Gibt es einen Fußball jenseits des großen Geldes?

Die organisierte Fan-Szene in Deutschland feiert einen Sieg über die Investoren-Pläne der DFL. Aber es könnte in der Folge davon noch schlimmer kommen.

Christian Günter kam nach langer Verletzungszeit mit Wucht zurück: Gegen die Bayern erzielte er gleich mal ein Traumtor . Die dicke Bandage an seinem zuvor gebrochenen Unterarm zeugt noch immer von der schweren Verletzung. Bild: Achim Keller

Die Fans sind ja nicht alles im Fußball, aber ohne die Fans geht gar nix. So könnte man in Abwandlung des Spruchs über die Gesundheit die Lage in den deutschen Bundesligen beschreiben, nachdem die organisierte Fanszene den bereits beschlossenen Investoren-Einstieg in die DFL zum Kippen gebracht haben. Beachtenswert ist dabei auch die enorme Disziplin der Fans. Etliche Spiele, die bereits am Rande des Abbruchs standen, wenn auch nur ein einziger Tennisball noch geflogen wäre – und dann warf keiner mehr. Und dies mitten in der aufgeheizten Situation in den Stadien, wo tausende Fans emotional bei der Sache waren. Und keiner scherte aus. Das ist beeindruckend. Es ist ein Beispiel für die Kraft und die Intelligenz der Gruppe. Eine Dynamik, die man ja gerade in Deutschland zuletzt oft vermisste.

 
Wer also dachte, die Fußball-Fans seien nur dazu da, das „Produkt“ Fußball noch besser vermarkten zu können, sah sich getäuscht. Die Szene wollte nicht nur eine prima Stimmungskulisse sein, die dann international mit dem Geld eines Finanzinvestors für feine Medienerlöse sorgt. Die Kulisse hat aufgemuckt. Das „Produkt“ Fußball war seiner Stimmung beraubt. Und so musste die DFL ein Rückzieher machen, nicht zu verwechseln mit dem Uwe-Seeler-Gerd-Müller-Klaus-Fischer-Fallrückzieher, der natürlich zur Folklore gehört.  

Die Fans feiern ihren Sieg 

Der Sprecher des Fan-Dachverbandes „Unsere Kurve“, Thomas Kessen, wertet den gestoppten Investoren-Einstieg bei der Deutschen Fußball Liga als einen „großen Erfolg für alle aktiven Fußball-Fans und alle Mitglieder der Vereine“. Dem Sportinformationsdienst sagte Kessen, die „umfassenden, aber sehr friedlichen und sehr kreativen Proteste“ seien „der Schlüssel zum Erfolg gewesen“. Dies zeige, „dass der deutsche Fußball mitgliederbasiert und demokratisch ist und dass eben diese Mitglieder bei solch richtungsweisenden Entscheidungen mitgenommen werden müssen“. Kessen sprach dann auch von einem „guten Tag für Deutschlands Fußball-Fans.“

Ja okay, die solidarische Organisation der Fans über alle Vereinsgrenzen hinweg war schon sehr engagiert. Und tatsächlich waren auch die Proteste als solche mit einem gewissen Charme ausgestattet, man frage nach bei Stuttgarts Deniz Undav, dem die Schokotaler Genuss und neue Energie in einem waren.  Verglichen mit den Scharmützeln, die sich Fangruppen sonst oft untereinander liefern, nicht selten mit teils extremen Pyro-Auftritten, wo in den Stadien gegeneinander gezündelt wurde. Wie heißt es so schön auf Wikipedia: „Die Pyrotechnik (altgriechisch pyr „Feuer“) weist auf eine Technik in Verbindung mit – meist explosiv ablaufender – Verbrennung hin.“ Kann man so sagen. Und ja, die sich gegenseitig hochschaukelnden Pyros waren oft wie ein Kriegsding unter den Fans der Vereine. Sie tauchten die Spielfelder nicht selten in Blitz und Asche, und zwar eher ohne Rücksicht auf Verluste. Daher war es umso verwunderlicher, dass es auch einen gemeinsamen und relativ soften Protest der Fanszene geben konnte. Da waren Feindseligkeiten untereinander dem gemeinsamen Feind, der „Heuschrecke“ untergeordnet. 

Wie hat die DFL ihren Rückzieher begründet?

Die DFL hat mitgeteilt, dass sie die Verhandlungen zum Abschluss über den geplanten Milliarden-Deal nicht mehr fortführen wird. „Eine erfolgreiche Fortführung des Prozesses ist in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen nicht mehr möglich“, sagte Hans-Joachim Watzke, Sprecher des DFL-Präsidiums. Die Liga wollte für eine prozentuale Beteiligung an den TV-Erlösen von einem Finanzinvestor eine Milliarde Euro erhalten. Ein derartiges Modell soll es nicht mehr geben. „Dieser Prozess ist ad acta gelegt. Wir müssen mal ganz neu anfangen“, sagte Watzke auch mit dem Blick auf eine bessere Auslandsvermarktung der Liga.

Watzke argumentierte dann noch in der Tiefe: „Auch wenn es eine große Mehrheit für die unternehmerische Notwendigkeit der strategischen Partnerschaft gibt: Der deutsche Profifußball steht inmitten einer Zerreißprobe, die nicht nur innerhalb des Ligaverbands zwischen den Klubs, sondern teilweise auch innerhalb der Klubs zwischen Profis, Trainern, Klubverantwortlichen, Aufsichtsgremien, Mitgliederversammlungen und Fangemeinschaften für große Auseinandersetzungen sorgt, die mit zunehmender Vehemenz den Spielbetrieb, konkrete Spielverläufe und damit die Integrität des Wettbewerbs gefährden“, so Watzke. Und weiter: „Die Tragfähigkeit eines erfolgreichen Vertragsabschlusses im Sinne der Finanzierung der 36 Klubs kann in Anbetracht der Umstände im Ligaverband mit seinen 36 Mitgliedsklubs nicht mehr sichergestellt werden.“

Da sollte man genauer hinhören. Denn was Watzke da sagte, war nichts anderes als das Eingeständnis, dass es bei den 36 Klubs der DFL keine klare Mehrheit mehr für den Deal gab. Es war ja sowieso eine äußerst knappe (geheime Abstimmung!) Entscheidung gewesen, die am 11. Dezember an nur einer Stimme hing, als der DFL-Geschäftsführung ein Mandat zum Abschluss mit einem Investor erteilt wurde. Seither haben unter dem Eindruck der Fan-Proteste einige Vereine ihre Position geändert. Beispielhaft stand die Umkehr beim Zweitligisten SC Paderborn, dessen Führung am 11. Dezember für das Projekt gestimmt hatte, nun aber durch Mitgliederbeschluss zur Ablehnung verpflichtet wurde.

Das moralische Dilemma rund um die 50+1-Regel und dem Verhalten von Martin Kind

 Der ominöse Fall von Martin Kind, Hannover 96, berührt sowohl die 50+1-Regel im deutschen Fußball, wie auch das moralische Dilemma der DFL. Kind hatte im Dezember mutmaßlich gegen die Weisung des Muttervereins gestimmt. Zwar habe man das Votum „als rechtswirksam angesehen“, sagte Watzke: „Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass es diesem Votum aufgrund der Vorgänge um Hannover 96 an breiter Akzeptanz fehlt. Darüber hinwegzugehen, darf vor dem Hintergrund des hohen Guts, das wir mit der 50+1-Regel in unseren Händen halten, nicht unser Ansatz sein. Das DFL-Präsidium steht einmütig zur 50+1-Regel.“ Doch genau diese Regel kann ausgehebelt werden, wie das Beispiel Hannover 96 zeigt. Selbst das Bundeskartellamt kündigte an, sich in Bezug auf die Vorgänge bei Hannover 96 „mit den jüngsten Entwicklungen hinsichtlich der Anwendung der 50+1-Regel durch die DFL vertraut zu machen.“ Denn ob der Geist der Regel bei Hannover 96 noch gilt, ist mehr als fraglich. Zwar hat der eingetragene Verein ein Weisungsrecht an den Geschäftsführer Martin Kind, aber keine Möglichkeit, Kind bei Missachtung zu sanktionieren, etwa durch eine Abberufung. Die Folge: Kind kann Weisungen des Vereins ohne Konsequenzen ignorieren. Der Verdacht, dass er das auch bei der Abstimmung zum DFL-Investor getan hat, war ein Auslöser der Proteste.

Wie geht es weiter? Was könnte drohen?

Es wächst jetzt die Gefahr, dass von München bis Dortmund auch eine Aufkündigung der Zentralvermarktung durch die DFL erwogen wird. Dabei gibt es bisher sogar einen ehernen Grundkonsens zwischen den Fans und dem Gros der Großklubs in Europa: Keine Super League, das Spiel muss offen für alle bleiben!

Manche fordern jetzt auch die Aufkündigung der 50+1-Regel (etwa Leverkusen, ha ha), was natürlich für die Fans das Gegenteil dessen wäre, was sie wollen. Dann wäre Tür und Tor offen für die Übernahme von Vereinen durch Katar und Co. Die Grundsatzfrage wird lauten, ob es auch einen Fußball jenseits davon gibt.