Der Kanzler hat den Grünen die Krise verordnet

In der Migrationspolitik werden vergiftete Angebote gemacht, einfache Lösungen suggeriert und peinliche Frontalangriffe gestartet. Dies wird dem komplexen Problem nicht gerecht.

Wer ganz einfache Lösungen für komplexe Probleme verspricht, ist ein Blender. Noch schlimmer ist es aber, wenn das Blendertum ganz gezielt zur Irreführung eingesetzt wird. Das ist dann schon eher Heuchelei. Dafür gibt es beim hochkomplexen Thema Migration derzeit einige Beispiele. Etwa wenn CDU-Chef Friedrich Merz dem Kanzler Olaf Scholz öffentlich zuruft: „Ich biete Ihnen an: Lassen Sie uns das zusammen machen“, sagte der CDU-Vorsitzende beim Parteitag der Schwesterpartei CSU in München. „Und wenn Sie das mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen – aber wir müssen dieses Problem lösen.“ Das klingt natürlich super easy, schon allein weil es „Lösung“ suggeriert. Da klopft der Merz dem Kanzler so lässig freundschaftlich auf die Schulter, dass es von ganz oben herab ist. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Merz sich mit seiner CDU hier als Juniorpartner in der Regierung anbietet?

 
Natürlich nicht. Mit seinem offensichtlich vergifteten „Angebot“ ätzt Merk nur gegen den Zusammenhalt in der Ampel-Koalition. Denn er weiß, dass kein anderes Thema besser geeignet ist, einen Pflock zwischen Rot, Grün und Gelb zu treiben. Die Haltung zu Migration und Asyl wird zur Identitätsprüfung, vor allem für die Grünen.  Doch ist dieses Schauspiel von Merk nicht doch eher ein billiger Taschenspielertrick? Auch CSU-Chef Markus Söder mochte beim Blender-Spiel nicht fehlen. „Wir sagen ‚Ja‘ zu einem Deutschland-Pakt gegen unkontrollierte Zuwanderung“, sagte Söder – in Anspielung auf jenen Pakt, den der Kanzler unlängst im Bundestag zur Renovierung des Standorts Deutschland ausgerufen hatte. Und Söder hat gleich auch eine einfache Lösung parat: Die „Integrationsgrenze“ (ein neuer Name für die gute alte „Obergrenze“), die er bei 200.000 Asylsuchenden pro Jahr sieht. Prima. Und wer sagt es dem 200.001 Flüchtling, der an der Grenze Asyl beantragt? Die Idee ist rechtlich gar nicht möglich, solange man bestehende Gesetze als Rechtsstaat respektieren mag, weder national in Deutschland noch in der EU und nicht einmal jenseits des Asylrechts aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention, der Deutschland ja beigetreten ist. Will man das alles missachten, Rechtsstaat und Demokratie abschaffen, dann gibt es dafür einen Namen: AfD! Und wenn Söder, zum Beispiel bei „Anne Will“ zugeschaltet, landesväterlich raunt, dass er bereits „leichte Anfänge von Weimar“ spüre, also deshalb: „Integrationsgrenze“, dann beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn Söder fördert dadurch das Gedankengut der AfD mehr als er es bekämpft.

Wo innerhalb der Ampel ganz verschiedene Ansichten zur Flüchtlingspolitik herrschen

Bijan Djir-Sarai, der Generalsekretär der FDP, ist für eine „parteiübergreifende Lösung“, er sieht dafür aber einen Gegner in der eigenen Regierungskoalition. „Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln“, sagte Djir-Sarai.

Ist natürlich Hammer. Denn auch hier wird wieder suggeriert, dass ein „konsequentes Regierungshandeln“ ja leicht möglich sei, wenn man es nur wolle. Angesichts der Komplexität des Themas ist das reines Blendwerk. Und man darf schon unterstellen, dass dies mal wieder der eigenen Profilierung der Partei dienen sollte. Grünen-Co-Chef Omid Nouripour warf der FDP dann auch umgehend vor, mit dieser Äußerung „die Untergrenze des Anstands zu verletzen“ und fügte an, dass sein 14jähriger Sohn so etwas „ehrlos“ nennen würde.

Also Piffpaffpuff, Puffpaffpiff, um es mal in der Comicsprache zu sagen. Beim Thema Migration steht es in der Ampel wie so oft 2:1 für FDP und SPD gegen die Grünen. Genau deshalb haben Merz und Söder ja in dieser Wunde der Regierung mal schön nachgebohrt. Und der Kanzler? Dazu später.

Um was geht es bei den Vorwürfen gegenüber den Grünen?

Die Grünen mühen sich in der Flüchtlingspolitik, wie bei so vielen Themen, man könnte sagen: bis an der Schmerzgrenze ihres Selbstverständnisses. So hatte Vizekanzler Robert Habeck gesagt: „Wenn wir nicht wollen, dass der Rechtspopulismus dieses Thema ausbeutet, dann sind alle demokratischen Parteien verpflichtet, bei der Suche nach Lösungen zu helfen.“ Dies könne auch bedeuten, „moralisch schwierige Entscheidungen“ zu treffen, sagte Habeck. „Wir wissen, dass wir eine Verantwortung für den Zusammenhalt in diesem Land tragen.“ Seine Partei, sagt Habeck, sei zu pragmatischen Lösungen bereit, um den Zuzug bereits an den EU-Außengrenzen zu senken. Wenn die Grünen das Recht auf Asyl weiter schützen wollten, dann müssten sie „die Wirklichkeit annehmen und die konkreten Probleme lösen“. Und Annalena Baerbock hat sich mal wieder aus dem Fenster gelehnt, fast schon in Gegenposition zu Habeck. Sie blockierte eine weitere Verschärfung des Asylrechts, so lange sie konnte.

Es geht um die Arbeit der EU an der großen europäischen Asylrechtsreform, dem neuen Vorzeigeprojekt der europäischen Migrationspolitik. Dieses lag eine Weile auf Eis, und zwar wegen einer deutschen Blockade, für die die Grünen verantwortlich waren, Baerbocks Partei, die dazu dann auch Begründungen lieferte.

Der Streit drehte sich um die sogenannte Krisenverordnung, den letzten großen Baustein der Asylreform. Baerbock erklärte den Widerstand der Grünen zuletzt damit, diese Verordnung biete Staaten wie Italien oder Griechenland noch mehr Anreiz, unregistrierte Flüchtlinge nach Deutschland weiter zu schicken. Das war ein neues Argument. Zuvor hatten die Grünen ihr Veto damit begründet, sie wollten verhindern, dass geflüchtete Menschen in den Asylverfahren noch viel mehr Rechte verlieren als bislang schon geplant.

Die Krisenverordnung sieht Regeln für den Fall vor, dass Staaten überlastet sind von der Migrationssituation – zum Beispiel, wenn Migranten von anderen Staaten „instrumentalisiert“ werden, um die EU unter Druck zu setzen. Im Krisenfall sollen die Rechte der Geflüchteten noch einmal massiv eingeschränkt werden. Es könnten noch mehr Menschen in Lagern festgehalten werden, bis zu 40 Wochen lang. Seit Juli legten die Grünen also in der Bundesregierung ihr Veto gegen diese europäische Krisenverordnung ein. Deshalb musste sich Deutschland lange enthalten. Die Verordnung wurde aber auch nur deshalb blockiert, weil Ungarn, Polen, Österreich und Tschechien an der Seite Deutschlands standen, allerdings aus entgegengesetzten Gründen: Ihnen ging die Humanität noch immer viel zu weit.

Nun ist den Grünen die Krise verordnet

Kanzler Scholz hat dann im Kabinett ein Machtwort gesprochen. Deutschland dürfe weder die Asylrechtsreform der EU noch die dazu gehörige Krisenverordnung blockieren. So hat er den Weg frei gemacht für die Reform des Asylrechts in der Europäischen Union. Diese wurde dann von den Mitgliedsländern beschlossen, nur die Regierungen von Polen und Ungarn stimmten dagegen, der Stimme enthielten sich Österreich, Tschechien und die Slowakei.

Also hat Kanzler Scholz den Grünen die Krise verordnet, quasi eine andere Bedeutung der strittigen „Krisenverordnung“. Bei den Grünen brach offener Streit aus. Die parteiinterne Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht erklärte, sie sei „entsetzt“ über den Kurs der Parteispitze. Die Reform sehe eine „historisch beispiellose Verschärfung des in der EU geltenden Asylrechts vor“.  Das sei die „Aufgabe grüner Kernpositionen“. Die Parteispitze ignoriere Parteibeschlüsse und versuche, die Basis mit „Falschbehauptung intern ruhigzustellen“.Richtig ist: die Grünen sollten bei sich bleiben.