Ein Zusammenhalt, den die Jungen nicht spüren

Fotomontage: Adrian Kempf

Das neue Wehrdienst-Gesetz sieht tiefe Eingriffe vor und Kanzler Merz sagt bereits: „Wir sind zurück auf dem Weg hin zu einer Wehrdienstarmee“. Pistorius, laut Umfragen einer der beliebtesten Poltiker Deutschlands, spricht von „Aufwuchspfad“ – sein neues Lieblingswort. Klingt ein bisschen so, als wäre der Verteidigungsminister ein Gärtner in üppigem Grün, der junges Gemüse heran züchtet.


Boris Pistorius ist laut Umfragen einer der beliebtesten Politiker in Deutschland. Dabei stellt sich die Gretchenfrage: Ist Pistorius trotz oder wegen seiner gewagten Formulierungen so beliebt? Sein Begriff der „Kriegstüchtigkeit“ hatte ja bereits Fragen aufgeworfen, zum Beispiel wie man Krieg tüchtig führen könne. Und was das dann heißen soll: Möglichst viele Feinde zu töten?  Denn dies wiederum kann ja nur darin begründet sein, dass umgekehrt der Feind möglichst viele Deutsche töten will. Aber ist es so, dass nur der Tüchtige obsiegen kann? Tja, wenn der Feind Russland ist, kann es gegen die Atommacht keinen Sieg geben, sondern höchstens eine Abwehr der Aggression.  Und auch dies nur begrenzt. Was dann wiederum zur neusten Wortschöpfung von Boris Pistorius führt, der im Zuge der Diskussionen um die Wehrpflicht gerne den Begriff „Aufwuchspfad“ verwendet. Klingt ein bisschen so, als wäre der Verteidigungsminister  ein Gärtner in üppigem Grün, der sich vor allem um das junge Gemüse kümmert.  Doch eben dieses junge Gemüse findet es gar nicht lustig, ungefragt zur Kriegstüchtigkeit gezüchtet zu werden.  Und dies ist tatsächlich an der gesamten Debatte um die „neue Wehrpflicht“ besonders auffällig, dass diese von lauter Leuten geführt wird, die man ohne despektierlich zu sein, als „alte weiße Männer“ bezeichnen könnte. Wie Friedrich Merz, der ja im Grunde Rentner wäre, wenn er nicht Kanzler wäre.


Erstmals seit 15 Jahren müssen von 2026 an alle 18-Jährigen konkret die Frage beantworten, ob sie einen Dienst an der Waffe leisten wollen. Kürzlich ist der Entwurf beschlossen worden – zum ersten Mal seit 1992 fand deshalb eine Kabinettssitzung wieder im Verteidigungsministerium statt. Kanzler Merz will die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas machen und über 100 000 neue Reservisten bis 2030 gewinnen. Wie man das von Friedrich Merz inzwischen kennt, sind das große Worte. Und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius hofft, dass das mit bloßer Freiwilligkeit klappt. Wobei Pistorius in seiner Wortwahl deutlich zurückhaltender ist. Fast spröde könnte man sagen, und das macht ihn für viele Menschen in Deutschland sympathisch. 

Warum soll es einen neuen Wehrdienst geben, und was ist dabei das Ziel? 

Der vorliegende Entwurf für ein Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG) betont zu Beginn: „Angesichts der massiven Verschärfung der Bedrohungslage in Europa infolge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird die Bundeswehr noch konsequenter auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet.“ Schon jetzt seien vermehrt Angriffe in hybrider Form auf Netze und kritische Infrastrukturen zu verzeichnen. „Russland wird auf absehbare Zeit die größte Gefahr für die Sicherheit in Europa bleiben und schafft militärisch die personellen und materiellen Voraussetzungen dafür, um innerhalb weniger Jahre in der Lage zu sein, Nato-Territorium angreifen zu können.“

Die Bundeswehr soll von rund 180 000 auf 260 000 Soldatinnen und Soldaten anwachsen – zusammen mit einer auf 200 000 Personen anwachsenden Reserve soll die Gesamtzahl verfügbarer Kräfte auf 460 000 steigen. Drei Ziele werden mit dem geplanten Gesetz verfolgt: Die Gewinnung von deutlich mehr Freiwilligen und damit verbunden die Erhöhung des Potenzials an Reservisten. Zweitens gibt es eine Rückkehr zu einer Wehrerfassung: Personaldaten und Adressen aller 18 Jahre alten Männer werden eingesammelt, man bekommt ein verbessertes Lagebild für einen Spannungs- und Verteidigungsfall, wenn es wieder eine Wehrpflicht geben würde. Zudem wird die Möglichkeit geschaffen, „eine Verpflichtung zum Grundwehrdienst auch außerhalb des Spannungs- oder Verteidigungsfalls einführen zu können, wenn der Deutsche Bundestag dem zustimmt“.

Am Anfang steht ein Schreiben der Bundeswehr. Alle, die 18 Jahre alt werden, bekommen Post mit der Aufforderung, sich zu Bildungsabschlüssen, Qualifikationen, der körperlichen Fitness und zu ihrer Bereitschaft zu äußern, ob sie einen solchen Dienst antreten wollen. Zunächst werden alle angeschrieben, die von Januar 2008 an geboren worden sind. Männer müssen das Schreiben beantworten, das wird elektronisch möglich sein. Sonst droht ein Bußgeld. Bei Frauen ist das Antworten freiwillig. Männer, die antworten, das sei nichts für sie, sind erst mal raus, müssen aber dennoch für die Wehrerfassung ihre Daten übermitteln.

Ab 2027 müssen alle 18-Jährigen wieder zur Musterung, einer körperlichen Eignungsuntersuchung. „Die gesetzliche Vorgabe sieht vor, dass männliche deutsche Staatsangehörige sich einer verpflichtenden Musterung unterziehen müssen“, heißt es im Entwurf.


Wie sind die politischen Positionen innerhalb der Regierungs-Koalition?

„Wir sind damit wieder zurück auf dem Weg hin zu einer Wehrdienstarmee“, sagt Merz. Dem Kanzler und CDU-Chef geht es offenbar darum, nach der Sommerpause ein Signal der Ge- und der Entschlossenheit zu setzen. Ist ja eigentlich ständig sein Anliegen, aber allzu oft verpufft das, wenn die Luft raus ist aus seinen markigen Worten. Doch Merz hat eben deshalb den „Herbst der Reformen“ ausgerufen. Und sagt nun bezüglich des Entwurfs des neuen Wehrdienst-Gesetzes: „Ein Herbst der Reformen kann auch mit der Außenpolitik, mit der Sicherheitspolitik, mit der Verteidigungspolitik beginnen.“ Und fügt hinzu, dass „die Bundesregierung mit Entschlossenheit“ auf die Bedrohung durch Russland reagiere.

Nun ja, aber wie jeder weiß regiert Merz und seine Union nicht allein. In der SPD gibt es Vorbehalte gegen allzu schnelle Überlegungen, den Wehrdienst wieder einzuführen. Aber immerhin stimmt die Chemie zwischen Merz und dem SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius, also zumindest rein wehrdienstmäßig.    Pistorius gibt sich zuversichtlich, dass sein Modell reicht, um bis 2030 auf die avisierte neue Gesamtstärke von 460 000 Soldaten und Reservisten zu kommen. Dass es in der Bundeswehr kaum jemanden gebe, der daran glaubt, dass es ausschließlich mit Freiwilligkeit klappen könnte, der neuen Lage gerecht zu werden, weist der Verteidigungsminister zurück. Pistorius hofft auf ganz neue Debatten, zu Hause in den Familien, in den Schulen. Es müsse sich jeder fragen: „Will ich zur Sicherheit meines Landes, in dem ich lebe, etwas beitragen? Oder ist mir das egal?“

Alles auf dem Rücken der jungen Generation?

Dies lenkt den Blick auf eine knifflige Frage. Soll alles auf dem Rücken der heute noch sehr jungen Generation abgeladen werden? Es ist mehr als verständlich, wenn junge Menschen bei der ganzen Debatte um die Wehrpflicht beklagen, dass über ihre Köpfe hinweg diskutiert werde, aber sie selbst kaum zu Wort kommen. Auch weil die Belastungen für die nachrückende Generation schon auf anderen Feldern hoch ist: Etwa beim Finanzieren der Renten, oder auch bei den Konsequenzen des Klimawandels. Daher darf auch die Frage neu gestellt werden, wie es eigentlich beim Wehrdienst für ältere Menschen aussieht. Denn Jugend und körperliche Fitness ist ja nicht das einzige Kriterium, wenn es darum geht, sich gegen etwa eine russische Aggression zu wehren. Denn ja, eine Generationengerechtigkeit sieht anders aus: In der Debatte über die „Kriegstüchtigkeit“ konnte man in diesem Sommer überwiegend älteren Männern dabei zuhören, wie sie über die Pflichten der Jungen reden. Nicht besprochen wurde dagegen, welche Pflichten die ältere Generation bei der Landesverteidigung hat. In Schweden – vermeintliches Modell für den neuen deutschen Wehrdienst – gilt im Verteidigungsfall übrigens eine Dienstpflicht für Männer und Frauen im Alter von 16 bis 70 Jahren.

Die wichtige Unterscheidung: Wehrpflicht in Friedenszeiten, quasi zur Abschreckung, oder Wehrpflicht, wenn Krieg herrscht. Denn dann ist natürlich die gesamte Gesellschaft gefordert, sich zu verteidigen, jeder dort, wo er eben kann.Dann müsste ein Zusammenhalt sein, den die Jungen derzeit nicht spüren.