Der „Toubab“ im Senegal, Interview mit Günther Braun

Günther Braun war Lehrer am Gymnasium bis zu seiner Pensionierung, jetzt unterrichtet er jedes Jahr mehrere Wochen ehrenamtlich im Senegal.

Foto: privat

Zum sechsten Mal wird Günther Braun kommenden Januar in den Senegal fliegen, um dort für fünf bis sechs Wochen in Schulen Deutsch zu unterrichten. Der 72-jährige ehemalige Gymnasiallehrer für Geschichte, Gemeinschaftskunde und Erdkunde, der bis zu seiner Pensionierung in Emmendingen, an der Europäischen Schule im niederländischen Bergen und zuletzt in Waldkirch unterrichtete, macht das ehrenamtlich und aus Überzeugung. 

Im ersten Moment klingt es überraschend, dass junge Senegalesen Deutsch lernen wollen.

Günther Braun: Es gibt 200 senegalesische Deutschlehrer im Land, und 20.000 Schülerinnen und Schüler lernen dort Deutsch. Wenn ich in meinen Klassen frage, warum sie Deutsch lernen wollen, bekomme ich selten eine schlüssige Antwort. Senegal ist ja ehemalige französische Kolonie, französisch ist Amtssprache, aber Deutschland hat dort allgemein einen sehr guten Ruf und hohes Ansehen. Und manche Schüler, die Abitur machen, denken auch an ein Deutschstudium an der Uni Dakar. Hinzu kommt, dass der senegalesische Traum-Fußballer Sadio Mané, der als bester Spieler Afrikas gehandelt wird, für den FC Bayern München gespielt hat. Er ist eine Art Volksheld und es gibt keine Schulklasse, in der er nicht das Vorbild ist.

Wie bist du überhaupt dazu gekommen, im Senegal zu unterrichten?

Günther Braun: Zunächst habe ich über die Vermittlung einer früheren Kollegin einen Workshop für senegalesische Deutschlehrer in Dakar gegeben, im Auftrag des Goethe-Instituts.  Dort habe ich mit vielen Lehrern schnell Freundschaft geschlossen, die Menschen sind sehr offen. Ich wurde von ihnen an ihre Schulen und in ihre Familien eingeladen. Letztlich habe ich in einer ländlichen Region im Südwesten Senegals, fast an der Grenze zu Gambia, in einem Ort namens Palmarin eine Schule gefunden, an der ich regelmäßig einmal pro Jahr mehrere Wochen lang unterrichte. Der Kollege dort war besonders kooperativ. Ich unterrichte Deutsch in fünf verschiedenen Klassen. Dafür bringe ich auch neue Unterrichtsmaterialien mit.  Ich will ihnen ja ein aktuelles Bild von Deutschland vermitteln. 

Was kann man an einer Schule innerhalb von fünf Wochen pro Jahr bewirken?

Günther Braun: Es geht ja darum einen Impuls zu setzen, sozusagen als Original-Deutscher – ich bin dort übrigens einer von nur drei Weißen in dem 9000 Einwohner Ort.

Was machen die anderen beiden?

Günther Braun: Einer ist Spanier und hat einen Fahrradhandel, die andere ist Französin und Umweltaktivistin. Wenn ich dort durch die Straßen gehe, bin ich der „Toubab“, der Weiße.  Es ist sehr freundlich gemeint. Ich bin an der Schule der Exot. Und die Schülerinnen und Schüler sind wunderbar und motiviert, obwohl es sehr große Klassen mit 30 bis 50 Kindern oder  Jugendlichen sind und sie oft eng zu dritt in den Schulbänken sitzen müssen. Und wenn ich im Unterricht gerade doch mal nicht richtig weiterkomme oder die Schüler müde sind, dann singe ich mit ihnen. Singen und Tanzen ist für die Menschen im Senegal ein Lebensinhalt. Das Lieblingslied meiner Schülerinnen und Schüler  ist „Wenn nicht jetzt, wann dann“. Das war die Hymne zur Handball-WM 2007. Die Menschen sind überhaupt so was von musikverliebt. 

Eine Schulklasse im Ort Palmerin in Senegal, die Mädchen in rosa Schuluniform, die Jungen in blauer. Foto: Günther Braun

Inwieweit können Mädchen ihre Ausbildung später nutzen? Welche gesellschaftlichen Möglichkeiten haben sie?

Günther Braun: Die Frauen, die ich dort kennengelernt habe, die Mütter und Familienoberhäupter, haben ein ganz schweres Leben. Frauen sind in ihrer Rolle total festgelegt: Haushalt, Kindererziehung und zusätzlicher Gelderwerb. Die Männer, die meist außerhalb in der Hauptstadt arbeiten, kommen – wenn man Glück hat – am Wochenende heim und bringen ein wenig Geld mit. In Palmarin haben die Frauen deshalb eine Salzgenossenschaft mit rund 500 Mitgliedern gegründet. Der Ort liegt direkt am Meer und das Wasser fließt kapillar einige Kilometer ins Inland. Dort wird das kristallisierte Salz gesammelt. Eine wahnsinnig harte Arbeit. Von diesen Einnahmen bezahlen sie die Schulbücher, das Schulgeld und Kleider für ihre Kinder. Aber natürlich schaffen es auch einige Mädchen, ein Studium in der Hauptstadt aufzunehmen.

Wie wichtig ist der Fischfang für dieses Land?

Günther Braun: Die Fischerei ist einer der Haupterwerbszweige im Senegal, fast täglich wird Fisch gegessen. Doch der Fischfang ist jetzt in einer großen Krise, denn die senegalesische Regierung hat chinesischen Fangflotten Lizenzen verkauft. Die Senegalesen fischen noch mit Piroggen, kleinen Holzbooten, wie man sie von den Flüchtlingsbooten her kennt. Damit werden natürlich viel kleinere Mengen Fisch gefangen, als mit den großen, supermodernen chinesischen Schiffen. Und was alles noch dramatischer macht: In der Region wurden zwei chinesische Fischmehlfabriken gebaut. Normalerweise werden junge und kleine Fische zurück ins Meer geworfen. Doch nun sind die senegalesischen Fischer verführt, den kompletten Fang, inklusive der kleinen Fische, an diese Fabriken zu verkaufen. 

Das Land beraubt sich der eigenen Zukunft.

Günther Braun: So ist es. Aber es bringt schnelles Geld. Hinzu kommt, dass man Erdgasvorkommen vor der senegalesischen Küste gefunden hat, an denen  unter anderem Deutschland interessiert ist. Jetzt könnten also Bohrinseln gebaut und die Umwelt weiter geschädigt werden. Das sind alles große Sorgen.

Hast du etwas von den Migrationsbewegungen im Senegal mitbekommen?

Günther Braun: Aus dem Ort Palmarin, in dem ich unterrichte, sind vergangenes Jahr zwei große Boote mit Flüchtlingen gestartet. Ich habe mit deren Verwandten gesprochen, die höchst besorgt sind. Einer der jungen Männer ist dabei ertrunken. Dabei muss man wissen, dass die Menschen gleichzeitig extrem stolz auf ihr Land und auf Afrika insgesamt sind.

Was sind die Auslöser, das Land auf so gefährliche Weise zu verlassen?

Günther Braun: Es ist ein Leben immer auf der Kante, das die Menschen führen. Laut UN-Statistik rangiert das Land weit unter der Armutsgrenze. Aber natürlich: Sie hungern nicht, es gibt keinen Wassermangel, sie haben ausreichend Kleidung, funktionierende Schulen und der Senegal gilt immer noch als eines der politisch stabilsten Länder Afrikas:   Fragwürdig ist jedoch, dass die senegalesische Regierung die aus der EU ausgewiesenen Geflüchteten nicht freiwillig zurücknehmen will. 

Wie bewertest du mit deinem Insiderblick die aktuelle politische Migrationsdebatte in Deutschland?

Günther Braun: Ich denke, zum Schutz unseres Asylrechts muss man Kontrollen an den afrikanischen Außengrenzen einführen und Ausreisewillige auf den Zweck ihrer Ausreise hin überprüfen. Diese Kontrollen sind natürlich nur sinnvoll unter internationaler Kontrolle (UN), sonst hätten wieder Willkür-Regimes freie Hand. Vergangenes Frühjahr kam es nach der Verhaftung des Oppositionsführers im Senegal zu großen Unruhen mit Toten, Verletzten und vielen Festnahmen. Einige aus der Opposition, die von der Polizei zusammengeschlagen oder verhaftet wurden, wollten daraufhin aus dem Land fliehen. Wo setzt man also die Schwerpunkte, wo zieht man die Grenze? Das ist das Schwierige.  

Was könnte getan werden, um die afrikanischen Länder im Innern zu stärken und die Fluchtbestrebungen dadurch zu verringern?

Günther Braun: Beispielsweise Investitionen in Industriebereiche, die Zukunft haben. Also nicht nur irgendwelche Fabriken für Landmaschinen oder Wasserreinigungsanlagen bauen, sondern moderne Technologie hin bringen. Der gesamte Elektronikbereich und die Telekommunikation dort wird von Frankreich beherrscht. Senegal ist bislang nicht in der Lage, ein eigenes Handy zu produzieren. Aber es fängt ja schon auf weit niedrigerer Stufe an: Es gibt dort keine Fahrradfabriken. Die Räder werden aus Frankreich, Belgien und Spanien eingeführt. Und ganz dramatisch ist die Sache mit der Textilindustrie.  Bislang waren es Betriebe mittlerer Größe, die Kleidung hergestellt haben, Spinnereien, Nähereien, Färbereien. Diese werden aber systematisch kaputt gemacht durch unsere Kleidersammlungen. 

Durch unsere Altkleidersammlungen?

Günther Braun: Die karitativen Organisationen, die bei uns Altkleider sammeln, sortieren diese zunächst. Die besten Stücke kommen in die hiesigen Kleiderkammern für Bedürftige, der Rest wird an Verwertungsgesellschaften verkauft. Diese Firmen sortieren wiederum aus, was für die Dritte Welt genutzt werden kann und was geschreddert wird für den Bau- oder Industriebereich. Die Verwertungsgesellschaften haben Partner in den Entwicklungsländern, denen sie  die noch nutzbaren Kleider verkaufen. Eine solche Jeans kostet dann im Senegal beispielsweise zwei Euro. Das Resultat ist, wer kauft sich im Senegal noch eine Hose oder ein Hemd einer örtlichen Näherei für rund zwölf Euro? Eine Pseudo-Hilfsbereitschaft wird also letztlich zu  einem Schaden.

Durch den Verkauf bekommen die karitativen Organisationen Geld, welches sie für andere Hilfsaktionen nutzen können. Wie soll man sich jetzt also am besten verhalten?

Günther Braun: In meinem Bekanntenkreis rate ich den Leuten, werft eure Altkleider nicht mehr in die Sammelcontainer.

Sondern?

Günther Braun: In den Müll. Nur wenn ich ein tolles Kleidungsstück habe, was ich weggeben möchte, werfe ich es in einen Container, denn dann weiß ich, das kommt Bedürftigen hier zugute. Die Hilfen aus Europa sollten besser Investitionen in Kleinbetriebe sein, die die Menschen vor Ort befähigen, auf eigenen Beinen zu stehen. 

Ist Senegal für dich so etwas wie eine Heimat geworden?

Günther Braun: Ja. Ich fühle mich dort total heimisch. Ich bin jetzt schon ganz freudig aufgeregt, dass ich im Januar wieder hin fliegen werde. Ich freue mich auf die Schulen und das Unterrichten und auf die vielen Bekannte sowie Freunde, die ich dort inzwischen habe. Die Gastfreundschaft und Offenheit dieser Menschen ist überwältigend. 

Könntest du dir vorstellen öfter oder länger im Senegal zu sein?

Günther Braun: Einerseits ja, es würde mich sehr reizen,  andererseits möchte ich als  Familienmensch nicht  lange und zu oft von zu Hause weg sein, zumal ich mein Leben hier in Südbaden sehr genieße. Und ich möchte auch nicht zu viele Heimspiele des SC verpassen (lacht). Ich habe jedoch dadurch,  dass  ich diese andere Welt in Afrika kennengelernt habe, einen anderen Blick für unsere Situation hier bekommen. Oft wird mir zu viel geklagt und gejammert hierzulande.

Interview: Barbara Breitsprecher
Das komplette Gespräch können Sie unter
www.barbarabreitsprecher.com lesen.