Jeder kann etwas tun, Interview mit Jasmin Arbabian-Vogel

Die Unternehmerin Jasmin Arbabian-Vogel kam mit 18 aus dem Iran nach Deutschland. Sie begrüßt eine feministische Außenpolitik und fordert eine klare Haltung gegenüber des iranischen Regimes.

Bild: Martin Huch

Bei der Verleihung des Juliane Bartel Medienpreises beim NDR in Hannover hat Jasmin Arbabian-Vogel eine beeindruckende Rede gehalten, in der sie aufzeigte, wie wichtig eine solidarische Haltung des Westens mit den Protestierenden im Iran ist. Die Unternehmerin stammt selbst aus dem Iran, lebt seit 35 Jahren in Deutschland und ist geschäftsführende Gesellschafterin der Interkultureller Sozialdienst GmbH sowie Präsidentin des Verbands Deutscher Unternehmerinnen.

Ihr Vater ist Iraner, Ihre Mutter Deutsche, Sie sind im Iran aufgewachsen und erst 1986 mit 18 Jahren nach Deutschland gekommen. War das ein warmes Willkommen?

Jasmin Arbabian-Vogel: Jein. Ich war ja vorher auch schon in den Sommerferien in Deutschland, bei meiner deutschen Oma und meinen Onkels. Von daher war mir dieses Land nicht gänzlich fremd. Aber es ist ein fulminanter Unterschied, ob man zu Besuch für zwei bis drei Wochen ist oder ob man kommt, um wirklich zu bleiben. Ich habe mich in der Anfangszeit sehr fremd gefühlt, vor allem der „Culture Clash“ war nicht ganz ohne.

Wie stehen Sie mit diesem Erfahungshintergrund zur derzeitigen politischen Diskussion über die Fristen zur Einbürgerung?

Jasmin Arbabian-Vogel: Sehr, sehr zwiegespalten. Wir sind mittlerweile Weltmeister im Diskutieren und Kreieren von Gesetzesinitiativen und Vorhaben, die letztendlich in der Realität scheitern. Es genügt nicht, dass wir ein Gesetz erlassen und damit soll alles einfacher werden. Nur weil wir dieses Bestreben haben, dass Menschen einfacher einwandern können, heißt das nicht, dass dies auch faktisch in der Realität passiert. Wir haben ja im Moment zwei Diskussionen. Zum einen die Staatsbürgerschaftsdiskussion, und da finde es richtig, dass Menschen – ob die nun fünf oder sieben Jahre hier leben –, die sich als BürgerInnen verstehen, auch eingebürgert werden. Das ist eher Kosmetik, wenn man da sagt, das sollen lieber sieben oder acht Jahre sein. Die andere Diskussion, die wir momentan führen, ist die Frage nach der Einwanderung. Die Grundidee ist honorig. Die Leute, die wir brauchen, sollten schneller einwandern können. Aber sind wir ein attraktives Land, das andere willkommen heißt? Wenn wir das nämlich nicht sind, dann haben wir schlechte Karten. Und die Diskussion um das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz halte ich für viel zu eng. Uns fehlen nicht nur Fachkräfte. Das ist die vertane Chance, denn mit der vorliegenden Gesetzesinitiative kann man nur mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem akademischen Abschluss einwandern, und dieser muss in etwa gleichwertig sein. Wenn Sie aber Kellnerin sind, beispielsweise aus Bosnien, und möchten unbedingt in Deutschland arbeiten, wird das nicht funktionieren. Denn in Bosnien ist Kellnerin kein dualer Ausbildungsberuf. Diese Ausbildung, wie wir sie haben, gibt es nirgendwo auf der Welt. Bei vielen Berufen werden die Menschen also diese Gleichwertigkeit niemals herleiten können, weil ihnen die Dokumente dazu fehlen. Aber wir brauchen eben Kellnerinnen, Menschen in der Reinigung, uns fehlen an allen Ecken und Kanten Menschen. Und da sagen wir, wir hätten aber nur gerne die Fachkräfte, und dann bitteschön auch nur die, welche gleichwertige Abschlüsse mitbringen. Im Endeffekt ist das eher ein Abschreckungssignal. So kriegen wir die Leute nicht.

Der deutsche Staat sollte also grundsätzlich auch ausländische Abschlüsse oder andere Bildungswege anerkennen?

Jasmin Arbabian-Vogel: Ich würde es mal anders formulieren: Unsere Angst ist ja immer, dass jemand in unser Sozialsystem einwandern will. Aber der Fokus müsste genau umgekehrt liegen. Die jungen Leute, die herkommen, wollen in einen Arbeitsmarkt einwandern, mit einer offenen, demokratischen und liberalen Gesellschaft. Das sollten wir mal als ein positives Faktum wahrnehmen, als eine Riesenchance. Und wenn dann zufälligerweise jemand sagt, ich bin Kellner, kann aber leider nichts vorweisen, weil da wo ich herkomme, ist das kein Ausbildungsberuf. Dann sollten wir sagen, okay, wenn du einen Arbeitsvertrag hast, wenn dich der Goldene Hirsch um die Ecke als Kellner nimmt, dann bist du willkommen. Alles andere ist doch Unsinn.

Sie selbst haben in Deutschland Politik und Sozialpsychologie studiert und bereits mit 26 Ihr eigenes Unternehmen gegründet, einen interkulturellen Pflegedienst. Eine Senkrechtstarterin mit einer genialen Idee?

Jasmin Arbabian-Vogel: Das war 1995/96 und auch noch eine ganz andere Zeit. Da wurde die soziale Pflegeversicherung gerade installiert, die gab es vorher ja nicht. Und damals wurde gerade groß diskutiert, ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht. Heute diskutieren wir das nicht mehr, wir sind ein Einwanderungsland. Und das ist gut so. Damals stieß ich mit der Idee von der interkulturellen Pflege in eine richtige Nische rein, die eigentlich keine Nische ist. Wir haben ja eine multikulturelle Gesellschaft. Das war dann auch ziemlich schnell von Erfolg gekrönt. Es war die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt.

Heute leiten Sie dieses Unternehmen mit 180 Mitarbeitenden…

Jasmin Arbabian-Vogel: Es sind vier Unternehmen: zwei Pflegedienste und ein Haushaltsunternehmen sowie ein Yoga- und Pilates-Studio, mit insgesamt 230 Mitarbeitenden.

Hätten Sie einen vergleichbaren beruflichen Weg auch im Iran gehen können?

Jasmin Arbabian-Vogel: Im Iran ist selbstständig zu sein etwas total normales, anders als hier. Das steht dem Sicherheitsbedürfnis des durchschnittlichen deutschen Bundesbürgers diametral entgegen. Im Iran ist die Gesellschaft – vor allem die Frauen – zwar deutlich eingeschränkter, aber sie suchen sich ihre Nischen. Und auch wenn die Gleichstellung keinesfalls vergleichbar ist, gehen die Frauen im Iran dennoch ihren Weg.

Sie kannten eine 19-jährige Iranerin, die sich nach einem Gefängsnisaufenthalt im Iran, wo sie gefoltert und vergewaltigt wurde, das Leben nahm. Was man sonst nur medial aus dem Iran mitbekommt, rückt für Sie dadurch ganz nah.

Jasmin Arbabian-Vogel: Ich habe kurz nach Beginn der Proteste über viele verschiedene Umwege meine beste Freundin wiedergefunden, die ich seit über 20 Jahren aus den Augen verloren hatte. Sie lebt mittlerweile in der Türkei. Dort habe ich sie spontan besucht. Während dieses kurzen Besuchs platzte die Nachricht vom Tod dieses Mädchens herein. Sie war die Freundin der Tochter meiner Freundin. Diese Erfahrung, dass irgendjemand aus dem nahen Kreis plötzlich tot ist, machen im Moment alle Iraner. Die Familien und Clans im Iran sind groß und weit verzweigt, man findet dort momentan keine Familie, die nicht ein Opfer zu beklagen hat, sei es weil Angehörige im Gefängnis sitzen, gefoltert oder hingerichtet wurden oder sich suizidiert haben. Alle im Iran sind von den Repressionen betroffen, selbst der Klerus. Und dadurch, dass die Welt durch das Internet so nah zusammen gerückt und miteinander verbunden ist, können wir auch nicht mehr sagen, dass es uns nicht tangiert.

Könnten westliche Staaten noch mehr tun? Müsste die deutsche Regierung noch eine klarere Haltung zeigen?

Jasmin Arbabian-Vogel: Dieses Haltung-Zeigen hat einen sehr großen Einfluss. Ich bin auch sehr erstaunt, wie sehr die Mullahs darauf reagieren. Sie haben große Angst davor, dass die Welt das, was sie tun, als falsch bewertet. Denn ihre Anhängerschaft schmilzt im Iran. Durch das Internet sehen die Anhänger des Regimes, wie die Welt da draußen über sie denkt. Das geht an Betonköpfen vorbei, aber nicht alle sind Betonköpfe. Dadurch erodiert die Zustimmung für das Regime, und das Regime weiß das. Deswegen haben die so eine wahnsinnige Angst vor dieser Standortbestimmung, sie wollen nicht alleine da stehen. Wir haben momentan einen Kanzler, der zwar sehr besonnen ist, aber es gibt Momente, da ist Besonnenheit fehl am Platz. Und wenn man weiß, welche Macht die Worte haben, dann ist das schon beinahe ein Gebot der Stunde, die Worte so scharf wie möglich zu nutzen. Diplomatie ist nicht mehr angezeigt. Es geschehen dermaßen Menschenrechtsverbrechen, dass man da einfach nicht mehr diplomatisch sein kann. Und zweitens, man sollte Dinge so klassifizieren, wie sie auch sind: Die Hisbollah und die Basidsch sind eine Terrororganisation und gehören als solche eingestuft. Das kann von Deutschland ausgehen, wir sind stark in der Staatengemeinschaft. Und wenn die UN diese beiden Gruppierungen als Terrororganisationen einstuft, dann hat das einen wahnsinnigen Effekt. Drittens: notwendige Sanktionen – im Moment gibt es nur gegen elf iranische Personen Sanktionen, das ist viel zu wenig, es müssten eigentlich die gesamten Basidsch-Führungskräfte sanktioniert und deren Konten eingefroren werden. Und als vierten Punkt: Ich glaube der Weg, den Frau Baerbock geht, mit der klaren Formulierung einer feministischen Außenpolitik, ist der richtige. Auch wenn die alten, weißen Männer darüber lächeln. Die Männer dieser Welt, die ja die Kriege anzetteln, und letztendlich diejenigen sind, die Gewalt anwenden, haben davor Angst. Deshalb ist es vollkommen richtig, das so zu benennen und daraus auch Handlungsrichtlinien und Handlungsweisen abzuleiten.

Wird da ein gewaltiges Potenzial nicht genutzt, wenn immer noch zu wenig Frauen aktiv in der Politik und Wirtschaft als Entscheidungsträgerinnen eingebunden sind?

Jasmin Arbabian-Vogel: Definitiv. Aber in dem Moment, in dem die Außenministerin sagt, die Leitlinie unserer Außenpolitik ist eine feministische Perspektive, ergibt sich vieles. Dann können die Strukturen geändert werden. Das fängt bei der Behörde an, da muss sich Frau Baerbock fragen, wie sieht es bei uns im Amt mit der Frauenquote aus, wie in den zuarbeitenden Referaten.

Ist in unserem Denken die wirtschaftliche Ausrichtung nicht übermächtig? Nehmen wir als Beispiel Katar – die WM ist verpönt, der Gaseinkauf wird bejubelt.

Jasmin Arbabian-Vogel: Ich habe dazu zwei Gedanken. Erstens glaube ich, dass die Wirtschaft inzwischen auch festgestellt hat, dass manche Entwicklungen sogar gut sind, denken Sie an die Diversitäts-Diskussion. Ich glaube, es ist allen Akteuren in der Wirtschaft bekannt, dass diverse Teams bessere Ergebnisse liefern. Das ist ein Wirtschaftsfaktor, nicht nur nice to have und schön anzuhören, wenn man den Quotenschwarzen und die Quotenfrau hat. Nein, es hat auch einen Impact auf die Ergebnisse. Das ist die gute Nachricht, wir müssen es den Leuten nicht mehr schmackhaft machen, sondern die Botschaft ist angekommen. Zum anderen glaube ich aber, dass wir auf der politischen Ebene die Karten durchaus anders spielen könnten. In den Vergaberichtlinien des Landes Niedersachsen steht beispielsweise drin, dass darauf geachtet wird, dass die Firmen, die Aufträge bekommen sollen, nach Tarif bezahlen. Das kann ein Kriterium sein, wir können aber in Zukunft viel stärker darauf achten, dass die Firmen, die Aufträge erhalten, vor allem nachhaltig agieren. Oder es kann ein Ausschlusskriterium sein für eine Vergabe, wenn das Vorstandsgremium eines Unternehmens ausschließlich männlich besetzt ist. Wir haben Instrumente in der Hand, wir nutzen sie auch jetzt schon. Die Frage ist aber, ob diese Instrumente den richtigen Kriterien folgen. Da haben wir Handlungsspielräume.

Haben wir als Normalbürger und -bürgerinnen eine Möglichkeit aus der Zuschauerrolle herauszutreten, gegenüber autoritären Regimes?

Jasmin Arbabian-Vogel: Ja, es gibt eine ganze Menge. Das, was die Proteste im Iran massiv trägt, ist die Aufmerksamkeit aus dem Ausland und die große Solidaritätswelle. Den psychologischen Effekt dabei kann und darf man wirklich nicht unterschätzen. Zum anderen sind wir Dank der technischen Möglichkeiten nicht mehr machtlos. Jeder kann so ein bisschen Elon Musk spielen, nicht in dem man Satelliten ins All schickt, das kann nur ein Multimilliardär, aber wir alle können kleine Satelliten sein. In dem wir nämlich zum Beispiel Tools wie Snowflake flächendeckend runterladen (eine Browsererweiterung, die ermöglicht, trotz Netzsperren auf das Internet zuzugreifen. Der eigene Rechner dient dabei als Sprungbrett für ein Netzwerk, dass zur Anonymisierung von Internetverbindungen genutzt wird; Anm.d.Red.) Damit können wir den Menschen in all den Ländern, in denen das Internet eingeschränkt wurde, Zugang ins Netz verschaffen.

Das komplette, ausführliche Interview können Sie unter www.barbarabreitsprecher.com lesen.