Die Hufeisen der anderen

Auf dem Parteitag der Grünen hat Robert Habeck eine rhetorische Wende hingelegt. Weg von geduldigen Erklärungen, hin zu aggressivem Wahlkampf. Vor allem gegen Friedrich Merz.

Robert Habeck, sonst gerne der philosophische  Erklärbär der Nation, hat auf dem Parteitag der Grünen in Karlsruhe eine rhetorische Wende hingelegt. Weg von Geduld und Gutmütigkeit, hin zu Aggressivität und Provokation. Ihm ist dort der Kragen geplatzt, natürlich mit Kalkül. „Ich habe in den letzten Monaten oft gelesen, die Grünen müssen in der Realität ankommen“, sagte er. Dann hebt er empört die Stimme: „Ich kann es nicht mehr hören!“ Unionschef Friedrich Merz greift er direkt an. Dessen CDU sei eine Partei von gestern, angeführt von einem Vorsitzenden von vorgestern, ätzte Habeck. Wobei er nicht vergessen hat, die Politik von unionsgeführten Ländern zu loben, also von Konkurrenten von Merz innerhalb der Union, was Kanzlerambitionen angeht. Die Strategie ist klar: Habeck will Merz loswerden, um womöglich doch mal irgendwann mit der Union eine Regierung zu bilden.

Die hörbare Wut speist sich natürlich auch aus den Plattitüden von Merz und seiner Union. Habeck und Co. möchten sich nicht mehr bieten zu lassen, dass die politische Konkurrenz den gesetzlich festgelegten Klimaschutz als Hobby der Grünen abtut.

Robert Habeck beschreibt die Realität in seiner Rede, wie sie ist: Kriege, Klimakrise, Migration. Die Grünen hätten sich dieser Wirklichkeit längst gestellt. „Es waren andere, die sie verweigert haben. Die Realitätsverweigerung der Groko hat Deutschland in diese Lage gebracht; Realitätsblindheit gegenüber Putin, gegenüber China, gegenüber der Klimakrise; immer nur leere Phrasen und Gesetze ohne Konsequenzen. Und jetzt soll ausgerechnet die Groko wieder ein Kassenschlager sein?“, rief Habeck in den Saal. „Ich sage: Kein Zurück zur Realitätsverweigerung! Zur Realitätsblindheit! Zur Einschläferungspolitik!“

Nun ja, auch dieses Pferd ist mittlerweile müde geritten. Merz, Söder und Co. (teilweise auch Politiker der FDP) wollen die Grünen in die Ecke der Verbotspartei drängen. Habeck, Baerbock und Co. (teilweise auch Politiker der SPD) verweisen auf die langen Jahre unter der Führung von Merkel und der Union, in denen all dies nicht angegangen wurde, was jetzt der Ampel-Regierung auf die Füße fällt.

Interessanter war dagegen, dass Habeck sich auch bezüglich der Schuldenbremse ganz klar positionierte. „Jetzt, wo die Schuldenbremse erstmals gerichtlich ausbuchstabiert ist, jetzt steht plötzlich und endlich die Frage im Raum, ob Regeln aus einer Zeit, als Klimaschutz nicht ernst genommen wurde, Kriege der Vergangenheit angehörten und China unsere billige Werkbank war, heute noch so gelten können. Ich denke: Nein“, sagte Habeck. Um mal wieder ein wortgewaltiges Bild zu entwerfen: „Mit der Schuldenbremse wie sie ist haben wir uns freiwillig die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Und so wollen wir einen Boxkampf gewinnen? Die anderen wickeln sich Hufeisen in die Handschuhe – wir haben noch nicht mal die Arme frei.“ 

Es mache keinen Sinn, Investitionen, die in Jahren erst ihre Wirksamkeit entfalten, etwa in Infrastruktur und die Anstrengungen für Klimaneutralität im Jahr 2045 alle im Haushaltsjahr Jahr 2023 abzurechnen. „Was für ein verkürzter Begriff von Zeit“, so Habeck. „In dieser Zeit mehr denn je muss doch gelten: Erweitern wir unserer Möglichkeiten!“ Er sei für die Schuldenbremse. „Natürlich dürfen wir nicht mit Konsumausgaben aasen. Aber so, wie die Schuldenregel vor 12 Jahren konstruiert wurde, passt sie nicht mehr in die gewendete Zeit – eine Zeit der Polykrise.“

Jenseits seiner Parteitags-Rede hat Robert Habeck auch mit den Wirtschaftsministern der Länder Kontakt aufgenommen. Bund und Länder sind sich einig, dass sie auf die geplanten Industrieprojekte nicht verzichten können. So sagte etwa Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, dass Deutschlands Wirtschaft durch das Urteil aus Karlsruhe „eine kalte Dusche“ abgekriegt habe. Sieht so aus, dass Habeck es schafft, auch mit unionsgeführten Ländern eine gemeinsame Linie zu finden. Also: Ohne Merz!