Macron setzt eine Duftmarke 

Es gab einen Sturm der Entrüstung, nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron sich einer vulgären Sprache bediente, um den Ungeimpften den Kampf anzusagen. Doch das war wahlkampftaktisch durchaus klug von ihm. Und es war so gewollt.

Es ist – wie eigentlich immer im Leben – eine Frage der Übersetzung. Emmanuel Macron hat sich in einem Zeitungsinterview vulgär über die nicht geimpften  Franzosen geäußert. Er wolle diesen Landsleuten „bis zum Ende“, ja was also? Hier geht es dann um die Übersetzung im engeren Sinne: „Auf die Nerven gehen“, „auf den Wecker gehen“ oder „auf den Sack gehen“ jeweils im Sinne von „drangsalieren“ stehen im Deutschen zur Verfügung, um das elegant zu umschreiben, was Macron wörtlich sagte, nämlich das französische Wort „emmerder“, in dessen Wortstamm „merde“ vorkommt, also Scheiße. Macron will die Impfgegner in seinem Land folglich „mit Scheiße überziehen“, kurz: „ankacken“. Hier stellt sich hier erneut die Frage der Übersetzung im weiteren Sinne: Was will Macron mit dieser Wortwahl bezwecken?

Eines steht fest: Ein Versehen von Macron kann es nicht gewesen sein. Ein falsches Wort zur falschen Zeit, das einem Poltiker halt mal so rausrutscht, war es keineswegs. Dies wäre vielleicht bei einem Live-Interview im TV bei so manchem Politiker noch vorstellbar (eher bei Laschet als bei Macron), aber es handelte sich um ein Interview in der Zeitung „Parisien“, also in einem Medium, das vor Drucklegung das schriftliche Interview noch einmal Macron (und einer Heerschar an Beratern) zur Freigabe vorlegt.  

Also war die Wortwahl pure Absicht. Und Macron unterfütterte seine Drohung ja auch mit weitergehenden Aussagen. Macron erläutert im Interview, er werde die Ungeimpften „nicht ins Gefängnis stecken und nicht zwangsweise impfen lassen“. Er wolle ihnen aber „soweit wie möglich den Zugang zum Sozialleben verweigern“ und sie „bis zum Schluss piesacken“. Das sei die Strategie. „Vom 15. Januar an können sie nicht mehr ins Restaurant gehen, kein Gläschen Wein mehr einnehmen, keinen Café trinken, nicht ins Theater und ins Kino gehen“, sagte Macron.  Impfgegner „untergraben die Festigkeit der Nation“. Und: „Wenn meine Freiheit die der anderen bedroht, bin ich ein verantwortungsloser Mensch. Ein Verantwortungsloser ist kein Bürger mehr.“  

War der kalkulierte Klartext darauf aus, noch ungeimpfte Personen zum Umdenken zu bewegen? Laut Regierung hatten Macrons Worte sogleich einen positiven Effekt. So sagte Gesundheitsminister Olivier Véran, dass 66 000 Menschen innerhalb des darauffolgendenTages eine Erstimpfung erhalten hätten, so viele wie seit dem 1. Oktober nicht mehr. Er glaube „nicht an den Zufall“, so Véran, sondern die Worte des Präsidenten hätten Wirkung gezeigt. 

Kann das sein? Ist eine Provokation eher wirksam als der von Olaf Scholz in Deutschland so oft beschworene „Zusammenhalt“? Hilft die direkte Drohung weiter? Hat Macron mit seiner Sprache gezeigt, dass er das ebenso kann wie die Impfgegner, nämlich denen so auf den Sack zu gehen wie sie ihm? Hat er gar ihre Sprache gesprochen? Und haben sie ihn deshalb dann auch verstanden? 

Frei übersetzt hat Macron den Präsidentschaftswahlkampf damit eröffnet, dass er nicht wie ein Präsident sprach, sondern wie einer aus dem Volk. Denn es ist ja nicht so, dass die Franzosen das Wort „emmerder“ im Alltag nicht benutzen würden, sondern eher so, dass sie das alle tun. Seine politischen Gegner wollen ja oft das Bild beschwören, dass Macron in seiner eigenen präsidialen Welt lebe und die Realität der Franzosen nicht kapiere. Insofern war es wahlkampftaktisch klug von Macron, dass er nicht höfliche Präsidentenworte sondern derbe Franzosenworte wählte.  Einige Abgeordnete verteidigten ihn: Er sage „laut, was alle leise denken.“ Macron setzt seine Duftmarke.