Gelber Retter in der Finsternis

Die kleine deutsche FDP stellt sich auffällig häufig gegen Großprojekte der EU. Und sie macht dies stets in letzter Minute, weil sie glaubt dadurch mehr Aufmerksamkeit ihrer Klientel zu bekommen.

Fotomontage: Adrian Kempf

Zu den großen Errungenschaften der Menschheit gehören die Nutzbarmachung des Feuers, die Erfindung des Rads und der Hebel. Jetzt, was ist ein Hebel?  Ja, pass auf, das führt gerade die FDP auf großer europäischer Bühne vor. Und der Hebel, der geht so: Die FDP als kleinste der drei Parteien, die in Deutschland die Ampel-Regierung bilden, verweigert ihre Zustimmung zu dem in der EU geplanten Lieferkettengesetz. Dadurch werden die beiden anderen, größeren Parteien, also SPD und Grüne gezwungen, dass gegen ihren Willen sich Deutschland bei der Abstimmung in der EU enthalten muss. Dies wiederum kann dazu führen, dass das gesamte geplante Gesetz auf der Kippe steht, weil sich der Enthaltung Deutschlands auch andere europäische Staaten anschließen werden. Ein Hebel ist also, wenn die kleine deutsche FDP ein groß angelegtes europäisches Gesetz zu Fall bringt.

Das Lieferkettengesetz war eigentlich fertig ausverhandelt, das Parlament, der Rat der Mitgliedstaaten und auch die EU-Kommission waren damit einverstanden. Und dann kommt die deutsche FDP um die Ecke und blockiert das Gesetz im letzten Moment. Warum so spät, wo es doch über Monate Möglichkeiten gab, sich in die Verhandlungen einzubringen? Das ist kein Zufall, sondern der Hebel aller Hebel.

Wie das? Die Minister für Finanzen und Justiz, Christian Lindner und Marco Buschmann, haben also spät festgestellt, dass sie den Kompromiss nicht mittragen können. Sie halten ihn für Firmen für zu bürokratisch, zu weitreichend, in letzter Konsequenz zu riskant. Über Monate hat sich das Justizministerium in die Verhandlungen einbringen und so auch einiges erreichen können. Nun legt es sein Veto ein. Deutschland muss sich enthalten, was, wie beide Minister in einem Brief an Wirtschaftsverbände betonen, „im Ergebnis wie eine Nein-Stimme wirkt“. Und damit wird die Absicht der FDP klar. Sie will ihrer Klientel klar machen, dass nur die FDP allein für sie einsteht. Und sie macht das zum spätest möglichen Zeitpunkt, um den Effekt zu erhöhen. Wenn die Wirtschaftsverbände bereits glaubten, dass bezüglich des EU-Gesetzes wohl nichts mehr zu machen sei, dann wirkt das Nein der FDP wie ein gelber Retter in finsterstes Nacht.

Für die EU ist diese „deutsche“ Entscheidung ein Desaster. Wie soll künftig die Kompromissarbeit zwischen Parlament, Rat und Kommission noch funktionieren, wenn sich große Mitgliedstaaten wie Deutschland in letzter Minute enthalten – und monatelange Arbeit mit einem Federstrich zunichtemachen. Schon einmal, es ging um die Zukunft von Verbrennermotoren, hat die FDP diese Art Notbremse gezogen. Das beschädigt erstens europäische Institutionen in grober Weise und es führt natürlich zweitens auch dazu, dass sich Deutschland als führende Nation in der EU unglaubwürdig macht. Die EU musste die geplante Abstimmung über ein umstrittenes europaweites Lieferkettengesetz verschieben, nachdem Deutschland nicht mehr mit Ja stimmen konnte.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte noch versucht, einen Kompromiss mit seinen FDP-Kollegen auszuhandeln. In Deutschland gibt es ja bereits ein Lieferkettengesetz, die geplante EU-Richtlinie würde aber darüber hinausgehen. Sie stärke die Menschenrechte in internationalen Handelsbeziehungen, sagte Heil. Und weiter: eine solche Richtlinie schaffe „einheitliche Wettbewerbsbedingungen in ganz Europa“. Damit sei sie „im Interesse der deutschen Unternehmen.“ Ist ja logisch: Wenn es in Deutschland ein solches Gesetz gibt, in anderen Ländern Europas aber nicht, dann ist das ja eher ein Wettbewerbsnachteil. Heil sprach von „einer ideologisch motivierten Blockade der FDP.“

Natürlich ist es legitim, wenn die FDP die Interessen deutscher Unternehmen im Sinn hat.  Aber liegt es in deren Interesse, wenn schwarze Schafe in der Lieferkette mit Kinderarbeit (wenn diese in Mienen in Indien schuften müssen) operieren? Oder mit Zwangsarbeit? Eher nicht. Weil die Konsumenten in Europa das gar nicht mögen. Unternehmen haben am Ende mehr Kunden, wenn sie da transparent sind.