Als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sich auf den Weg nach Moskau machte, um dort ihren russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zu treffen, waren die Sprachbilder schnell geschmiedet: „Im Auge des Orkans“, „In der Höhle des Bären“, hießen die Schlagzeilen. Tenor: Die junge, unerfahrene Baerbock und der 30 Jahre ältere Lawrow, der längst für seine brüske Art bekannt ist. Hinzu kam, dass der Auftritt der deutschen Außenministerin für die Entscheidung Putins, ob er in die Ukraine einmarschieren lässt, so gut wie keine Rolle spielte. Doch Annalena Baerbock hat sich vom „bösen Bären“ nicht bange machen lassen. Angstfrei und klar hat sie ihre Botschaften platziert. Dabei hat sie außerdem einen Ton angeschlagen, der gewinnend gemeint war.
Und Baerbock hat die Courage bewiesen, sich auch von den diversen Vorstellungen zu emanzipieren, die in der Ampel-Koalition sowie in der deutschen Politik vor dem Treffen mit Lawrow signalisiert wurden. Ein Stopp von Nordstream 2 hatte bis dahin Kanzler Scholz eher nicht gewollt, Waffen für die Ukraine zu liefern hatten alle Ampel-Parteien abgelehnt, der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift fand der baldige CDU-Chef Friedrich Merz zu gefährlich. Kurz und gut: Annalena Baerbock flog als Vertreterin eines Landes nach Moskau, das keinerlei Druckmittel bereitstellen mochte. Wie sollte ihr bäriger Kollege Lawrow sie da überhaupt ernst nehmen?
Wenn sich die Außenministerin denn danach ausgerichtet hätte. Doch das tat sie nicht, wie am Beispiel des wohl härtesten Druckmittels „Nordstream 2“ deutlich wurde. „Wir haben keine andere Wahl als unsere gemeinsamen Regeln zu verteidigen, auch wenn dies einen hohen wirtschaftlichen Preis hat“, sagte Baerbock also auf der Pressekonferenz im Beisein von Lawrow. Eine klare Ansage, die dann erst im Nachhinein von Kanzler Olaf Scholz insofern unterstützt wurde, dass er sagte, dass „alles diskutiert“ werden müsse, wenn Russland die Ukraine angreift.
Sprich: Baerbock ging den Schritt voraus, Scholz folgte ihr. Und sie hatte diesen Schritt wohl auch mit ihrem Kollegen Blinken aus den USA abgestimmt und ihren Chef Scholz somit ein bisschen umschifft. Weil es auch in Russland kein Geheimnis sein dürfte, dass die Grüne sowieso keine Befürworterin von Nordstream 2 ist, hat man ihr die Drohung abgekauft.
Da die deutsche Außenministerin ja direkt vor ihrem Moskau-Besuch in der Ukraine war, nahm sie die schwerwiegenden Bedenken zur Kenntnis, die dort gegen die Inbetriebnahme von Nordstream 2 vorgebracht wurden. Der Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, Juri Vitrenko, sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Wir sind zu 100 Prozent sicher, dass Nord Stream 2 den alleinigen Zweck hat, die Ukraine beim Gastransit auszuschalten.“ Wladimir Putin bereite eine militärische Invasion vor, „und er will dabei sicherstellen, dass keine negativen Folgen für den Handel mit Europa entstehen.“ Im Falle eines Krieges werde es durch die Ukraine „keine Leitungen mehr geben“, warnte Vitrenko. „Die ersten Bomben werden den Pipelines gelten.“
Annalena Baerbock profilierte sich bei ihrem Auftritt in Moskau aber nicht durch hölzerne Drohsprache, wie es ihr Vorgänger Heiko Maas mitunter tat, sondern warb mit warmer Sprache um diplomatische Lösungen. So sprach sie von „unserem gemeinsamen europäischen Haus“, legte noch vor dem Treffen mit Lawrow einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten nieder, bekannte sich zur historischen Verantwortung Deutschlands, warb für Zusammenarbeit in den wirtschaftlichen Bereichen, etwa bei Wasserstoff-Technologien und beim Klimaschutz.
Die Grünen-Politikerin wollte gemeinsame Interessen und Wege dorthin aufzeigen, war gut vorbereitet, ließ sich nicht provozieren und machte dennoch ihren Blick auf die russische Truppenmobilisierung klar: „Es ist schwer, das nicht als Drohung zu verstehen.“
Zwar hatte Annalena Baerbock keine echte Chance, die Entscheidung Putins über einen Krieg mitten in Europa ernsthaft zu beeinflussen. Aber ihr Auftritt als Außenministerin Deutschlands war nach nicht einmal zwei Monaten im Amt bemerkenswert. Der „böse Bär“ staunte.