
Die AfD hat nach eigenen Angaben Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingereicht. Ein entsprechendes Schreiben sei an das zuständige Verwaltungsgericht Köln verschickt worden, bestätigte der Sprecher von Parteichefin Alice Weidel, Daniel Tapp. Das ist gut. Denn es heißt, dass die AfD die Gewaltenteilung und den Rechtsstaat in Deutschland anerkennt, ja sogar darauf hofft, dass dieser Staat der Partei jedwede Nachteile erspart. Frage natürlich: Gilt das dann auch, wenn das Gericht (und mögliche weitere Gerichtsinstanzen) zu einem anderen Urteil als dem gewünschten kommt? Oder soll das Ganze nur dazu dienen, sich weiter zum Opfer staatlicher Gewalt zu stilisieren, und dann zu behaupten, dass dieser deutsche Rechtsstaat nur dazu da sei, die AfD zu diskreditieren? Wenn aber das so behauptet würde, dann natürlich mit dem Ziel, den bisher bestehenden Rechtsstaat mal schnell aus den Angeln zu heben. Dies wiederum entspräche ja gerade dem Vorwurf des Verfassungsschutzes, dass die AfD den Plan hat, die bestehende Verfassung zu unterlaufen. Die Lage ist also verzwickt, nicht nur für die AfD, sondern auch für alle anderen. Denn natürlich ist es nicht so, dass der Verfassungsschutz in Deutschland ein besonders hohes Ansehen genießt. In jedem TV-Krimi sind das die undurchsichtigen Typen. Aber es soll ja auch kein Spaß sein, sich mit dem BfV anzulegen. Da geht es ums Überleben.
Jetzt nicht wie in den TV-Krimis, dass böse Kerle vom Verfassungsschutz skrupellos Leute umlegen. Sondern eher geht es um finanzielle und politische Konsequenzen. Die AfD kann nun umfassend ausspioniert, Räume können verwanzt, Telefone abgehört, Mitglieder beschattet, V-Leute eingesetzt werden. Das Mitgefühl mit Leuten, die eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ versprechen, mag sich in Grenzen halten. Aber es ist kein Zuckerschlecken, den Verfassungsschutz an den Hacken zu haben.
Wie begründet das BfV ihre Hochstufung?
Das Gutachten des BfV dokumentiere eine jahrelange Detailarbeit der Verfassungsschützer, heißt es in Sicherheitskreisen. Die Mitarbeiter des Bundesamts zeichnen demnach den Weg nach, wie die AfD seit der Einstufung als Verdachtsfall am 22. Februar 2021 bis zum 25. April dieses Jahres immer extremistischer wurde. Der Verfassungsschutz beobachtete öffentliche Posts in sozialen Medien, hörte sich Auftritte oder Interviews an und nutzte zeitweise auch Quellen aus seiner Geheimdienstarbeit. Um Informationen über die Arbeitsweise (und auch Informanten) zu schützen, wurde das Papier als geheim eingestuft.
Die AfD vertrete „mit Gewissheit einen ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff, mit dem sie Staatsbürgerinnen und -bürger mit Migrationsgeschichte als Deutsche zweiter Klasse behandelt“, lautet das Fazit durch den Verfassungsschutz. „Dies ist mit der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar.“ Die AfD verfolge „erwiesenermaßen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“.
Pläne für Massenabschiebungen, Warnungen vor „Umvolkung“ oder „Herumgemessere“: So begründet der Verfassungsschutz in seinem Gutachten auf nicht weniger als 1100 Seiten die Einstufung der AfD als „rechtsextremistisch“.
Obwohl das Gutachten insgesamt als geheim eingestuft wurde und nicht öffentlich zugänglich ist, wurden einzelne Ergebnisse dennoch vom BfV genannt. Die ausgrenzende Politik der Partei macht der Verfassungsschutz gleich an diversen Auftritten fest. So verweist die Behörde auf eine Wahlkampfrede von Co-Chefin Alice Weidel in Werder an der Havel in Brandenburg. „Das Herumgemessere, die Vergewaltigungen“, seien Phänomene, „die völlig neu sind in unserem Land“, sagte Weidel im September 2024 und brachte Gewaltkriminalität in Zusammenhang mit dem Dschihad. „Hier wird ein Glaubenskrieg gegen die deutsche Bevölkerung geführt.“ Dem als rechtsextrem eingestuften Sender Compact TV sagte sie bereits im Juli 2023, in Deutschland seien „Parallelgesellschaften gefördert“ worden. „Messerkriminalität“ sei „aus gewaltbereiten Kulturen“, etwa aus Afrika und dem Nahen Osten, nach Deutschland gekommen. Sicherheitskreisen zufolge fiel die AfD den Behörden vor allem im Wahlkampf durch fremdenfeindliche Botschaften und herabwürdigende Beschreibungen von Migranten auf. Geflüchtete würden als gewalttätig, aggressiv und die Sozialsysteme ausnutzend dargestellt. „Deutschlands Höllensommer hat nichts mit dem Klima zu tun“, heißt es etwa in einem im Gutachten zitierten Beitrag des AfD-Bundesvorstands auf der Plattform X vom 7. September 2024 vor den Landtagswahlen in Brandenburg. Zu sehen ist ein blutverschmiertes Messer in der Hand eines nicht-weißen Mannes.
Auch die in der AfD immer wieder geäußerte Forderung nach einer „Remigration“ führt der Verfassungsschutz zur Begründung für die neue Einstufung an. Der Verfassungsschutz hat nun dokumentiert, dass diese „Remigrations“-Forderungen aus den Reihen der AfD keineswegs Einzelfälle waren. So verbreitete der AfD-Bundesverband im August 2024 einen Tweet der AfD Thüringen im dortigen Landtagswahlkampf. Zu sehen ist ein Flugzeug mit der Aufschrift „Abschiebehansa“. Darunter der Slogan: „Sommer, Sonne, Remigration“. In einem weiteren vom Verfassungsschutz zitierten Facebook-Beitrag des Bundesverbands vom September 2023 heißt es: „Abschieben schafft Wohnraum!“ In dem Gutachten sollen sich zahlreiche in der AfD verwendete Begriffe wie „Passdeutsche“ und Chiffren wie „Großer Austausch“ und „Umvolkung“ wiederfinden.
So warnte AfD-Bundesschriftführer Dennis Hohloch davor, dass das „Wahlvolk ausgetauscht“ werde. Multikulti bedeute „Traditionsverlust, Identitätsverlust, Verlust der Heimat, Mord, Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigung“. Vorstandskollege Gnauck forderte laut Verfassungsschutz: „Wir müssen auch wieder entscheiden dürfen, wer überhaupt zu diesem Volk gehört und wer nicht.“
Was folgt für die AfD aus dem Gutachten?
Das BfV ist ja keine Polizeibehörde. Der deutsche Verfassungsschutz kann niemanden verhaften (oder gar erschießen). Er sammelte nur – wenn auch mit harten Methoden – Informationen und leitete dieses Gutachten verfassungsgemäß offiziell an die Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ im Bundesinnenministerium weiter. So ist das nun mal in der Verfassung geregelt.
Die Einstufung setzt die AfD allerdings weiter unter Druck. Für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie V-Leute und Observierungen sinken die rechtlichen Hürden. In immer weitere Ferne rückt auch die von der AfD geforderte millionenschwere staatliche Förderung ihrer parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Mehrere Bundesländer wollen zudem prüfen, ob die Neubewertung Folgen für AfD-Mitglieder im Staatsdienst hat. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte sogar zu prüfen, ob die AfD auf dieser Grundlage generell von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden könne.
Wäre ein Verbotsverfahren nicht für alle gut?
Nach der Einstufung des BfV werden in der Union, in der SPD und auch bei den Grünen wieder Stimmen laut, beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag gegenüber der AfD zu stellen. Dies würde bedeuten, dass dann das höchste deutsche Gericht prüfen würde, ob die Fakten, die vom BfV zusammengetragen wurden, auch wirklich stichhaltig sind. Dieser Prozess könnte Jahre dauern, brächte jedoch Klarheit. So oder so. Wenn dann die AfD wirklich verboten würde, hat eine unabhängige Instanz dies geprüft. Dann bliebe nur noch die Mär, dass alle deutschen Institutionen (Staat, Parteien, BfV und Gericht) unter einer verschwörerischen Decke stecken, um der AfD zu schaden. Und umgekehrt: Entschiede sich das Bundesverfassungsgericht gegen ein Verbot würde Klarheit darüber bestehen, dass die AfD auf dem Boden der Verfassung steht und nur im politischen Wettstreit besiegt werden kann. Im Grunde wäre eine solchen Prüfung für alle Beteiligten gut. Es braucht den Mut, Klarheit zu wollen.