Eine klare Ansage ist nötig, Interview mit Volker Lenz

Der Wärmeexperte Volker Lenz fordert ein klares Bekenntnis der Politik zur Energiewende. Forschungstechnisch sei die komplette Umstellung möglich.

Volker Lenz ist zu Fuß unterwegs, als wir per Telefon unser Gespräch führen. Der promovierte Diplom-Ingenieur und Diplom-Energiewirt ist beim Deutschen Biomasseforschungszentrum gemeinnützige GmbH (DBFZ ) mit Sitz in Leipzig tätig und wirkte als Referent bei der Jahrestagung des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien (FVEE) in Berlin mit, wo gerade neue Strategien und Technologien präsentiert wurden, die eine Wärmewende technisch, wirtschaftlich und politisch voran bringen sollen. 

Kann eine Wärmeversorgung auch in Kriegs- und Krisenzeiten ökologisch und sozialverträglich sein? Oder muss man dann froh sein, wenn die Regierungen bei fragwürdigen Staaten Energie einkaufen, damit jeder sein Haus warm bekommt?

Volker Lenz: Das ist eine komplexe Fragestellung. Sozialverträglichkeit ist ja immer eine Gestaltung der Regierung. Bestes Beispiel: Gibt man eine Energiepauschale von 300 Euro an jeden der Einkommen hat oder verteilt man das Geld, das man ausgeben will, eher an die tatsächlich Bedürftigen? Und lässt dabei jene, die die finanziellen Mittel dazu haben, den Anreiz spüren tatsächlich umzurüsten. Zur Frage der Versorgungssicherheit: Bei den Alternativen zu der relativ starken Gasnutzung in Deutschland muss man zwischen kurz- und mittelfristig unterscheiden. Allein wegen der knappen Hersteller- und Personalkapazitäten kann man natürlich nicht von heute auf morgen jede Gastherme gegen eine Wärmepumpe oder Ähnliches austauschen. Insofern muss man als Regierung natürlich darauf achten, für die nächsten zwei bis drei Jahre beim Gas eine Versorgung zu gewährleisten. Andererseits ist es aber auch wichtig, weiterhin den finanziellen Anreiz zu bieten, Energiesysteme zeitnah umzustellen.

Aber viele Menschen können sich ja angesichts der steigenden Kosten eine Umrüstung derzeit einfach nicht recht leisten. 

Volker Lenz: Ja, aber man muss natürlich schauen, wo liegt das Eigentum. Beispielsweise mit Wohnungsbaugesellschaften gibt es auch Eigentümer, die viele Wohnungen gleichzeitig besitzen und die damit kreditwürdig sein dürften und damit eine Finanzierung bewerkstelligen könnten. Denn wir haben auch schon vor den gestiegenen Energiepreisen gesehen, dass auch mit wenig Zuschüssen in diesen Bereichen wirtschaftliche Lösungen möglich sind. Wir kommen ja nicht flächendeckend in die Situation, dass die Erneuerbare Wärme in den Gesamtkosten sehr viel teurer sein muss als wir es bisher kannten. Es ist eher eine Investitionsfrage. Doch da gebe ich Ihnen natürlich recht, dass die Menschen, die sich  ihr Leben lang das Haus von den Lippen abgespart oder jetzt ein gewisses Alter haben und kurz vor der Rente stehen, keine Kredite mehr bekommen. Da wäre meine Empfehlung, dass die Politik Bürgschaften bereitstellt, um die Kreditfähigkeit zu sichern. Ein privates Beispiel:  Ich habe mir mit meiner Frau vor 17 Jahren eine PV-Anlage gekauft, die quasi komplett über die EEG-Förderung finanziert wurde. Es war nur die Frage, bekomme ich den Kredit oder nicht. Und so ist es auch bei vielen Sanierungsmaßnahmen oder beim Heizungsaustausch. Zunächst ist da eine höhere Investition, aber über die Laufzeit von 20 bis 25 Jahren rechnen sich diese – vor der Energiekrise noch mit Zuschüssen und mittlerweile auch immer öfter ohne diese. 

Wie weit ist denn nun tatsächlich die Technologie für eine umfassende klimaneutrale Energie und Wärmeversorgung?

Volker Lenz: Auf der Forschungsseite ist mit Sicherheit ein Stand erreicht, der es ermöglicht eine komplette Umstellung zu realisieren. Wo noch viel Forschungsbedarf identifiziert wurde,  sind eher die Fragen, wie bekommt man das schnell hin, wie macht man es kostengünstig und wie kann man an der ein oder anderen Stelle Lösungen noch verbessern. Aber auf diese Antworten muss man jetzt nicht fünf oder zehn Jahre warten. 

Wenn die früheren Regierungen anders gefördert hätten oder es nie zu einem Förderstopp regenerativer Energien gekommen wäre, würden wir  dann in der Entwicklung schon weiter sein?

Volker Lenz: Ich bin mir nicht sicher, ob das allein an den Förderungen hängt. Ich glaube der viel entscheidendere Punkt, den wir in der Vergangenheit gebraucht hätten und auch für die Zukunft brauchen ist ein klares Bekenntnis der Politik für die Notwendigkeit, eine vollständige Transformation zu realisieren. Das Klimaschutzgesetz wurde ja erst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verschärft, davor war man ja immer noch davon ausgegangen, dass wir bis 2050 irgendwo zwischen 80 und 95 Prozent CO2 einsparen werden. Das zeigt eine extrem zögerliche Haltung, die natürlich für alle Akteure irritierend ist. Da ist mein deutliches Votum, man braucht eine klare Aussage, auch für die Industrie und die Haushalte, wo die Reise hingeht. Meine Erfahrung ist, wenn die Industrie ein klares Signal bekommen hat, dann eiert die nicht mehr rum, dann werden neue Geschäftsmodelle gesucht und sie stellt sich um.  

Die Regierung bringt nun immer wieder die Versorgungssicherheit ins Spiel. Ist diese tatsächlich mit regenerativen Energien allein gefährdet?

Volker Lenz: Im Grunde weiß jeder, der sich mit erneuerbaren Energien beschäftigt wahrscheinlich schon seit 30 bis 50 Jahren, dass insbesondere Wind- und PV-Anlagen fluktuierend erzeugen und ihre Vollbenutzungsstunden übers Jahr natürlich viel kleiner sind als bei einem Kohle-oder Atomkraftwerk. Daraus folgt, dass man eine deutlich höhere Leistungs-Überbauung braucht, d.h. statt eines Atomkraftwerks mit 1800 Megawatt braucht man für die gleiche Energiemenge aus Windkraft in Deutschland etwa 7000 Megawatt. Das ist bekannt und braucht Zeit. Es ist also eine Transformation im Laufenden, wo man die Erneuerbaren ausbaut und die fossilen Energieträger sukzessive zurück drängt. In der letzten Bundesregierung hatte man stark auf Gas gesetzt, um die Bedarfsspitzen abzudecken, doch seit einigen Jahren ist man national wie international dran, auch Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu implementieren, um für die letzten fünf bis zehn Prozent, die natürlich schwierig allein über PV und Wind abzudecken sind, Versorgungssicherheit zu garantieren. Das ist technisch möglich und mit einem etwas früheren Beginn hätte man die Zeit gehabt, das vernünftig und in aller Ruhe umzusetzen.  

Wie lange wird es denn nun dauern, bis wir ausreichend regenerative Energien haben werden?

Volker Lenz: Ich bin kein Spezialist für den Strom und den Kraftstoffsektor. Ich kann es nur aus Sicht der Wärme sagen, und da wissen wir, dass die typischen, technisch bedingten Austauschzyklen von Heizanlagen bei 15 bis 20 Jahren liegen, in der Realität eher 25 bis 30 Jahre. Wenn also heute klipp und klar gesagt würde, wir machen nur noch erneuerbare Energien – zum 1.1.2024 muss ja jedes neue Heizsystem nun schon mal zumindest 65 Prozent erneuerbare Energie haben – dann könnte man dies mit gewissen Anreizen und Förderungen in den nächsten 20 Jahren  komplett umsetzen. Dazu müsste man aber auch klar an dieser Linie festhalten und verlangen, dass wenn etwas umgestellt wird, es zu 100 Prozent erneuerbare Energie sein muss. Und keine Wischi-Waschi-Kompromisse. Vieles hängt auch ganz stark davon ab, was wir noch für Krisen in den kommenden Jahren erleben. Wenn wir in der angenehmen Wohlstandswelt der letzten 20, 30 Jahre bleiben würden, dann könnte das Umstellen aber auch 50 Jahre oder länger dauern. 

Aber auch rund 20 Millionen Einzelheizungen müssten noch von fossiler auf erneuerbare Energie umgestellt werden?

Volker Lenz: Nimmt man diese Zahl über 20 Jahre, dann bedeutet das eine Million Anlagen pro Jahr würden erneuert. 2021 wurden etwas über 900.000 neue Heizanlagen installiert.  Es ist also keine Zahl, die völlig aus der Realität fällt. Natürlich müssen die großen Hersteller von Heizanlagen ihre Werke insbesondere für Wärmepumpen umbauen oder neue Werke aufbauen. Da sind sie auch dran. Das wird noch zwei bis drei Jahre dauern, bis diese mit voller Kapazität am Laufen sind. Und dann müssen wir natürlich intensiv an Standardisierungen arbeiten, an digitalen Hilfsmitteln, um die Fachkräfte, die wir haben, mit möglichst hoher Effizienz einzusetzen. Denn es stellt sich die Frage, ob ein hochqualifizierter Heizungsbauer, der die ganze Elektronik macht, auch all die Rohre und Anschlüsse verlegen muss oder ob da auch eine Hilfskraft eingesetzt werden kann. Und selbst handwerklich geschickte Hauseigentümer könnten so dann zumindest Teile der Arbeit übernehmen. 

Gerade auch die Industrie hat ja einen hohen Gasverbrauch. Wie schnell könnte die sich denn umstellen?

Volker Lenz: Also die Industrie stellt sich, wenn es sein muss, innerhalb von zwei, drei Jahren um. Bei den jetzigen Gaspreisen würden wahrscheinlich viele Industrieunternehmen heute schon Wasserstoff nutzen, und wenn sie nur Wärme im Gaskessel erzeugen auch mit wenig Kosten und Aufwand relativ schnell umrüsten.  Schwieriger wird es, wenn man von einer Gasnutzung auf Strom umstellen will, weil dann teilweise umgebaut oder neue Produktionsstätten errichtet werden müssen. Aber viele Unternehmen sind sowieso im Reinvestitionszyklus und wenn man denen eine klare Perspektive bieten kann – und da sind wir wieder bei der klaren Aussage der Politik – sowie eine gewisse finanzielle Hilfe, auch mit verbürgten Krediten, um durch Finanzengpässe hindurch zu kommen,  dann könnte auch das in dem genannten 20-Jahre-Zeitraum komplett abgeschlossen werden.

Wie ist Ihre Prognose, werden die Preise für fossile Energie in den kommenden Jahren wieder sinken? 

Volker Lenz: Also wenn ich die Frage nach dem Energiepreis beantworten könnte, wäre ich ein gemachter Mann (lacht). Das lässt sich absolut schwer einschätzen, weil unklar ist, wie sich Lieferketten in der Welt verschieben. Zudem ist unklar, wie weit die Rohstoffangebote weiter eingeschränkt werden. Es ist ja auch gerade schwer abzusehen, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Üblicherweise fangen sich nach Krisen die extremen Ausschlagsspitzen wieder. Wenn wir nicht einen weltweiten massiven Wirtschaftszusammenbruch bekommen oder sich das Kriegsgeschehen weiter ausweitet, werden die Preise sehr wahrscheinlich wieder fallen. Aber durch eine hoffentlich vorausschauendere Politik wird der Preis wohl nicht mehr auf das Vorkriegsniveau sinken.  

Wäre eine jährlich angepasst steigende CO2-Steuer Ihrer Ansicht nach sinnvoll?

Volker Lenz: Wenn man die Umstellung auf erneuerbare Energie konsequent vorantreiben will, ist die CO2-Steuer ein sehr direktes Instrument, um fossile Energien im Preis hoch zu halten und damit automatisch die Wirtschaftlichkeit für Erneuerbare zu verbessern. Und die CO2-Steuer bietet natürlich für den Staat die große Chance, soziale Unverträglichkeiten abzufedern. Zum Beispiel könnte man damit ein Garantie- oder Bürgschaftsprogramm schaffen, mit dem Hauseigentümer, die einen Kredit nicht zurückzahlen können, aufgefangen werden.

Bekommen wir die Klimakrise noch bewältigt mit einer Energiewende oder lässt sich der globale Temperaturanstieg nicht mehr ausbremsen?

Volker Lenz: Wenn ich Letzteres glauben würde, dann würde ich jetzt auf den Bahamas liegen und meine letzten Tage genießen. 

Aber es könnte doch auch sein, dass es Sie in Ihrem Leben gar nicht mehr so konkret trifft, aber dann die folgenden Generationen? 

Volker Lenz: Nein. Wenn wir die Klimakrise nicht auf die Reihe bekommen, dann trifft das uns noch. Das wird dann in den nächsten 20 Jahren ganz verheerend. Wenn Sie an das Ahrtal-Hochwasser denken, an die Brände in der Lausitz, das sind auch volkswirtschaftliche Schäden, die zur Zeit noch über Versicherungen und  durch den Staat zu großen Teilen kompensiert werden. Wenn sich das aber verfünffacht oder gar verzehnfacht, dann ist selbst ein reiches Land wie Deutschland sehr schnell nicht mehr in der Lage, solche Schäden zu kompensieren. Dann bricht eine Gesellschaft zusammen. Oder muss in ihrem Niveau ganz schnell eine andere werden.  Und wenn wir nicht ganz intensiv an der Wende hin zur Klimaneutralität arbeiten, wird das passieren. Letztlich sieht man das ja auch an dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, das ist ein wissenschaftlich fundiertes Urteil und sagt letztendlich, wenn das Restbudget verbraucht ist, muss die Bundesregierung den Einsatz fossiler Energie verbieten. Und das von einem Tag auf den anderen, wenn sich bis dahin nicht genug getan hat.

Das ausführliche Interview können Sie unter www.barbarabreitsprecher.com lesen.