Bilder, die Szenen aus Konzentrationslagern zeigen, fluten derzeit soziale Medien. Sie sehen aus wie echte Fotos von damals. Das Problem: Sie sind durch KI erstellt. Sie sind nicht echt. Sie simulieren eine Wirklichkeit, weil man das System dazu aufgefordert hat. Aber ist das jetzt schlecht, oder sogar eher gut? Mal schauen. Ein Beispiel: Auf einem Schwarz-Weiß-Bild ist ein Mann in Uniform und Helm zu sehen. Er trägt zwei geschwächt wirkende Kinder in gestreifter Kleidung in seinen Armen (Foto oben). Und der Facebook-Account, der das Bild geteilt hat, liefert auch einen Begleittext. Die Aufnahme zeige demnach einen (sehr berührenden) Moment von der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald im April 1945 durch die US-Armee. Die zwei jungen Häftlinge seien zu schwach zum Laufen gewesen, heißt es. Der GI habe sie hochgehoben, ohne zu zögern; Zeugen hätten gehört, wie er unter Tränen gerufen habe: „Diese Jungs kommen mit mir.“ Eins der Kinder habe später gesagt: „An diesem Tag habe ich gelernt, wie Engel aussehen.“ Fast 2000 Facebook-Nutzer haben das Bild gelikt, fast 300 Mal wurde es geteilt. Aber klar: Das fand niemals statt. Es ist ein KI-Fake. Trotzdem hat es Emotionen ausgelöst, die echte Fotos von damals wohl kaum bewirken könnten. Diese sind meist in einem verwackelten Schwarz-Weiß aufgenommen, die medienverwöhnte Leute heute eher nicht erreichen. Was zählt?
Ist also der Unterschied zwischen „echt“ (und sei es verwackelt) und „künstlich“ gar nicht so wichtig? Zählt am Ende eher die Emotion, die mit einem Bild ausgelöst wird? Nehmen wir ein Beispiel: Das US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 1982 „Sophies Entscheidung“, das Meryl Streep 1983 den Oskar als beste Hauptdarstellerin einbrachte. Regie führte Alan J. Pakula. Die Literaturverfilmung basiert auf der Adaptation des gleichnamigen Romans von William Styron. Aber es war als Hollywoodfilm natürlich auch nicht „echt“ im Sinne einer Dokumentation, sondern „künstlich“ im Sinne eines Kinofilms. Manche mögen jetzt einwenden, dass dies nicht so sehr „künstlich“, sondern vielmehr „künstlerisch“ sei.

Okay, nun zu einem zweiten KI-generierten Bild, das einen direkten Bezug zu „Sophies Entscheidung“ hat, natürlich ohne diesen kenntlich zu machen: Wer auf Tiktok nach „Auschwitz“ sucht, dem spült der Algorithmus ebenfalls diese Schwarz-Weiß-Aufnahme auf den Bildschirm: Ein Mädchen mit Kopftuch ist darauf abgebildet, es hält die Hand einer Frau; beide stehen in einer Schlange von Menschen (Foto oben). Es soll eine Szene von der Selektion im Vernichtungslager Birkenau sein. Die Nutzerin, die das Bild gepostet hat, schreibt, das Mädchen habe der Frau zugeflüstert: „Sag ihnen, ich bin 16 …“ So habe es den Holocaust überlebt, während die Frau in der Gaskammer gestorben sei. Mehr als 18 000 Herzen gibt es für diesen scheinbaren Einblick in die Hölle.

Der Plot von „Sophies Entscheidung“ geht so: Sophie war während des Zweiten Weltkrieges nach Auschwitz deportiert worden. In einer Rückblende sieht man sie mit ihrem Sohn und ihrer Tochter im Zug sitzen (Foto oben). Auf dem Weg vom Zug zu den Baracken hält sie ihre Kinder ängstlich an sich gedrückt. Zwischen ihr und einem sich nähernden KZ-Aufseher entspinnt sich ein Dialog, in dessen Verlauf sie ihre Verbundenheit mit der „arischen Rasse“ betont und darauf hinweist, keine Jüdin zu sein. Der sadistische Aufseher stellt sie daraufhin vor die Wahl, eines ihrer Kinder behalten zu dürfen, sie müsse sich jedoch für eines entscheiden. Den drohenden Verlust beider Kinder vor Augen, trifft Sophie eine Entscheidung: „Nehmen Sie mein kleines Mädchen!“ Die Tochter wird ihr daraufhin entrissen und weggebracht. Ihr Sohn wird in einem getrennten Bereich im Lager untergebracht, Sophie selbst wird aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in der Villa des KZ-Kommandanten Rudolf Höß beschäftigt. Sie unternimmt alle möglichen Versuche, ihren Sohn ausfindig zu machen und ihm „eine gute Behandlung“ zu verschaffen; sein Verbleib ist jedoch nicht zu ermitteln. Von ihrer Tochter wird gar nicht mehr berichtet.
Also klar, das ist ein Film und somit ebenfalls nicht echt. Was ist also der Unterschied zu den KI-Bildern, die derzeit die sozialen Medien fluten? Worin unterscheidet sich das offensichtlich sogar an diesen Film angelehnte KI-Bild einer Mutter mit Kind von der schlimmen Filmszene, als Sophie sagt: „Nehmen Sie mein kleines Mädchen!“
Nun, die erste und vielleicht wichtigste Unterscheidung ist die, dass der Film halt im Kino aufgeführt wird, also in einem Raum der Kunst und des Künstlichen. Wer ins Kino geht, der weiß, dass er dort ein Kunstprodukt zu sehen bekommt. Wer auf Tiktok ein Bild aufgespult bekommt, weiß hingegen nicht sicher, ob das jetzt ein echtes historisches Bild ist oder ein künstlich gefälschtes. Und dies zumal bei der enormen Flut der Bilder in den sozialen Netzwerken. Im Kino weiß man von vornherein, wer für den Film und in gewisser Weise auch die darin enthaltene Fiktion verantwortlich ist. Es ist insofern ein geschützter öffentlicher Raum der Kommunikation, während unechte Bilder in den sozialen Netzwerken den jeweils privaten Raum der Nutzer erobern wollen.
Im Kino stecken bis ins Detail menschliche Köpfe dahinter. Zum Beispiel: Die Filmsprache in „Sophies Entscheidung“ ist Englisch, Sequenzen im Konzentrationslager wurden jedoch auf Deutsch gedreht und sind im Original mit englischem Untertitel zu sehen. Meryl Streep spricht in der Rolle der Sophie mit KZ-Aufsehern Deutsch mit polnischem Akzent.
Natürlich stecken bei KI-generierten Bildern ebenfalls Menschen dahinter. Denn irgendjemand muss KI ja den Befehl geben, was für ein Bild er von ihr generiert haben will. Doch dann geschieht etwas, das beim Filme machen nicht passiert. Denn die KI bastelt aus all den vielen Trainingsdaten, die sie hat, ein Bild, das der Auftraggeber sich gar nicht im Einzelnen ausgemalt hat. Oft überrascht die KI sogar den Menschen, der sie als Werkzeug benutzt. Während im Film der Regisseur (und viele andere Köpfe, von Schnitt bis Kostüm) jede kleine Nuance so gestalten, wie sie sich das vorstellen – man denke nur an all den Verschnitt, also den dann doch nicht verwendeten Teil der abgedrehten Szenen – macht die KI quasi selbstständig ein Bild, während der Auftraggeber sich bequem zurück lehnen kann. Das ist verführerisch, weil der Mensch, der die KI zur Seite hat, gar nicht besonders kreativ sein muss, um ein Bild zu erzeugen, das ihn kreativ wirken lässt.
Doch oft sind die „Auftraggeber“ der KI sogar verborgen. KI-generierte Bilder, die vorgeben, Szenen aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern zu zeigen, überschwemmen derzeit die sozialen Medien. Da ist die Auswahl auf Facebook, Tiktok oder X schier grenzenlos: Da ist das Bild eines Soldaten, der bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau menschliche Knochen sammelt, um sie zu vergraben. Da ist der jüdische Junge, der in einer Häftlingsbaracke in Auschwitz Geige spielt. Oder da ist eine Mutter, die ihren Säugling aus dem Vernichtungslager Sobibor durch einen Zaun einer Frau übergibt, um ihn zu retten. Nichts davon ist echt – außer provozierte Emotionen.
Und damit wird eben auch Geld verdient. Es ist ein makabres Geschäft um Klicks und Aufmerksamkeit auf Kosten historischer Fakten. Die Accounts, die diese KI-Bilder verbreiten, erreichen damit teilweise Zehntausende Menschen nur mit einem Beitrag. Einige schlagen auch Profit daraus. In einer aufwendigen Recherche hat die BBC viele der KI-generierten Bilder, die auf Facebook im Umlauf sind, zu den Konten eines Netzwerkes aus pakistanischen Content-Erstellern zurückverfolgen können. Demnach nutzen diese die falschen historischen Aufnahmen für ein Monetarisierungsprogramm von Meta, das Nutzer für Beiträge mit vielen Aufrufen bezahlt. Dem BBC-Artikel zufolge hat ein Accountinhaber so rund 20 000 Dollar verdient.
Und natürlich könnte die KI auch historisch völlig verfälschte Inhalte als Bilder liefern: Der KZ-Aufseher als Held, der zwei deutsche Jungs vor den bösen US-Invasoren rettet? Die KI weiß ja nichts. Sie macht, was jemand ihr befiehlt.

