Der alte Springteufel aus der Box

CDU-Chef Friedrich Merz hat die Grünen zu den „Hauptgegnern“ erklärt. Damit hat er gleichzeitig den unionsinternen Machtkampf eröffnet. Das könnte dann Olaf Scholz helfen.

Friedrich Merz manövriert sich ins politische Abseits. Soll heißen, er stürmt auf ein Tor zu, indem er den Pass aufnahm, den die Rechtsaußen der AfD ihm zuspielten. Er merkt dabei gar nicht, dass seine eigenen Mannschaftskollegen von der CDU bereits abgedreht haben, die Hand an die Stirn schlagen und damit suggerieren: Das wird doch höchstens ein Eigentor. Merz gab doch tatsächlich als „Hauptgegner“ in der Bundesregierung die Grünen aus, nachdem ein AfD-Mann im Thüringer Sonneberg dem dortigen CDU-Kandidaten eine schmerzhafte Niederlage zufügte. Die dumpfe und leider selbst populistische Logik des Friedrich Merz  hilft genau wem? Eben der AfD. Daher befördert das Verhalten von Merz schon frühe Vorboten eines Machtkampfes, unionsintern über die Frage des Kanzlerkandidaten 2025 zu streiten. 

Denn natürlich kam Widerspruch auf die Phrase des Feindbildes, das die Grünen sein sollen. Merz hatte wohl vergessen, dass es in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein ziemlich erfolgreiche Koalitionen der CDU mit den Grünen gibt. Und dort wo die CDU diese Koalitionen führt, sind ja auch die internen Konkurrenten von Merz am Ruder, nämlich Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig Holstein. Beide waren daher über die Feindbild-Skizze des CDU-Chefs nicht gerade begeistert. 

Zur Ehrenrettung von Friedrich Merz könnte man höchstens noch anführen, dass er ja Verhältnisse wie in Baden-Württemberg, also das Regiment von Winfried Kretschmann durch seine Attacke auf die Grünen zu verhindern sucht. Quasi: Schwarz vor Grün.

Wie sieht es mit dem Konkurrenzkampf in der Union aus? Wer gegen wen und warum?

Zuletzt gab es gewaltigen Ärger in den eigenen Reihen. Auslöser der hochschießenden Emotionen war ein Gastbeitrag von Hendrik Wüst in der FAZ. „Das Herz der CDU schlägt in der Mitte“ lässt sich eben auch lesen als Fundamentalkritik am Kurs von Partei- und Fraktionschef Merz. Anders als der 67-Jährige Merz gilt Wüst inzwischen als Angehöriger des liberalen Flügels der CDU. Diesen Imagewandel hat er selbst in die Wege geleitet. Fotos mit Kinderwagen, Eröffnung des Christopher-Street-Days in Köln oder die Verleihung des Staatspreises NRW an Angela Merkel – Wüst ließ kaum eine Gelegenheit aus, sich als Anti-Merz in Szene zu setzen.  Dann kam auch noch hinzu, dass Wüst in der Rheinischen Post auf die Frage nach der Kanzlerkandidatur gesagt hatte: „Meine Aufgaben liegen aktuell in Nordrhein-Westfalen“ – und mit diesem „aktuell“ bewusst die Personalspekulationen anheizte. Außerdem er hatte eingefordert, dass bei der Auswahl des Kanzlerkandidaten die Landesverbände mitsprechen sollten – also auch er als Chef des größten Landesverbandes.

   Daraufhin sei das geschehen, was aus Sicht der CDU nicht hätte passieren sollen, sagte ein CDU-Politiker der SZ: „Merz ist aus der Emotion heraus mit der Streitaxt ins Fernsehstudio gerannt.“ Merz sagte nämlich prompt im ZDF, es gebe in Nordrhein-Westfalen „eine große Verunsicherung“ in der Bevölkerung. „Wenn wir heute in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen hätten, wäre die AfD fast so stark wie im Bund.“ Die Unzufriedenheit mit der Landesregierung sei „fast genauso groß wie die mit der Bundesregierung.“ Dass Merz auf einmal, zur besten Sendezeit im ZDF, so wüst zurück keilte, war nicht gerade ein Zeichen von Führungsstärke. 

Es ist ein Muster, das bei Merz immer wieder aufscheint. Er ist manchmal zu sehr von seinem Ego getrieben, oft auch stur und eitel. Er lässt sich leicht provozieren. Und wenn er sich zu Unrecht angegriffen fühlt, schießt er gern mal über das Ziel hinaus. Das zeigte sich in dem ZDF-Interview auch bei seiner Stellungnahme zum Uniform-Auftritt der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Statt das gesamte Thema – bei dem die CDU nicht gewinnen kann – nur clever  abzumoderieren, ging Merz in die Offensive und sagte, Pechsteins Auftritt sei „brillant“ gewesen. Eine einsame Einschätzung, der umgehend von führenden CDU-Mitgliedern widersprochen wurde.

Selbst unter den Merz-Anhängern gibt es inzwischen einige, die ihm keine erfolgreiche Kanzlerkandidatur mehr zutrauen. Denn wer immer wieder Probleme mit seiner Impulskontrolle hat, drängt sich nicht als Kanzler auf. Und in Hendrik Wüst gibt es nicht nur aus der CSU, sondern auch aus der CDU eine Alternative.

Und der bekommt mächtig Unterstützung. Schleswig-Holsteins Regierungschef Günther hat NRW-Ministerpräsident Wüst als einen der „wichtigsten Köpfe“ der Partei gelobt. Günther nahm Bezug auf den Gastbeitrag von Wüst in der „FAZ. Ein „kluger“ Beitrag über den Kurs der Union sei das gewesen, welcher gezeigt habe, „wie wir die breite Volkspartei bleiben, die wir bisher sind“, so Günther.

Wüst betonte in dem Beitrag, die CDU sei „stark, wenn sie Gegensätze versöhnt, Spaltung überwindet und Ausgleich schafft“. Sie müsse auch künftig ein „der Stabilitätsanker der Mitte“ sein. Auch wenn der Name Merz dabei nicht erwähnt wurde – diese Sätze von Wüst stehen im Kontrast zu den mehrfach als populistisch kritisierten Tönen von Merz – etwa der „Sozialtourismus“ von Ukraine-Flüchtlingen oder der Bezeichnung von arabisch-stämmigen Schülern als „kleine Paschas“ in der Sendung „Markus Lanz“.

Der Konfrontationskurs gegenüber den Grünen spaltet die CDU

Auch zum deutlichen Abrücken des CDU-Chefs von den Grünen bilden die Aussagen Wüsts einen Gegensatz. Zuletzt hatte Merz seine immer vehementer werdende Kritik an der Politik der Ampelkoalition stark auf die Grünen fokussiert und erklärt, er wolle ihnen gegenüber „klare Kante“ zeigen. Sogar zu „Hauptgegnern“ in der Bundesregierung erklärte sie Merz. Dass sich sowohl Wüst als auch Günther diesem scharfen Kontra-Kurs gegen die Grünen nicht anschließen, ist den Koalitionsverhältnissen in ihren Bundesländern geschuldet. Denn beide bilden bekanntlich mit den Grünen zusammen ihre Landesregierung. Daher ist es auch erstaunlich, dass Merz überhaupt diese Idee der Konfrontation mit den Grünen verfolgt, offensichtlich über die Köpfe derer hinweg, die als CDU regieren.

Die Grünen als Partei der Denkverbote und volkserziehender Ideologen zu stigmatisieren ist ein uralter Hut. So alt wie der Springteufel aus der Box, den Merz da den Leuten als ganz etwas Neues präsentieren will. Diese schon vom Bayern Markus Söder betriebene, durchsichtige Anbiederung an populistische Feindbilder von rechts befeuert nur jene Mächte, die den Klimaschutz ablehnen. Denn das „Feindbild Grüne“ impliziert ja, dass die Grünen den  Bürgern etwas aufzwingen wollen, was unzumutbar sei. Klimaschutz als Schreckgespenst. Damit löst man das Problem wohl kaum.

Wird Olaf Scholz wieder profitieren?

Daniel  Günther sieht im Dauerfeuer gegen die Ampel-Parteien insgesamt den falschen Kurs. Es reiche nicht, „überwiegend nur die Politik der Bundesregierung zu kritisieren.“ Manche befürchten in der Union, dass Merz trotz seine schlechten Beliebtheitswerte nach der Kanzler-Kandidatur greifen will. Er hat drei Mal für den Parteivorsitz kandidiert, er ist bereits 67 Jahre alt, die nächste Bundestagswahl wird seine letzte Chance sein, Kanzler zu werden. Die gibt man nicht so einfach auf.

Das wiederum könnte Amtsinhaber Scholz helfen. Denn schon bei der letzten Wahl wurde ja deutlich, dass der unionsinterne Machtkampf zwischen Laschet und Söder ihn beförderten.