Wenn Merz und Söder den blauen Pinsel schwingen

Die Aufregung über die „Stadtbild“-Äußerung von Kanzler Merz ufert aus und ist der Sache nicht mehr angemessen. Trotzdem ist Merz mal wieder stur und sprachlich ungenau gewesen.

Fotomontage: Adrian Kempf

Wir sind mal verwirrt. Denn wir wissen nicht, ob unser Kanzler Friedrich Merz jetzt unter die Profi-Fotografen gegangen ist oder unter die Maler. Klar ist nur, dass er es neuerdings immer mit den „Bildern“ hat. Erst hat er das „Stadtbild“ präsentiert und danach ging ihm auch das „Deutschlandbild“ über die Lippen. Und beide Bilder scheinen tief in das Blau der AfD getaucht zu sein. Denn deren Erstarken in den Umfragen will Merz bekämpfen, indem er sich um „das Stadtbild“ kümmert, was aber offenbar noch keiner gemerkt hat, weshalb er das ja jetzt mal sagen muss. Tja, da werfen wir die Stirn in Falten des Rätselratens: Welche Stadt meint Merz eigentlich, Freiburg, Gelsenkirchen, Schimmis Duisburg oder Söders München? Sicher ist jedenfalls, dass Merz „das Stadtbild“ nicht erfunden hat, sondern bereits zuvor Markus Söder es kreierte. Schon Mitte September gab Söder dem Münchner Merkur ein Interview. Auf die Frage, ob er dafür streiten werde, dass Afghanen und Syrer in ihre Heimat zurückkehren müssen, sagte Söder: „Das muss zwingend passieren.“ Und dann: „Das Stadtbild muss sich wieder verändern.“ Mensch Merz, möchten wir da rufen, dann kommst du wie eine lahme Ente zu spät: Mehr als einen Monat später hat Merz erklärt, die irreguläre Migration sei stark gesunken. „Aber wir haben natürlich im Stadtbild immer noch dieses Problem“, fügte er hinzu und kündigte in sehr großem Umfang Rückführungen an. Das Blöde an der ganzen Stadtbild-Sache ist, dass sowohl Söder wie auch Merz es von der AfD abgekupfert haben. Dabei hat sich längst gezeigt, dass die Übernahme von AfD-Positionen diese nicht schwächt, sondern immer weiter stärkt.


Als Markus Söder in seiner unnachahmlich populistischen Art das Thema „Stadtbild“ zuerst für die Union aufgriff, war das halt ein Ding aus München. Wenn Friedrich Merz dasselbe wiederholt, spricht der Kanzler von Deutschland. Das macht einen gewaltigen Unterschied (auch wenn Söder mal dachte, dass er selbst der beste Kanzler wäre). Merz sagte also, dass seine Regierung dabei sei, „Versäumnisse“ in der Migrationspolitik zu korrigieren und dabei auch Fortschritte mache, was die binnen eines Jahres gesunkene Zahl an neuen Asylanträgen zeige. Und dann folgte eben dieser Satz: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“

Wie Merz tölpelhaft mit der Sprache umgeht
Da Merz ja nun doch weder eine Fotograf noch ein Maler ist, sondern von Beruf Politiker, sprich: ein gelernter Redner, muss man sich über seine Wortwahl schon sehr wundern. Selbst bei gutem Willen lässt sich seine Kernaussage nicht anders verstehen, als dass Menschen, die anders aussehen, ein Problem darstellen. Rassistisch klingt das zweifellos. Und es knüpft an seine verbalen Ausrutscher als Oppositionschef an: Zu seinen Klassikern gehören die „kleinen Paschas“, der „Sozialtourismus“ aus der Ukraine oder die Behauptung, Asylsuchende nähmen den Deutschen die begehrten Zahnarzttermine weg. Das war allesamt großer verbaler Unsinn, aber eben nicht als Kanzler Deutschlands geäußert. Sondern von dort aus, wo jetzt die AfD steht, nämlich von der Seitenlinie als Oppositionschef. Da ist das Provozieren halt einfacher, weil man nicht in der Verantwortung steht. Merz sollte mal merken, dass er als Regierungschef dieser Verantwortung jetzt gerecht werden sollte. Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Staatsangehörigkeit oder auch ihrer Religion in die Schmuddelecke des Stadtbildes zu stellen, entspricht jedenfalls nicht dem Anspruch, den Merz gleichzeitig ständig betont: Er setze auf „Einheit statt Spaltung“, er setze auf das Lösen von Problemen und nicht auf den „Hunger nach Problemen“. Der „Miesmacherrhetorik“ der AfD wolle er ein „anderes Deutschlandbild“ (gut gemalt, Herr Merz!) entgegensetzen, sagte Merz.
Nun ja, aber dann hat er den Pinsel geschwungen, um düster das Bild zu malen, dass man seine Töchter nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus lassen könne. Worin unterscheidet er sich da also von den Miesmachern in blau?

Wie die „Töchter“ reagieren
Die zweite Runde des völlig überflüssigen Spektakels ging so: Ob der Herr Bundeskanzler seine Äußerung vom Stadtbild-Problem zurücknehmen oder sich gar dafür entschuldigen wolle, fragte ein Reporter. „Ich habe gar nichts zurückzunehmen“, konterte der Kanzler. Wer seine Töchter frage, werde vermutlich „eine ziemlich klare und deutliche Antwort“ darauf bekommen, was er mit seinen Äußerungen gemeint haben könnte. Allerdings bekleidet derzeit halt keine Tochter das Amt des Bundeskanzlers, sondern ein Mann, dessen wichtigstes Instrument qua Amt die deutsche Sprache ist. Und diesbezüglich hält er sich nicht mit Detailfragen auf, sondern begnügt sich mit Geraune.
Von ebendiesen Töchtern, viele von ihnen auch Mütter, Schwestern, Freundinnen und Partnerinnen, und anderen Gleichgesinnten stellten sich dann Tausende zum Protest auf die Straße vor die Parteizentrale der CDU in Berlin. Die umstrittene „Stadtbild“-Aussage mit dem Hinweis auf die Rechte der Frauen zu rechtfertigen, hielten die Demonstrierenden für keine gute Idee. Meist komme die Gewalt an Frauen nämlich aus dem häuslichen Umfeld, ihre Sicherheit sei daher ein Männer- und eben kein Migrantenproblem, betonten mehrere Rednerinnen.


Wenn ausgerechnet Friedrich Merz, der sich sonst öffentlich nicht besonders für die Sorgen von Frauen interessierte, nun die Sorgen von Frauen ins Feld führt, kann man das getrost als Instrumentalisierung von Frauen in der Migrationsdebatte interpretieren. Bei vielen anderen für sie wichtigen Themen fühlten sich Frauen überhört. Etwa bei der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs oder der Forderung nach gleicher Entlohnung, bei fehlenden Kitaplätzen oder der Tatsache, dass fast jeden Tag eine Frau Opfer eines Femizid werde.

Was soll die ganze Aufregung? Friedrich Merz hat schlicht die Adressaten verwechselt
Es kann durchaus sein, dass es Gegenden in deutschen Städten gibt, in denen sich die Bürger nicht mehr sicher fühlen. Doch erstens gilt das auch für Menschen anderer Hautfarbe und zweitens ist es sowieso Aufgabe der Polizei, Recht und Ordnung durchzusetzen. Zuständig für das „Stadtbild“ sind außerdem die jeweiligen Bürgermeister und die Länder, aber nicht der Bundeskanzler. Eine aktuelle BKA-Studie zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich derzeit im öffentlichen Raum besonders bedroht fühlen. Im „Stadtbild“ stimmt vieles nicht, aber dies lässt sich nicht mit Abschiebungen bereinigen. Armut, Obdachlosigkeit, Drogen, Müll, komplexe Probleme, können nicht abgeschoben werden.Da muss Merz schon tiefer bohren.


Interessant an der Äußerung von Merz ist außerdem die Frage, an wen sich diese eigentlich richtet. Wen meint er mit „Aber WIR haben im Stadtbild noch dieses Problem“? Es scheint klar, dass er mit WIR seine Union meint, möglicherweise auch seine Regierungs-Koalition, die sich zwar nach Kräften um Abschiebungen müht, der es aber von den Wählern nicht gedankt wird, da die AfD immer stärker wird. Er merkt gar nicht, dass er mit seiner sturen Rhetorik selbst dazu beiträgt. Seine Äußerung kam ja direkt nach einer Klausur der Union, bei der es sich um die kommenden Landtagswahlen 2026 drehte, und eben darum, wie man die AfD bekämpfen könne. Da flutschte mal eben seine Bemerkung über das „Stadtbild“ ins Mikrofon. Das war unbeholfen, quasi eine Verwechslung der Adressaten bei all dem Stress. Später, im dritten Akt, hat Merz dann immerhin die nicht unerhebliche Korrektur vorgenommen: Ganz gleich, wo sie herkämen, welche Hautfarbe sie hätten und ganz gleich, ob sie schon in erster, zweiter oder vierter Generation in Deutschland lebten und arbeiteten, „wir können auf sie eben gar nicht mehr verzichten“, sagte Friedrich Merz über Menschen mit Migrationshintergrund. Also, geht doch! Man muss als Maler nur mal die Farbe wechseln.