Der Filz, der grünt so grün – auf dem Billardtisch

Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen wollte seinen Trauzeugen Michael Schäfer als neuen Chef der „Deutsche Energie Agentur.“ Robert Habeck hat ihn dann spät entlassen.

Natürlich ist der Filz grün. Das wussten wir als passionierte Billardspieler doch schon immer. Was haben wir nicht alles probiert, auf dieser grünen Filzunterlage. Ob Poolbillard, Snooker oder Karambolage, der grüne Filz war immer dabei. Oft haben wir ihn verflucht, so glatt war er. Wenn dann unser scharfer Schnitt doch nicht zum Ziel führte,  die Kugeln einfach nicht ins rechte Loch wollten, dann war bestimmt ein kleiner Hubbel im Filz daran schuld. Wir haben seit jeher über Bande gespielt, dass es eine wahre Freude war. Wenn jetzt also Politiker aus der Union (schwarze Kugel, sagen wir da nur) vom grünen Filz sprechen, dann halten wir das für ein Kegelbillard, bei dem versucht wird, den gefährlichen Robert Habeck umzustoßen, indem man ringsum lauter andere Kegel trifft. Nun ja, vielleicht war es deshalb, dass Habeck seinen Staatssekretär Patrick Graichen dann spät doch noch entlassen hat.

Robert Habeck selbst hat ja schon früh zum Filz-Verdacht in seinem Ministerium gesagt, es sei ein Fehler passiert, „da beißt die Maus keinen Faden ab“. Diese Redensart spielt auf die Fabel einer Maus an, die einen Faden durchbeißt und damit einen Löwen aus der Gefangenschaft rettet. Okay, wenn also die Maus den Faden nicht abbeißt, dann wird der Löwe nicht gerettet. Frage: Ist Habeck selbst der damit gefangen gehaltene Löwe, der somit nie zum Kanzler aufsteigen wird?   Und hat er deshalb höchstpersönlich die Maus gespielt, die dann doch den Faden abbiss und seinen Vertrauten Graichen wegen dessen Fehler entließ?

Wieso hat Habeck seinen Vertrauten entlassen?

Beim schnöden Poolbillard geht es ja darum, alle Kugeln schneller als der Gegner zu versenken, um damit am Ende auch die schwarze Acht ins Loch zu schicken. Wenn also Robert Habeck bei diesem Spiel als schwarze Acht das Ziel der Attacken ist, dann muss über alle Banden zunächst mit den anderen Kugeln trefflich aufgeräumt werden. Und da bot sich natürlich an, den Vertrauten Habecks, nämlich den Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen anzugreifen, der sich allerdings auch tatsächlich naiv verhalten hatte. Lange hatte sich Habeck dann noch vor Graichen gestellt, bevor er schließlich einsah, dass dieser ein Einfallstor für die Habeck-Kritiker aus Union (und FDP) war und dies auch für ihn und seine Politik gefährlich werden könnte.  

Also entließ Habeck seinen Vertrauten, weil dieser dann laut internen Prüfungen noch „den einen Fehler zuviel“ gemacht habe. Und zwar war dieser Fehler eine von Graichen am 30. November 2022 bewilligte Projektförderung im Volumen von 600 000 Euro für ein Klimaschutzprojekt des Landesverbands Berlin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Dort sei aber Graichens Schwester aktiv, als Vorstandsmitglied, erläuterte ein konsternierter Habeck, laut Vereinsregister sei sie bis Mai 2022 sogar Landesvorsitzende gewesen. „Um einen schweren Fehler zu verteidigen beziehungsweise damit umgehen zu können, muss ich sicher sein, dass die Compliance-Brandmauer, die wegen der Verwandtschaftsverhältnisse gezogen wurde, keine Risse hat. Diese Risse hat sie“, sagte Habeck zur Begründung der Entlassung von Graichen.

Was war der Ausgangspunkt der Vorwürfe an Graichen? Da wird es gleich kleinteilig. Graichen verantwortet die Energiewende, übrigens mit sehr viel Lob von Habeck, der sogar sagte, dass sein Staatssekretär Deutschland vor einer Energiekrise im vergangenen Winter „gerettet“ habe. Graichen gehörte als vielleicht mächtigstes Mitglied dann auch zu einer „Findungskommission“, die einen neuen Chef für die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur (Dena) suchen sollte. Diese Kommission führte Bewerbungsgespräche und schlug dem Aufsichtsrat der Dena schließlich einen (einzigen) Mann vor – den Umweltexperten und Grünen Michael Schäfer. Der Aufsichtsrat billigte diesen Vorschlag am 5. April.

Blöd nur, dass eben dieser Michael Schäfer Trauzeuge von Patrick Graichen war. Zwar betonte Habecks Ministerium, Graichen habe Habeck von sich aus die Trauzeugen-Eigenschaft Schäfers benannt. Allerdings legt der zeitliche Ablauf nahe, dass Graichen nicht aus eigenem Antrieb zu dieser Transparenz bereit war. Denn ein Problem in seiner Doppelrolle als Kumpel und Bewerbungsgesprächsführer erkannte er erst, nachdem der „Spiegel“ am Wochenende des 22. April allgemein über Filz in Habecks Ministerium berichtet hatte. Daraufhin suchte Graichen am 24. April Habeck auf. Und dann kam Habecks Kommunikation mit der Maus, die keinen Faden abbeißt. Da stellte er sich noch vor seinen Staatssekretär, den er quasi mit den Klauen und Zähnen eines eingesperrten Löwen verteidigte.  

Das gab aber offenbar auch den Anstoß, dass Habeck intern alle weiteren Aktivitäten von Graichen überprüfen ließ. Mit dem Ergebnis also, dass  dann der „Fehler zuviel“ entdeckt wurde und Habeck zur Tat schritt. Mit ein bisschen Galgenhumor inklusive: „Also ich werde nicht meinen Trauzeugen als neuen Staatssekretär berufen“, so Habeck. 

Übrigens will sich Michael Schäfer (der Trauzeuge von Graichen) von seinem Vertrag als designierter Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (Dena) zurückziehen, bevor er den Job überhaupt angetreten hat. Ohne Abfindung.

„Filz-Affäre“ ist Quatsch

Die sogenannte „Filz-Affäre“ hat nicht das Zeug zum ganz großen Aufreger. Niemand wurde bestochen, niemand vergewaltigt, und noch nicht einmal wurde ein „Maskendeal“ zum persönlichen finanziellen Vorteil eingefädelt, wie es die CSU ja vorweisen kann. Niemand hat sich in der Affäre um den grünen Staatssekretär Patrick Graichen, die Habeck nun also spät beendet hat, bereichert. Es geht, anders als bei Maskendeals, nicht um Korruption und Gier. Dass ausgerechnet die CSU gegen angebliche „grüne Clanstrukturen“ wettert, ist bei einer Staatspartei, bei der Filz zum Geschäftsmodell gehört, fast kurios. Um den Vorwurf der Vetternwirtschaft zu entkräften, veröffentlichte das Wirtschaftsministerium nun Listen mit Aufträgen und Zuwendungen an die Umweltschutzorganisation BUND, die Denkfabrik Agora Energiewende und das Öko-Institut. Daraus geht hervor, dass es bereits vor dem Amtsantritt der Ampel-Regierung Ende 2021 diverse Aufträge und Zahlungen an diese drei Organisationen gab. So wurden Agora Energiewende unter dem damaligen CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier für drei Projekte insgesamt rund 4,6 Millionen Euro bewilligt. Die BUND-Jugend bekam im Oktober 2020 mehr als 800 000 Euro für die Klimakonferenz „Local Conference of Youth“ zugesprochen, und dem Öko-Institut wurden zur Analyse und Bewertung von Klimamaßnahmen und Förderprogrammen seit 2019 sogar knapp 6,5 Millionen Euro zuerkannt. Auch das Öko-Institut selber betonte, dass man schon seit Jahren Aufträge und Zuwendungen von verschiedenen Bundesregierungen erhalte – „von Ministerinnen und Ministern der CDU und der CSU, der SPD, der FDP und der Grünen“.

Was die Union (und die FDP) 

daraus machen wollten

Ja klar, der Filz ist immer grün, siehe Billard. Und wenn er nicht grün ist, dann ist er gerade der CSU nicht völlig fremd. Aus dieser bevorzugten Perspektive heraus lässt sich natürlich umso besser das Schwert der Gerechten zücken. Die Folge des „grünen Filz“ sei „der ganze Mist“, den Habeck bei der Gaspreisbremse, beim Heizungsgesetz oder in der Energiepolitik mit dem Atomausstieg gebaut habe, kritisierte der CDU-Generalsekretär. 

Also wie jetzt? Das geplante Heizungsgesetz ist Mist, weil Habecks Staatssekretär Graichen nicht gleich offenbart hat, dass Michael Schäfer, der den Job bei der Deutschen Energie-Agentur bekommen sollte, sein Trauzeuge war? 

Aber wer sagt denn, dass Schäfer einfach nur aufgrund seiner Qualifikationen nicht genau der richtige Mann für den Job wäre, auch wenn er Trauzeuge von Graichen war? Muss jetzt jeder, der etwas drauf hat, schon immer grundsätzlich ausgeschlossen werden, wenn er engere oder familiäre Verbindungen zu den Entscheidungsträgern hat? Das ist doch nur politisches Tamtam.

Die Szene der Energiewende-ExpertInnen ist in Deutschland ziemlich überschaubar. Konzepte für die Energiewende entwarfen Ökoinstitute und der Thinktank Agora Energiewende, die – welches Wunder – fast alle mehr oder weniger den Grünen nahe stehen. Es geht dabei nicht um Selbstbedienung oder eine Vetternwirtschaft, in der man sich gezielt Geld und Posten zugeschanzt hat. Es geht um eine Experten-Szene, die über die Jahre gewachsen ist, übersichtlich und dicht miteinander verwoben, inklusive handelnder Personen, wie zuallererst Patrick Graichen. Es gibt weder im Umkreis der SPD noch gar der Union vergleichbare Thinktanks.

Um was es wirklich geht

Hinter den Koalitionskulissen gibt es dauernd  Streit. Knapp anderthalb Jahre ist Robert Habeck nun im Amt – und hat mehr bewegt als mancher Vorgänger in einer ganzen Amtszeit. Das passt nicht jedem. Und er geht dahin, wo es weh tut. Das bringen Scholz und Lindner nicht. Gerade deshalb wird das von Habeck geplante „Heizungsgesetz“ von allen Seiten emotional, na ja: aufgeheizt. Dabei wäre eine sachliche Debatte darüber klüger, weil nix tun auch nix gegen die Klimakrise bringt. Wenn die Union und sogar der Ampel-Partner FDP vom „Heizungsverbotsgesetz“ spricht, dann ist es aus rein politischen Motiven, um die Grünen mit dem alten Vorwurf der „Verbotspartei“ in Misskredit zu bringen. Umgekehrt sollte Habeck darauf achten, sein Gesetz besser zu erklären.