen wurden, die dem Urgrünen zuwider laufen.
So stimmten die Delegierten der sogenannten Einsatzreserve für zwei Atomkraftwerke im Süden des Landes zu, so wurden Waffenlieferungen an Saudi-Arabien zwar verurteilt und irgendwie der Vorgängerregierung angelastet, aber es soll sie künftig weiter geben, denn europäischen Rüstungsprojekten kann und will man sich halt nicht verweigern. Außerdem ist ja Energiekrise und will man offenbar Kanzler Scholz nicht in den Rücken fallen, der kürzlich eine Reise zu den Saudis tat, um dort um Gas zu betteln. Kurzum: Man ist eben staatstragend statt aufmüpfig.
Sind das noch Grüne? Wo sind sie geblieben, die streitbaren, lauten Ökofundis, die Pazifisten, die gegen Atomkraft, gegen Waffenlieferungen, egal in welches Land kämpfen, die streiten, wenn’s sein muss, auch lautstark und bis tief in die Nacht hinein? Na ja, wenigstens einen Hauch davon kam auf, als die Berliner Delegierte Jenny Laube sagte: „Für Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien gibt es keine Notwendigkeit, dafür gibt es keine Rechtfertigung. Und wenn jemand sagt „vertragliche Verpflichtungen“, dann sage ich: Bullshit!“
Die mit den „vertraglichen Verpflichtungen“ kam, die man nicht einfach ignorieren könne, war übrigens Annalena Baerbock gewesen. Sie repräsentiert den überbordenden neuen Slang bei den Grünen: Von „Verantwortung“ ist ständig die Rede, oder von „Haltung“ in schwerer Zeit. Na, das wird die Saudis doch freuen, die im Jemen dann die Waffen aus Deutschland einsetzen, um dort jede „Haltung“ zu brechen.
Keine Frage, Robert Habeck und Annalena Baerbock gehören derzeit insgesamt zu den überzeugendsten deutschen Politikern. Aber ganz klar ist auch: Die Grünen streben nach der Macht. Sie nennen es „Gestaltungsmacht.“ Derzeit mit Atom, Braunkohle und Panzern. Soll der Zukunft dienen. Am besten einer unter grüner Regierung, gell?