Merz agiert schon wie ein Mini-Trump

Wen kümmert schon das Völkerrecht? Über die Begriffe „Zeitenwende“ und „Drecksarbeit“ im Vergleich. Welche Worte deutsche Kanzler wählen, wenn sie über Krieg sprechen.

Fotomontage: Adrian Kempf

Welche Worte wählen Politiker, wenn sie über Krieg sprechen? Hier lassen sich zunächst die Begriffe „Zeitenwende“ von Olaf Scholz und „Drecksarbeit“ von Friedrich Merz heran ziehen.  Unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat 2022 der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz also in einer Rede im Bundestag den Begriff der „Zeitenwende“ geprägt. Man darf wohl vermuten, dass dieser Begriff es heute bereits in die Geschichtsbücher geschafft haben dürfte. Allerdings weniger wegen des Begriffs als solchem, sondern aufgrund der damit verbundenen Neuausrichtung in der Politik Deutschlands. Denn im gleichen Zuge der Verwendung des Begriffs „Zeitenwende“ wurde von Olaf Scholz ja faktisch ein radikaler Schwenk vollzogen. Es folgte eine Sondervermögen für die Bundeswehr in damals kaum für möglich gehaltener Größenordnung von 100 Milliarden Euro (mit Unterstützung auch der Opposition und Friedrich Merz) – und es wurden ab diesem Zeitpunkt Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert, nämlich in die Ukraine, was zuvor undenkbar war. Doch zurück zu dem Wort „Zeitenwende“. Dies ist eigentlich ein ziemlich hoch fliegender Begriff, der gleichzeitig nichts wirklich benennt. Er sagt nämlich nichts über Täter und Opfer aus. Er umgeht das damit verbundene Grauen vor Ort bei den Betroffenen. Insofern ist es auch ein typischer Begriff von Olaf Scholz, der etwas nebulös und zurückhaltend wirkt.


Die „Zeitenwende“ lässt als Begriff ja völlig im Unklaren, was gerade geschieht und welche Folgen das hat. Okay, das Wort sagt aus, dass sich etwas geändert hat. Aber was hat die Zeit dazu veranlasst, eine Wende zu nehmen? Oder hat die „Wende“ sich einfach die Zeit gepackt? Das ist ein bisschen wie ein Schicksalsbegriff. Es sei denn, Olaf Scholz ist ein Fan des frühen Bob Dylan, der ja damals (1960er Jahre) rebellisch besang: „The Times They Are A-Changin.“ Kann sogar sein, dass Olaf Scholz damals im richtigen Alter war, um sich angesprochen zu fühlen. Er hatte ja schließlich nicht immer eine Glatze.

Warum Scholz und der Begriff „Zeitenwende“ in der Tradition der Nachkriegszeit stehen 

Die Formulierung „Zeitenwende“ reiht sich ein in die Tradition der Nachkriegszeit. Denn Deutschland hat aus bekannten Gründen eine historisch gewachsene Scheu entwickelt vor emotionalisierter Sprache in der Politik. Die Nationalsozialisten, die das Land und dessen Nachbarn in den Abgrund führten, nutzten alle Register der aufwühlenden Kommunikation, pflegten den Opferkult, missbrauchten Mitleid und schürten Angst und Hass, wo es nur ging. Seitdem – also nach dem Zweiten Weltkrieg, der durch die Nazis angestoßen wurde – ist in der deutschen Politik eine sachliche, nüchterne Sprache Pflicht. Im Zweiten Weltkrieg starben insgesamt über 60 Millionen Menschen, so die Bundeszentrale für politische Bildung. Diese Zahl umfasst sowohl Soldaten als auch Zivilisten verschiedener Nationen. Die Sowjetunion hatte dabei die höchsten Verluste mit etwa 27 Millionen Toten. Mehr als sechs Millionen Juden wurden von den Deutschen ermordet. Sinti und Roma und andere Minderheiten wurden verfolgt und getötet.

Das ist alles noch gar nicht so lange her. Da ist eine Zurückhaltung in der Sprachgestaltung vonseiten führender deutscher Politiker durchaus angebracht. Olaf Scholz als Bundeskanzler wurde seine sprachliche Zurückhaltung jedoch immer wieder vorgeworfen. Und wie wir alle wissen, gibt es in Deutschland auch im Parlament inzwischen immer wieder Auswüchse der emotionalisierten Sprache. Was wir übrigens nicht wissen können: Hat Olaf Scholz damals den Begriff der „Zeitenwende“ im stillen Stübchen vor seiner Rede im Bundestag selbst ersonnen, oder hat das ein kundiger Redeschreiber für ihn erledigt?


Der Begriff „Drecksarbeit“ von Friedrich Merz

Bezüglich der Herkunft des von Kanzler Friedrich Merz verwendeten Begriffs „Drecksarbeit“ wissen wir da schon mal mehr. Er sei der Interviewerin dankbar für diesen Begriff, sagte der Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz, nachdem sie ihn vor der Kulisse der Rocky Mountains gefragt hatte, ob die Israelis gegen das Regime in Teheran gerade die „Drecksarbeit“ verrichteten? Merz nahm also den Begriff auf, der ursprünglich nicht von ihm stammte. Er wurde ihm sozusagen im Interview suggeriert. „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle. Wir sind von diesem Regime alle betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht. Mit Anschlägen. Mit Mord und Totschlag“, sagte Merz im Interview mit dem Fernsehsender ZDF vom G-7-Gipfel in Kanada. Er habe „größten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt, die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt hat, das zu machen“. Aus Sicht des Kanzlers ist die Sache klar: Israel tut der Welt einen Gefallen, indem es auf das iranische Regime zielt und auf das Atomprogramm.

Nun ja, es soll hier aber nicht darum gehen, ob der Iran es verdient hatte, von Israel (und später den USA) angegriffen zu werden. Es geht vielmehr um den Begriff „Drecksarbeit“, den Merz so übernommen und dadurch legitimiert hatte.  Denn natürlich lautet die Frage auch, was er mit „Drecksarbeit“ eigentlich genau meinte. Sollte das heißen, dass es nur „dreckig“ (aber nicht grausam und völkerrechtswidrig)  ist, wenn Israel gezielt Menschen tötet und auch sogenannte „Kollateralschäden“ (also schreckliches Leid für Zivilisten, die ihre Kinder oder Angehörigen verloren haben) dafür in Kauf nimmt. Sollte es gar heißen, dass  Merz sich dafür bedankt, dass er und wir Deutschen dadurch die „Drecksarbeit“ nicht selbst machen müssen? 

Von einem staatsmännischen Auftreten, in dem immer auch die Verantwortung und Würde des Amts als Bundeskanzler mitschwingen sollten, kann bei diesen Worten keine Rede sein.  Von der traditionellen Zurückhaltung aus historischen Gründen schon gar nicht. Und selbst, wenn Merz mit Drecksarbeit nur meinte, dass Israel die iranische Führung daran hindert, in den Besitz einer Atomwaffe zu gelangen, und die iranische Führung fortan nicht weitermachen könne wie bisher, wie er sagte, dann schließt das immer noch das Leid und den Tod von Zivilisten mit ein.

Merz hatte schon öfter Probleme mit dem, was er für klare Worte hält. Ob es gegen „kleine Paschas“ ging oder er „all in“ gegen irreguläre Migration gehen wollte: Er hat sich mit schneidigen Ansagen schon oft selbst Probleme geschaffen. Es ist allerdings wichtig, seine Aussagen im ZDF-Interview im Kontext zu sehen. Er sagte, er habe größten Respekt davor, dass die israelische Armee und die Staatsführung den Mut dazu gehabt hätten, weil man sonst noch lange weiter den Terror dieses Regimes erlebt hätte, das möglicherweise außerdem mit einer Atomwaffe in der Hand drohen würde. Merz verwies ferner auch auf die iranischen Drohnenlieferungen für Russlands Krieg gegen die Ukraine, auf die von Iran finanzierten Terrorgruppen und das unendliche Leid, das dies dem Nahen Osten gebracht hat.

Das lässige Umgehen mit dem Völkerrecht

Durch solche Begriffe wie „Drecksarbeit“ werden allerdings halt auch eben mal Standards des Völkerrechts ausgehebelt. Schon vor seiner Wahl zum Bundeskanzler ließ Merz aufhorchen, als er verkündete, er fühle sich nicht an das Urteil des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebunden, das einen Haftbefehl gegen den israelischen Premier Netanjahu ausgesprochen hatte – es ging dabei um dessen Verantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen. Das kann man als das typisch markige Merz’sche Auftreten abtun. Man kann darin vor dem Hintergrund der jetzigen Aussagen aber auch mehr sehen. Es gibt bisher keinen Völkerrechtler, der nicht der Meinung wäre, dass Israel mit seinem Angriff auf Iran Völkerrecht gebrochen hat. Und dennoch hat der deutsche Bundeskanzler vor diesem Angriff größten Respekt. Aber was bedeutet das alles, wenn man es zu Ende denkt? Dass internationales Recht nur dann gilt, wenn es einem passt? Insofern benimmt sich Merz mit seinen Aussagen wie eine Mini-Trump-Ausgabe.