„Zehn plus“ heißt die Söder-Zeit

„Bescheidenheit ist eine Zier, doch er regiert stets ohne ihr“, dichtete Winfried Kretschmann über Markus Söder, als diesem die „Goldene Narrenschelle“ überreicht wurde. Denn der bayerische Chef spricht schon mal über seine eigene Laufzeitverlängerung nach 2028.

Da sage nochmal einer, dass die Fastnacht nicht wirklich lustig sein kann. Als Winfried Kretschmann im Europark in Rust aus Anlass der  Verleihung der „Goldenen Narrenschelle“ mit einem launigen Gedicht seinen Kollegen Markus Söder würdigte, blieb wahrlich kein Auge trocken. „Bescheidenheit ist eine Zier, doch er regiert stets ohne ihr“, dichtete Kretschmann über Söder. Mit Blick auf die sozialen Netzwerke sagte der baden-württembergische Regierungschef über Söder: „Twitter, Tiktok, Instagram begleiten Dich bei Deinem Drang, Deine Schritte, Deine Taten, jedem weltweit zu verraten!“

Ein Schelm, wer Böses hinter dieser Laudatio vermutet. Schließlich war Kretschmann selbst einmal Träger der närrischen Auszeichnung. Die Übergabe der sogenannten Narrenschelle – einer vergoldeten Handglocke – ist längst einer der Höhepunkte der Fastnacht im Südwesten. Sie wird seit 2006 verliehen. Söder sollte die undotierte Auszeichnung der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) bereits im vergangenen Jahr erhalten. Die Veranstaltung im Europa-Park fiel aber damals wegen der Corona-Pandemie aus. Zu den früheren Trägern zählt übrigens auch der SC-Trainer Christian Streich.

Humor muss sein, also legte sich Kretschmann dichterisch ins Zeug. „Wenn es hilft für Deinen Traum, umarmst du sogar einen Baum.“ Söder bedankte sich für das Gedicht und meinte: „Endlich musste mal ein Grüner viele positive Dinge über mich sagen.“ Mit Blick auf Kretschmann, mit dem Söder politisch im Rahmen der sogenannten ‚Südschiene‘ zusammenarbeitet, ergänzte er: „Wir sind beide Faschingsfans.“

Schon im Januar hatte Markus Söder selbst in nahezu karnevalistischer Manier seine ewige Wandlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Das war auf der Fraktionsklausur in Kloster Banz, wo also Markus Söder die vor fünf Jahren nur von ihm selbst aufgestellte Amtsbeschränkung der Laufzeit eines Ministerpräsidenten in Bayern so wortreich wieder kassierte, wie er sie einst begründet hatte. Ganz besonders visionär war an seiner Aussage, dass er dabei nicht über die anstehende Landtagswahl 2023 sprach, nein, sondern diese gleich übersprang: „Sollte 2028 der Wunsch da sein und die Kraft, dass ich erneut kandidieren würde, dann ist das offen“, sagte Söder. 

Abgesehen davon dass Christian Streich trotz jedweder Narrenschelle nie über das übernächste Spiel reden würde, war das närrisch Erstaunliche an Söders Ankündigung, dass er fünf Jahre zuvor (an gleicher Stelle, ebenfalls im Kloster Banz) eine regelrechte Kampagne der Demut gestartet hatte. Söder wollte die Amtszeit des bayerischen Ministerpräsidenten (also seine eigene) auf maximal zehn Jahre begrenzen. Man werde nichts weniger als die Demokratie in Bayern „neu schreiben“, kündigte er an. Und man werde damit ein Vorbild für ganz Deutschland sein, sagte Söder damals: „Wenn die Bayern die Ersten wären, wäre das die klassische bayerische Pionierrolle.“ Und deshalb wolle er die von ihm erdachte Amtszeitbegrenzung in die bayerische Verfassung schreiben, um ein „fundamentales Signal für mehr Demokratie, für Begrenzung von Macht“ setzen. Also Demut und die Zier der Bescheidenheit. Fünf Jahre später weiß man, dass er lieber „ohne ihr“, aber dafür länger regiert.

Denn nun hat Markus Söder also im Januar 2023 den Begriff von „Zehn plus“ gewählt. „Wir sollten demokratischen Prozessen nicht vorgreifen durch starre Grenzen“, sagte er nun. So bewies er schon vor seiner Auszeichnung der Narren, dass er in der Lage ist, immer die jeweils passenden Argumente mit Verve zu vertreten. 

Söder verweist darauf, dass er wegen alle der blöden Krisen so manches politisches Vorhaben habe aufschieben müssen. Sprich: Der Mann braucht ein bisschen mehr Zeit, um sein Werk zu vollenden. Aber gut, dann kann der Söder Markus doch nicht Gott sein, der sich bekanntlich am siebten Tag zurücklehnte, um sein Werk zu betrachten. Ein Mensch braucht halt als Ministerpräsident 15 Jahre dafür.