„Einen pulsierenden Lichtpunkt setzen“, Interview mit Sebastian Sladek

„Es macht Freude, eine Selbstwirksamkeit in der Gruppe zu erleben. Es macht Spaß, gemeinschaftlich auf der Lösungsseite zu stehen“, sagt Sebastian Sladek, Vorstand der „Stromrebellen“ der Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Interview von Michael Zäh

Sebastian Sladek, Vorstand der EWS EG (Foto: Bernd Schumacher)
Sebastian Sladek, Vorstand der EWS EG (Foto: Bernd Schumacher)

Unter dem Motto «Klimaschutz mit Rebellenkraft −­ die EWS in Freiburg!“ eröffnen die Elektrizitätswerke Schönau einen Store im ­neuen Volksbank-Gebäude am Hauptbahnhof. Das Ladengeschäft an der Bismarckallee wird Anlaufstelle für Mitglieder der Genossenschaft, für EWS-Ökostrom- und Biogaskunden. Darüber hinaus soll mit dem Store ein lebendiger Ort geschaffen werden, an dem Klimaschutzakteure aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Bewegung zusammenkommen können.  Michael Zäh sprach mit EWS-Vorstand Sebastian Sladek darüber und über die Energiewende insgesamt.

Ihr Motto „Klimaschutz mit Rebellenkraft – die EWS in Freiburg“ klingt so, als ob Freiburg die Rebellen von Schönau braucht. Warum ist das so?

Sebastian Sladek: Die EWS sind nicht neu in Freiburg. Über viele Jahre ist eine breite Unterstützung entstanden aus Partnern aus Forschung, Bürgerbewegung, Politik, Unternehmen und Verbänden. Hinzu kommen viele Kundinnen und Kunden sowie Mitglieder. Wir eröffnen eine neue Betriebsstätte dort, wo wir uns ohnehin schon sehr zu Hause fühlen. Wir sehen die urbane Energiewende als wichtigen politischen und gesellschaftlichen Pfeiler. Wir wollen das Verhältnis von Stadt und Land thematisieren, weniger als Konkurrenz denn als Austausch. Die urbanen Zentren spielen eine große Rolle bei der Energiewende. In Freiburg und Schönau sind die Rahmenbedingungen andere, aber wir verfolgen hier wie dort ein klares Ziel: den Klimaschutz voranbringen. Bei der Mobilität oder bei der Energieerzeugung gibt es ganz unterschiedliche Erfordernisse auf dem Land und in der Stadt. Diese Fragen wollen wir im Wechselspiel zwischen Freiburg und dem Schwarzwald diskutieren und Lösungen finden. 

Ist der neue Store der EWS in der Bismarckallee in Freiburg eher ein Ort, um Geschäfte zu machen, oder eher ein Signal der Stromrebellen für die Bürger, an der Energiewende teilzunehmen?

Sebastian Sladek: Wie ja in den Zeiten der Corona-Pandemie deutlich wurde, können viele Geschäfte auch digital gemacht werden. Dafür bräuchte man keinen Store. Und ehrlich gesagt, Laufkundschaft, um Verträge abzuschließen, ist auch nicht der Grund. Wir machen das in erster Linie, um da im Idealfall einen pulsierenden Lichtpunkt zu setzen, für die Energiewende und den Klimaschutz.  

Heißt konkret?

Sebastian Sladek: Da geht es nicht um das Geschäft, das über die Theke gemacht wird, sondern wir wollen den Store zu einem Anlaufpunkt machen, mit ganz vielen Veranstaltungen und Aktionen. Da sollen sich Leute begegnen, da sollen interessante Redner zu den Themen Energiewende und Klimaschutz zu Gast sein, weshalb die Nähe zum Hauptbahnhof auch prima ist. Für uns ist der Store also hauptsächlich ein Kommunikationsknotenpunkt.

Damit wollen Sie also schon auch Bewusstseinsveränderungen anstoßen?

Sebastian Sladek: Auf jeden Fall. Uns geht es in dem Store ganz stark darum, Klimaschutzbewegte in ihrem Engagement zu bestärken, Indifferente für den Klimaschutz zu gewinnen – und am Ende ist es das Wichtigste, dass das auch politisch wird. Nur dann wird sich die nötige Schlagkraft entwickeln, die wir dringend brauchen. Der politische Druck ist letztlich für die Gemeinschaft ausschlaggebend.

Was sagt eigentlich die Badenova zu Ihrem Auftritt in Freiburg?

Sebastian Sladek: Ich könnte mir vorstellen: viel. Aber bisher nur intern. Auf uns ist noch keiner zugekommen. Wir wollen unseren Auftritt in Freiburg  auch auf keinen Fall als Affront gegenüber Badenova verstanden wissen. Die Badenova ist ja auch in Bewegung gekommen und macht gerade im Nahwärmebereich viele gute Dinge. Wir können uns ja auch an vielen Stellen gut vorstellen, mit der Badenova zusammenzuarbeiten. Aber natürlich geht es darum Dynamik reinzukriegen, und vielleicht sogar: Dynamik vorzulegen.

Ist ja oft so, dass aus einer Konkurrenzsituation heraus eine produktive Zusammenarbeit entsteht, nicht wahr?

Sebastian Sladek: Jedenfalls möglich. Denn Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es ja gerne. Das kann durchaus auch positiv stimulierend sein.

Was können Sie den Kunden in Freiburg konkret anbieten, das andere nicht tun?

Sebastian Sladek: Bei uns gibt es wahnsinnig viele Informationen rund um das Thema Klimaschutz. Für uns ist es in erster Linie wichtig, Kommunikation zu betreiben und Information anzubieten. Die Kunden können sich Antworten auf spezifische Fragestellungen auch von uns zuschicken lassen. Bezüglich der Leistungen auf dem Energiesektor ist es aber nicht so, dass wir da exklusiv sind. Auch andere bieten gute Lösungen im Sinne der Energiewende an. Zum Glück! Wir verstehen uns als Komminikationsknotenpunkt, damit der Kunde sich überhaupt ein Bild von der Lage machen kann.  

Was ist denn eigentlich unter dem Begriff der „Bürger-Energiewende“ zu verstehen?

Sebastian Sladek: Als die Energiewende begonnen hat – nehmen wir hier mal das Jahr 2000, als das Energie-Einspeise-Gesetz, kurz EEG verabschiedet wurde –, da war das Gesetz so um die zehn Seiten leicht. Man hatte allenfalls das Problem, dem Finanzamt eine Gewinnabsicht nachzuweisen, aber ansonsten war es relativ einfach. Heute hingegen ist das EEG ein bürokratischer Moloch, mit 151 Seiten und 105 Paragraphen. Da sagen natürlich viele: „Da steig ich nicht mehr durch und da habe ich dann auch keine Lust dazu.“

Eine typisch deutsche Fehlentwicklung?

Sebastian Sladek: Im Kern hatte das EEG am Anfang das große Potenzial dazu, zur Demokratisierung beizutragen. Aber jetzt geht es darum, die Verkrustungen, die nach 20 Jahren Novellierung zustande gekommen sind, wieder aufzubrechen und vielleicht auch mal neu zu denken. Kurz: Die Bürger wieder mitmachen zu lassen!

Wie ginge das?

Sebastian Sladek: Es müsste ein dezentrales System sein. Warum? Zum einen, weil die Produktion von Energie dort stattfinden sollte, wo auch der Verbrauch ist. Weil man die Energie nicht über tausende Kilometer leiten müsste und auch, weil es die Versorgungssicherheit erhöht. Es macht keinen Sinn, nur die Nordsee oder die Ostsee mit Windparks zuzustellen, um dann den Strom zu uns in den Süden zu leiten. Schon wegen der Versorgungssicherheit wäre es viel besser, die Anlangen großflächig im Land zu verteilen. Denn irgendwo ist immer ein bisschen Wind, und irgendwo scheint immer die Sonne.

Wie hilft hier die „Bürger“-Energiewende?

Sebastian Sladek: Der Bürger ist dabei schon immer der entscheidende Akteur. Das war schon ganz am Anfang der Energiewende so. Denn das Engagement der Bürger war es  ja, das das EGG überhaupt auf den Weg brachte. Zudem wissen die Bürger am besten, was vor Ort möglich ist und haben das Geld, dies auch umzusetzen. Und die Bürger haben den Willen. Deshalb ist es aus meiner Sicht völlig unverständlich, warum diese Akteure in den letzten Jahren immer mehr in ihre vier Wände zurückgedrängt wurden.

Was müsste die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg tun, damit das Tempo der Energiewende angezogen würde?

Sebastian Sladek: Ich fand das ja sehr löblich, dass die Regierung unter Kretschmann zwei Prozent der Landfläche für Windenergie zur Verfügung stellen will, wo 1.000 Windräder neu entstehen sollen. Das ist eine ganze Menge, wenn man weiß, dass ganz Baden-Württemberg bisher 770 Windräder hat. Und in den letzten Jahren ging da sehr, sehr wenig. Denn da hat sich die Landesregierung ja auch schon unter grüner Führung geradezu paralysiert. Da haben sich verschiedene Ministerien gegenseitg behakt und nichts ging wirklich voran.

Winfried Kretschmann hat nach seinem etwas deutlicheren Wahlsieg gesagt, er wolle Baden- Württemberg zum „Klima-Vorzeige-Ländle“ machen. Will er damit nicht auch den anderen Bundesländern ein Zeichen setzen? 

Sebastian Sladek: Das will er auf jeden Fall. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob Baden- Württemberg in der Position ist, den anderen Bundesländern ein Zeichen setzen zu wollen. Wir waren mal unter den Top-Drei, was erneuerbare Energie angeht, aber heute sind wir im letzten Drittel aller Bundesländer, weil wir einfach zu wenig gemacht haben. Gute Ideen, wie neuerdings die Solarpflicht bei Neubauten, müssten auch konsequent umgesetzt werden. Länder wie Niedersachsen oder Rheinland Pfalz sind uns weit voraus.

Wie ist hier das Verhältnis der Länder zum Bund zu bewerten, der ja über das EEG als ein Bundesgesetz die Richtlinien vorgibt?

Sebastian Sladek: Die Länder können und sollten über den Bundesrat Druck ausüben, damit hier endlich etwas vorankommen kann. Das EEG in der heutigen Form ist ein Hindernis. Es braucht ein Fördergesetz, aber bitte so simpel wie es am Anfang war. Damit jeder, der das Geld dazu hat, da auch mittun kann.

Der Weltklimarat IPCC hat jüngst einen sehr alarmierenden Bericht vorgelegt, dass sich die Erde schon bis zum Jahr 2030 um 1,5 Grad Celsius erwärmt haben wird. Und nur wenn der Treibhausgasausstoß umgehend reduziert würde, könnte eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf eben diese 1,5 Grad überhaupt noch in Reichweite bleiben. Wie bewerten Sie das?

Sebastian Sladek: Frau Merkel ist schon 2007 als Klimakanzlerin ausgerufen worden. Da lag das Thema schon als äußerst dringend auf dem Tisch. Was sich in dem neuen Bericht des Weltklimarats zeigt, ist, dass es immer noch dringlicher wird. Es ist so, dass wir die 1,5 Grad Erderwärmung als Ziel eigentlich schon abschreiben müssen. Man erreicht Ziele nicht, indem man Zahlen irgendwohin schreibt. Das ist komplett sinnlos. Und erst recht erreicht man Ziele nicht, wenn man an unrealistischen Zahlen ewig festhält.  

Was bewirkt es, wenn die Flutkatastrophe nun mitten in Deutschland Menschen tötet und Verwüstungen anrichtet?

Sebastian Sladek: Es bewirkt vielleicht, dass die Menschen begreifen, dass es jetzt ihr Leben betrifft, ihr eigenes Haus bedroht ist. Wenn die Bedrohung nur auf dem Papier besteht, hat das in der Vergangenheit wenig gebracht.

Mitten in diese Situation hinein kommt nun im September die Bundestagswahl. Alle Parteien außer der AfD behaupten, dass sie den Klimawandel bekämpfen wollen. Wie schätzen Sie das ein?

Sebastian Sladek: Für mich ist der Klimaschutz das zentrale Thema dieser Bundetagswahl. Am Anfang ging es ja mehr um Scharmützel der Kandidat/innen, so kleine Schmutzeleien und so. Deshalb bin ich froh, dass jetzt die Inhalte gerade in der Klimapolitik weiter nach oben gerückt sind. 

Welche Partei ist für Sie da mehr oder weniger glaubwürdig?

Sebastian Sladek: Also die SPD hat ein Problem mit der Kohle.

Luftbild: Die Windkraftanlagen auf dem Rohrenkopf bei Gersbach, Schopfheim können Strom für bis zu 15.000 Haushalte erzeugen (Foto: EWS eG)

Olaf Scholz hat gerade auf einer Wahlkampfveranstaltung bestätigt, dass er und die SPD – wie auch die CDU – am bisher vereinbarten Ziel eines Kohleausstiegs bis 2038 festhalten will …?

Sebastian Sladek: Da würden Fachleute sagen: Das klärt der Markt schon vorher. Und zwar wegen des CO2-Preises. Ganz generell muss die Klientelpolitik auch mal ein Ende haben. Und da verstehe ich die Bundespolitik auch nicht. Denn noch in diesem Jahrzehnt wird sich unser Schicksal bezüglich des Klimawandels entscheiden. Das heißt, wer jetzt die falschen Weichen stellt, wird damit schon sehr bald konfrontiert sein. Denn die Einschläge kommen verdammt schnell, und da wird man sich dann auch bald dafür rechtfertigen müssen.

Wie bewerten Sie die Programme der Parteien? Welcher Partei trauen Sie denn am ehesten die richtigen Weichenstellungen zu?

Sebastian Sladek: Die SPD hat wie gesagt ein Problem mit der Klientelpolitik. Bereits Herr Gabriel hat aus meiner Sicht damals als Umweltminister schon das eingeleitet, was in Sachen Energiewende zu Stillstand geführt hat. Auch der CDU traue ich nicht zu, dass da jetzt ein Ruck da wäre, um an die vermurksten Grundlagen ranzugehen. Was bei der Union da im Wahlprogramm drinsteht, das sind eigentlich Allgemeinplätze. Ohne jede Ambition. Da ist auch keine Strategie erkennbar. Die Grünen sind  punktuell etwas heftiger aufgeschlagen. Denen traue ich am ehesten zu, dass sie mal an der einen oder anderen Stelle die faulige Wurzel angehen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass Baden-Württemberg jetzt in der dritten Legislatur grün regiert wird und sich da gezeigt hat, dass auch die Grünen sehr schnell ankommen im Establishment. Da hätte ich mir auch von Herrn Kretschmann mehr Einfluss auf die hiesige Autoindustrie gewünscht. Dann wären wir heute vielleicht schon deutlich weiter mit der Elektro-Mobilität.

Wie sieht der politische Hebel aus, um die Energiewende wirklich zu fördern?

Sebastian Sladek: Das wäre der CO2-Preis, der mit den Jahren erheblich steigen muss. Darauf kann sich dann jedes Unternehmen rechtzeitig einstellen und die richtigen Lehren für sich daraus ziehen. Also der Markt könnte das regeln, wenn die Politik den richtigen Ordnungsrahmen dafür herstellt. Das wäre für mich ein ganz wesentliches Lenkungselement der Politik, was bisher nur halbherzig angegangen wurde.

Sie haben die Elektro-Mobilität angesprochen. Wenn nun tatsächlich ganz viele Leute bald auf E-Autos umsteigen würden – wo kommt denn dann der ganze grüne Strom her, den die E-Fahrzeuge brauchen?

Sebastian Sladek: Das ist die Gretchenfrage. Man kann das ja nicht isoliert betrachten. Wenn man nicht nur die E-Mobilität, sondern auch die Wärme betrachtet, dann bin ich nicht mehr bei 40 Prozent erneuerbare Energien, sondern vielleicht bei 17 Prozent. Das heißt, wir haben noch einen ordentlichen Weg zu gehen. Heute ist klar, dass dies technologisch alles möglich ist. Aber es gibt ein Akzeptanzproblem. Auch weil die Politik das Visier nicht hochschiebt und den Leuten sagt, was Sache ist. 

Warum tut das die Politik nicht?

Sebastian Sladek: Weil wir hier über ganz andere Konzepte reden müssten. Denn der Individualverkehr, wie er heute ist, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Es wird um kollektive Mobilität gehen, sogar zu sehr guten Preisen. Aber den Luxus von heute können wir uns bald nicht mehr leisten.

In rechten Kreisen, aber auch beispielsweise vom BDI wird oft erwähnt, dass Deutschland ja nur für zwei Prozent aller Emissionen weltweit verantwortlich ist. Was sagen Sie solchen Stimmen?

Sebastian Sladek: Wir sind ein Industrieland. Ganz viele Länder dieser Welt schauen da drauf, was solche führenden Industriestaaten machen. Es geht darum, Vorbild zu sein und zu zeigen, was machbar ist.

Was sagt Ihr Gefühl – ist es denn überhaupt noch zu schaffen, dass nicht eine Klimakatastrohe über die Menschheit hereinbricht?

Sebastian Sladek: Ich bin da sehr in Sorge, muss ich ganz ehrlich zugeben. Ich habe auch vier Kinder und für die kann das schon eine Katastrophe werden. Jeder, der Kinder hat, muss jetzt einfach richtig zornig darauf drängen, dass sich beim Klimaschutz etwas ändert. Denn die schlimmsten Prognosen werden ja immer noch übertroffen. 

Was wäre denn nötig, um es trotzdem noch abzuwenden?

Sebastian Sladek: Wir müssten wieder mehr dazu kommen, uns als Teil einer Gemeinschaft zu begreifen, und erkennen, dass wir ohne die Gemeinschaft nichts sind. Wir reden hier nicht von Verzicht, sondern von Befreiung. Da kommt die EWS ja auch ein bisschen her. Es macht Spaß, gemeinschaftlich auf der Lösungsseite zu stehen.  Es macht Freude, eine Selbstwirksamkeit in der Gruppe zu erfahren, das macht stark. Wir sollten nicht immer nur die sogenannte individuelle Freiheit in der Vordergrund stellen.