Er zeigt der Seuche die Stirn

Julian Nagelsmann ist der richtige Mann, was sich gerade nach den Niederlagen gegen die Türkei und Österreich zeigt. Er geht im Schmerz mit nach vorne gerichteter Arbeit vor.

Wir gehen jetzt mal eine Wette ein: Die EM in Deutschland ab 14. Juni 2024 wird kein Reinfall werden. Julian Nagelsmann macht es nämlich gut, was besonders nach den beiden schmerzhaften Niederlagen gegen die Türkei in Berlin und gegen Österreich in Wien zu beobachten war. Er zeigt der Seuche die Stirn. Er weigert sich, der grassierenden Ratlosigkeit auch noch Futter zu geben. Stattdessen spricht er davon, dass das Verlassen der Opferrolle „unfassbar viel Arbeit“ sei. Und weil er dabei auch gar nicht wie ein Opfer rüber kommt, wirkt das glaubhaft. Der Mann geht den richtigen Weg. Solange alle wie gebannt auf die Jahre der Enttäuschungen seit 2018 schauen, kann gar nichts Neues fruchten. Nagelsmann steht jedoch für das Neue, akzeptiert auch die Probleme der Gegenwart, die daraus entstanden sind und will diese überwinden. Mit im Schmerz nach vorne gerichteter Arbeit statt mit rückwärts gewandten Diskussionen, die sich in Schimpf und Schande suhlen.

Klar kann man behaupten, dass die Deutsche Nationalmannschaft seit der WM 2018 in Russland nur noch enttäuscht hat. In den Medien und somit auch in der Öffentlichkeit wird da gerne das Bild eines Abwärts-Soges gezeichnet, dem drei Bundestrainer nicht beikamen, also Joachim Löw (2014 immerhin Weltmeister), Hansi Flick (sieben Titel in einer Saison mit den Bayern geholt) und jetzt Julian Nagelsmann, der quasi wie eine Fackel verbrannt ist, weil es ausgerechnet in den Prestige-Duellen gegen die Türkei (in Berlin, dem Endspielstadion der EM!) und gegen Österreich (mit Ralf Rangnick, dem verhinderten deutschen Nationaltrainer!) klare Niederlagen gab. Doch das bringt ja nix. Da hat Nagelsmann völlig recht, wenn er sich solchen Diskussionen entzieht. Denn die EM 2024 in Deutschland findet nicht in der Vergangenheit statt, sondern in der Zukunft. 

Also weist Nagelsmann auf die Arbeit hin, die bis dahin noch vor dem Team liegt. Und er wird dabei auch nicht müde, zu betonen, dass „die Gruppe“ in sich geschlossen sei, es halt derzeit nur noch nicht auf den Rasen „transformiert.“ Dies ist demnach Teil der Arbeit, ja vielleicht sogar der zentrale Ansatz, um aus den schlechten Erfahrungen der letzten Zeit doch noch eine gute EM 2024 im eigenen Land zu machen. Er geht es an und man hat durchaus den Eindruck, dass er sich darin auch nicht beirren lässt.

 Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Leistung der Deutschen Nationalmannschaft gegen die Türkei und Österreich war irritierend schwach. Und gleichzeitig war es auch so, dass beide Gegner sehr stark spielten. Doch dies einfach nur endlos zu beklagen ist eine tausendfach abgespielte alte Schallplatte. Es führt zu nichts außer den teilweise schon dummdreisten Reporterfragen, wie im ZDF nach der Niederlage in Wien: „Herr Nagelsmann, überfordern Sie die Mannschaft?“ Das ist peinlich. Das spiegelt das deutsche Selbstverständnis, dass man doch gefälligst besser sein sollte als Österreich. Doch die Kehrseite dieses Selbstverständnisses ist eben – wie Julian Nagelsmann völlig richtig erkannt hat – das „Opfer“-Verhalten aller Beteiligten.

Als Stürmer Niclas Füllkrug gefragt wurde, ob die Mannschaft verunsichert sei, meinte er: „Verunsicherung ist ein schwieriges Wort, aber mir fällt jetzt auch kein perfektes ein.“ Das ist klasse gesagt. Denn Fußballer (erst recht die „Mittelstürmer“) wollen ja lieber Taten und Tore sprechen lassen. Klappt gerade nicht so. Aber die kopflastigen Diskussionen der Reporter und Experten darüber, was denn da der Grund sein könnte, gehen immer in die banale Richtung. Was macht der Trainer falsch? 

Der erneut ambitionierte taktische Ansatz von Julian Nagelsmann sei jedoch nicht der Grund für die Misere: „Es ist nicht zu komplex, der Trainer macht klare Vorgaben“, sagte Füllkrug. Freiburgs österreichischer Nationalspieler Michael Gregoritsch hat es ganz gut erfasst: Es sei schwierig für Deutschland aus lauter Freundschaftsspielen zu kommen. Also mal schauen, wie es ist, wenn es ernst wird.