Denn dieser Fußball-Freak ist kein Frosch!

Julian Nagelsmann war schon immer mutig. Mit der Übernahme des Jobs als Bundestrainer herrscht jetzt mal frischer Wind. Vielleicht färbt sein Mut auf das Team ab.

Bild: Michael Zäh

Der Mann hat Mut. Das war schon gleich am Anfang seiner Karriere so, als Julian Nagelsmann mit 28 Jahren in einer Notlage den Trainerjob bei der TSG Hoffenheim übernahm. Damals galt er als größtes Trainertalent, trainierte in Hoffenheim zuerst die U17 und dann die U19-Junioren und sollte eigentlich erst im Juli in der Saison 2016/17 zum Cheftrainer werden. Weil aber die Hoffenheimer in akuter Abstiegsnot waren, übernahm der junge Nagelsmann den Posten bereits im Februar 2016 und sicherte in den verbleibenden drei Monaten mit den Hoffenheimern den Klassenerhalt. Was für ein Einstieg für einen Trainer, der zuvor noch nie in der Bundesliga trainierte! Und so ist es auch aktuell: Nagelsmann ist kein Frosch! Er übernimmt das Amt des Bundestrainers und somit die kriselnde deutsche Nationalmannschaft neun Monate vor der Heim-Europameisterschaft. Das ist mutig. Und genau dieser Mut könnte sich auf das Team übertragen. 

„Wir haben eine Europameisterschaft im eigenen Land. Das ist etwas Besonderes – etwas, das alle paar Jahrzehnte mal vorkommt. Dieser Tatsache, ein großartiges Turnier in einem großartigen Land zu haben, ordne ich alles unter. Ich habe große Lust, diese Herausforderung anzunehmen“, sagte Nagelsmann nach seiner offiziellen Verpflichtung: „Wir werden im kommenden Jahr ein eingeschworener Haufen sein.“ Also klar, er geht es mutig aber auch lustvoll an, weil das zum Glück sein Naturell ist. Daher sieht er auch die umstrittene USA-Reise positiv. Am 14. Oktober spielt Deutschland in den USA, vier Tage später gegen Mexiko. (Ergebnisse bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt) Julian Nagelsmann  sagte dazu:„Für solche Reisen gibt es immer ein Für und Wider, für mich ist es ein Für, weil ich direkt viel Zeit mit der Mannschaft verbringen kann.“ Das klingt überzeugend. Nagelsmann ist, wie Uli Hoeneß anmerkte, gut ausgeruht und völlig unverbraucht. 

Warum Julian Nagelsmann für die Mission genau der Richtige sein könnte

Zuletzt hatte ja der „Ruuudi“ Völler mit dem 2:1 gegen Vizeweltmeister Frankreich schon ein bisschen für Aufbruchstimmung gesorgt. Umso mehr fällt auch sein Lob für Nagelsmann ins Gewicht. Völler lobte den neuen Fußball-Bundestrainer Nagelsmann in höchsten Tönen. „Er ist nicht nur ein absoluter Fußball-Fachmann, sondern hat auf all seinen Stationen – in für einen Cheftrainer sehr jungen Jahren – bereits bewiesen, dass er eine Mannschaft und das gesamte Umfeld motivieren und mitreißen kann“, sagte Völler. Nagelsmann sei „unser Wunschkandidat als Bundestrainer“ gewesen, so Völler: „Sein Feuer für den Fußball ist spürbar und ansteckend.“ Er ist überzeugt: „Julian Nagelsmann wird mit seinen Qualitäten und seiner Persönlichkeit an entscheidender Stelle dazu beitragen, dass wir alle gemeinsam im Sommer eine tolle Europameisterschaft im eigenen Land erleben werden.“

   Der 36-Jährige Nagelsmann passt in Taktik und Spielweise perfekt zur deutschen Nationalmannschaft, wie die Datenanalyse des NDR gezeigt hat. Der sogenannte GSN-Index bei Trainern setzt sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen. Relevanz haben dabei etwa:

Die Stärke des eigenen Teams im Verhältnis zur Stärke der Liga – geholte Punkte werden faktorisiert.

Die Spielerentwicklung – entwickeln sich Spieler unter einem bestimmten Trainer weiter, stagnieren sie oder werden gar schlechter?

Die taktische Flexibilität – schafft es ein Trainer, sein Team situationsbedingt taktisch umzustellen, um damit erfolgreich zu sein?

Die GSN-Datenanalyse des NDR zeigt, dass Nagelsmanns Taktik und Spielweise perfekt zur Nationalmannschaft passt. Seine Spielweise ist auf Kurzpass- und Kombinationsspiel ausgelegt. Seine Teams sind generell offensiv ausgerichtet. Nach Ballverlusten geht es umgehend ins Gegenpressing und Pressing über. Defensiv lässt der Trainer gerne in Raumdeckung agieren. Seine Spieler haben diverse Freiräume während der Partie. Zudem setzt Nagelsmann  auch auf eine starke Bank, um die Spielweise anzupassen. Er lässt bevorzugt im 4-2-3-1 agieren, das defensiv in ein 5-2-2-1 übergeht. Mit 1,92 Punkten pro Begegnung und einer Siegquote von 56,96 Prozent erreicht Nagelsmann Spitzenwerte.

Bei seiner Vorstellung sagte Nagelsmann, er setze auf eine Spielidee, „die leicht umzusetzen ist. Vor allem in schwierigen Momenten ist es wichtig, dass die Spieler etwas haben, das sie greifen können.“ Die Spielweise der Nationalmannschaft werde „nicht so komplex wie im Vereinsfußball sein“, sagte Nagelsmann, sie sei darauf ausgelegt, „attraktiven Fußball zeigen zu können“ und „den Spielern Halt zu geben“. Nagelsmann strebt „eine gesunde Aggressivität in Richtung gegnerisches Tor“ an: „Es soll dem Gegner auch weh tun, gegen uns zu spielen.“ Und weiter: „Wir müssen nicht 14 verschiedene Grundordnungen spielen können, keine Sorge.“

Wo die Probleme für Julian Nagelsmann liegen könnten

Schon sein Hinweis auf eine „einfache Spielweise“, mit dem Zusatz: „Keine Sorge“, zeigt auf, wo Nagelsmann selbst Probleme befürchtet. Sein hoher taktischer Anspruch wurde mitunter kritisiert, seine freche Klappe ebenfalls. Und natürlich sind insgesamt seine Verstrickungen mit den Bayern ein Risiko.  

Er habe sich, sagte Julian Nagelsmann im Laufe seiner Vorstellung als Bundestrainer, seit der Entlassung beim FC Bayern im März „mit Dingen beschäftigt, die ich in Zukunft besser machen möchte“. Auch die Tatsache, dass Nagelsmann beim FC Bayern im März vor die Tür gesetzt wurde, weil angeblich „die Konstellation nicht mehr gepasst“ haben soll, lässt sich mit etwas Abstand nicht mehr gegen ihn verwenden. Die Potentaten von damals, Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic, haben ihre diesbezügliche Einschätzung mit dem Rausschmiss bei den Bayern quittiert bekommen. Und der damalige Vorwurf, den hoch veranlagten Bayern-Kader nicht zu konstanten Ergebnissen geführt zu haben hat sein Nachfolger Thomas Tuchel für ihn entschärft – indem er noch weit mehr als Nagelsmann an denselben Spielern verzweifelte, sowohl im DFB-Pokal wie in der Champions-League scheiterte und die Meisterschaft eigentlich nur aufgrund der flatternden Nerven der Dortmunder am letzten Spieltag der vergangenen Saison noch holte.

Die Dynamik eines Turniers, das unter dem öffentlichen Brennglas stattfindet, kennt Julian Nagelsmann nicht – unter anderem daran war Hansi Flick bei der WM in Katar gescheitert. Große Spiele hat Nagelsmann allerdings schon erfolgreich bestritten, und zwar dort, wo die europäische Spitze sich misst, in der Champions League. 

Jedenfalls herrscht frischer Wind

Als Bundestrainer ist Julian Nagelsmann in jedem Fall etwas Neues. Denn er ist der Erste, der die Nationalelf ohne vorherigen DFB-Bezug übernimmt. Er war vor Amtsübernahme weder DFB-Assistent wie die späteren Bundestrainer Helmut Schön, Jupp Derwall, Berti Vogts, Erich Ribbeck, Jogi Löw oder Hansi Flick – noch war er ein hochdekorierter Nationalspieler wie Franz Beckenbauer, Rudi Völler oder Jürgen Klinsmann. Da herrscht also mal frischer Wind. Nagelsmann ist ein echter Fußball-Freak und entspricht nicht dem Bild eines gediegenen Bundestrainers, der die Nation väterlich führt. 

Na ja, da wäre noch die eine Sache: Wie die „Süddeutsche Zeitung“ so nett dichtete, sei mit dem Rauswurf von Hansi Flick die Epoche des „südwestdeutschen Herrschergeschlechts“ beendet gewesen. Und jetzt kommt ein Bayer an die Macht, der unter den Fittichen des Dietmar Hopp heran wuchs. Wir hier unten im Süden regieren weiter!