Nie & nimmer

Ja, es stimmt, dass sich die Ampel-Regierung viel Streit und Getöse erlaubt. Davon aber Politik­verdrossenheit in Deutschland oder gar de­n Aufschwung der AfD abzuleiten, ist eine ziemlich blöde Erzählung der Union. Politik ist nicht nix tun.

Seit Sigmund Freud wissen wir, dass sich das Unbewusste immer einen Weg bahnt, das zu sagen, was man eigentlich verheimlichen wollte. Dafür hat nun Kanzler Olaf Scholz mal wieder ein schönes Beispiel gegeben.  Nach der Klausur der Ampel-Koalition auf Zauberschloss Meseberg wollte Scholz den guten Geist seiner Regierung loben. Zuvor hatte Robert Habeck gehabeckt: „Der Geist der Klausur“ sei es gewesen, eine „lernende Geschlossenheit“ ins Zentrum zu stellen. Klingt ein bisschen nach koalitionärer KI, die in den Köpfen der Ampel-Rädelsführer nun also greifen soll. Weil das vielleicht doch zu rätselhaft war, hat der daneben stehende Christian Lindner ergänzt: „Wir sind eine Regierung, wo gehämmert und geschraubt wird. Das führt zu Geräuschen, wie Sie schon festgestellt haben“, so Lindner zu der Schar der Journalisten. Und fügte an: „Aber es kommt auch etwas dabei raus!“ Nun ja, Olaf Scholz, der zwischen Habeck und Lindner stand, wollte dann das mit den „Geräuschen“ so nicht stehen lassen, wo er doch schon lange anmahnt, dass es leiser zugehen müsste. Er sagte also: „Wir werden hämmern und klopfen, aber mit Schalldämpfer.“ Schwups, hallo Sigmund Freud: Schalldämpfer sind ja die Dinger, die auf der Knarre montiert sind. Scholz sagte also, dass er glaubt, dass sich seine Koalitionäre weiterhin beschießen werden. Sie sollen sich aber etwas leiser meucheln. 

Tja, der gute Geist von Meseberg wird wohl flüchtig sein. Aber es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es für eine Regierung ein Vorteil oder ein Nachteil ist, wenn man sich zofft. Den philosophischen Ansatz dazu lieferte Robert Habeck: Diese Regierung müsse verstehen, dass „verschiedene Blickwinkel eine Stärke sind“, dass man da voneinander lernen könne und dass Kompromisse „etwas Gutes“ seien. Schon klar, aber kleine Gegenfrage: Versteht es der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Habeck auch, wenn die Familienministerin Paus (beide Grüne) ihn kürzlich wegen eines Streits mit FDP-Chef und Finanzminister Lindner ganz schön alt hat aussehen lassen?

Was schon so alles für Ampel-Zoff gesorgt hat

Die Ampel-Koalition ist genau in der Hälfte ihrer ersten Regierungszeit angekommen. Man könnte sagen, dass diese Regierungszeit auch deshalb wie im Flug vergangen ist, weil stets für gute Unterhaltung gesorgt war.   

Eine kleine Auswahl des Ampel-Zoffs zur Halbzeit: Der Streit um die Impfpflicht (ja, man mag es kaum glauben, dass Corona mal ein beherrschendes Thema war). Gesundheitsminister Karl Lauterbach sah den Staat in der Verantwortung und die Impfpflicht als einzigen Weg aus der Pandemie. Auch die Grünen waren dafür und forderten Booster fürs Land. Große Teile der FDP waren dagegen, wegen der Freiheit und so. Kein Vorschlag war am Ende in der Ampel mehrheitsfähig, ein Kompromissvorschlag scheiterte Ende April im Bundestag. Olaf Scholz hatte „persönlich“ für die Impfpflicht votiert, aber keine Koalitionsdisziplin bei der Abstimmung eingefordert. Jeder Abgeordnete sollte frei nach Gewissen entscheiden können. Weil sich die damals neue Omikron-Variante des Corona-Virus als weniger gefährlich herausstellte, kam es nicht zur Impfpflicht.

Die Sache mit dem Tankrabatt: Als die Inflation im Frühjahr 2022 Monat um Monat stärker zuschlug, sei es Zeit, den Menschen mal etwas zurückzugeben, dachte sich die Ampel. Alle sollten irgendwie profitieren: Familien und arme Menschen, Studierende und Rentner, Pendlerinnen und Steuerzahler. So kam es zum Tankrabatt (der von den Ölkonzernen gerne genutzt wurde, um die Gewinne zu erhöhen) und zum ziemlich erfolgreichen Neun-Euro-Ticket Immerhin: es gab keinen großen Streit in der Ampel, weil die FDP die Autofahrer (freie Fahrt für freie Bürger) entlastete und die Grünen mit dem super nachgefragten Bahnticket etwas für die Umwelt tun durften.

Der Streit um die Atomkraft, der auch ganz aktuell wieder aufflammt. Die Angst vor einem dunklen Winter mit Stromausfällen war groß. Deshalb wollte die FDP die Zukunft von Deutschlands letzten drei Atomkraftwerken retten. Die Grünen waren natürlich gegen den Ausstieg vom 2011 beschlossenen Ausstieg, sie waren allenfalls bereit, unter Schmerzen einige Monate zusätzlichen Reservebetrieb zu akzeptieren. Am Ende sprach der Kanzler ein Machtwort, beziehungsweise schrieb einen Brief, mit Richtlinienkompetenz: Die AKW laufen knapp vier Monate länger, dann hat ist Schluss.

Der Streit um das „Heizungsgesetz“, der dann tatsächlich für viel Verunsicherung sorgte. Eigentlich war die Sache klar. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass von 2025 an jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent klimafreundlich sein soll. Angesichts des Ukraine-Krieges und der Energiekrise wollte Klimaminister Habeck das Gesetz um ein Jahr vorziehen – und die FDP zog mit. Anfangs jedenfalls. Dann folgte die „Heiz-Hammer“-Kampagne der Bild-Zeitung und unfreundlich formulierte Fragenkataloge wurden von FDP-Leuten an Habecks Haus geschickt. Habeck veranlasste das Ende März 2023 zu einem sehr wütenden Tagesthemen-Interview. Er sei „ein bisschen alarmiert, ob überhaupt Einigungswille da ist“. Monatelang schwelte der Konflikt. In mühsamen Runden wurde schließlich im Frühsommer eine Einigung gefunden. Weil das aber kurz vor der Sommerpause zu knapp für den Bundestag war, gab das Verfassungsgericht einem Eilantrag der CDU/CSU statt. Der Bundestag habe zu wenig Zeit gehabt, über das Gesetz zu beraten Wird jetzt also im Herbst nachgeholt. Nun ja, und dann war da noch der Streit ums Kindergeld, der inzwischen beigelegt ist.

Was die Ampel jetzt plant

Für die „zweite Halbzeit“ hat sich die Ampel-Regierung im Schloss Meseberg auf ein stattliches Bündel an Vorhaben geeinigt. Als eines der wichtigsten Vorhaben gilt dabei das „Wachstumschancengesetz“. Es enthält rund 50 Steuererleichterungen, durch die Unternehmen bis 2028 viel Geld sparen sollen, nämlich bis zu 32 Milliarden Euro.

Aber auch hier, wie immer und überall, zeichnen sich Konflikte innerhalb der Ampel ab. Denn Grüne und die SPD-Fraktion hätten gerne einem subventionierten Strompreis, aber FDP-Chef und Finanzminister Lindner lehnt diesen „Industriestrompreis“ ab und Kanzler Scholz scheint dies ebenso zu sehen.

Die Bundesländer drohen mit Blockaden

Die in Meseberg beschlossenen Vorhaben der Bundesregierung müssen jetzt noch vom Bundestag beschlossen werden, wo die Ampel die nötige Mehrheit hat. Aber einige Vorhaben, wie etwa das „Wachstumschancengesetz“ müssen auch vom Bundesrat gebilligt werden. Da CDU und CSU bekanntlich an neun der 16 Landesregierungen beteiligt sind, drohen sie jetzt schon mit Blockaden. 

Fazit: Politik ist nicht nix tun

Die immer wieder vorgebrachten „Argumente“, dass die Ampel-Regierung wegen diverser Streitereien an einer Politikverdrossenheit und gar am Aufschwung der AfD  schuld sei – wie es gerne aus Kreisen der Union verlautet wird (warum wohl?) – sind Quatsch. So einfach ist es nicht. Warum profitiert dann nicht die Union von dieser Verdrossenheit? Nein, die Leute sind nicht so blöd, dass sie Streitereien in der Ampel abschrecken würde. 

Vielmehr ist es so, dass in Zeiten von Krieg und Inflation natürlich Ängste hochkommen. Und in diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Politik der Ampel (man wäre ja gespannt, wie eine Politik der Union in diesen Zeiten aussähe), mit allem Ringen um die „richtigen“ Lösungen. Aber klar ist: Politik ist nicht nix tun, wie man in den Jahren unter der Unionsregierung manchmal mutmaßen konnte. Und nur „dagegen sein“ ist keine Lösung. Nie und nimmer.