Warum meint Jens Spahn, dass er eine Debatte über den „roten Knopf“ anstoßen muss? Hat das tatsächlich eine Relevanz für die Sicherheit Deutschlands, oder ist es mal wieder nur eine maximal großmaulige Ankündigung eines Ego-Shooters? Wie Spahn selbst sagte: „Ich weiß, welche Abwehrreflexe sich jetzt sofort regen, aber ja: Wir sollten eine Debatte über einen eigenständigen europäischen nuklearen Schutzschirm führen. Und das funktioniert nur mit deutscher Führung“, so Spahn zur „Welt am Sonntag“ auf die Frage, ob Deutschland Atommacht werden solle. Das hat einen gewissen, allerdings eher ungewollten Witz: Die „Abwehrreflexe“ sind ja wohl politisch und verbal gemeint, aber gleichzeitig ist nicht von der Hand zu weisen, dass Spahn sich mit seinen Äußerungen in die Außenpolitik und vor allem in die Verteidigungspolitik einmischt. Und damit in ein ernstes Thema der „Abwehr“ äußerer Bedrohungen. Da ist neben Kanzler Merz aber vor allem Verteidigungsminister Boris Pistorius zuständig, dessen Motto immer klarer wird: Es zählt nicht, was gequatscht wird, sondern das, was wirklich getan wird.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte bereits im Mai angekündigt, mit den europäischen Atommächten Großbritannien und Frankreich Gespräche führen zu wollen über eine gemeinsame atomare Abschreckung – als Ergänzung zum atomaren Schutzschild der USA. Absehbar ist allerdings bereits jetzt, dass allein ein deutsch-französischer Schutzschirm schon technisch kompliziert und sehr teuer wäre. Außerdem wird kein französischer Präsident den sogenannten Atomknopf aus der Hand geben – oder Paris aufs Spiel setzen, um Vilnius oder Berlin zu schützen. Und was wäre, wenn der nächste Präsident in Frankreich aus dem rechtsextremen Lager kommt?
Trotzdem können Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich natürlich Kooperation und Lastenteilung ausloten sowie mögliche Krisenszenarien durchspielen. Der Begriff einer deutschen „Führungsrolle“, wie ihn Spahn verlautbart, ist dagegen zweifelhaft. Zum einen hat diese Rolle längst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron übernommen, indem er die Diskussion über einen europäischen Schutzschirm eröffnet hat. Zum anderen hat Deutschland schon Mühe damit, Nachwuchs für seine konventionellen Streitkräfte zu finden.
„Jens Spahn spielt mit dem Feuer, wenn er europäische, möglicherweise sogar deutsche Atomwaffen fordert“, sagte der Außenpolitiker und langjährige SPD-Fraktionscheff Rolf Mützenich. „Das Gerede, auch Deutschland müsse an den roten Knopf, ist geradezu Ausdruck eines abenteuerlichen, wichtigtuerischen Denkens.“ Mützenich betonte: „Jens Spahn ist ein Geisterfahrer, nicht nur in der Innenpolitik, sondern jetzt auch in der Außenpolitik.“
Natürlich haben wir bei diesen Worten zuerst an die „Geisterbahn“ gedacht, die es auf diversen Rummelplätzen gibt. Da lugen ja gerne mal so Skelette um die Ecken (weshalb der Autor dieser Zeilen als Kind direkt nach Einfahrt fest die Augen verschlossen hat, in der Annahme, dass sein mitfahrender Papa das ja bestimmt in der Dunkelheit nicht sehen könne). Doch da landen wir wieder beim Problem: Die Geisterbahnen bergen nur zum Schein den Schrecken des Todes. Der Krieg hingegen tut es wirklich.
Aber okay, Rolf Mützenich hat ja einen ganz anderen Begriff benutzt: „Geisterfahrer“ hieß es früher im Radio, wenn jemand auf der Autobahn in die falsche Richtung fuhr. Da war die Gefahr schon auch mit drin im Wort, dass es bald und in der Realität zu Toten kommen kann. Sprich: Aus Menschen werden Geister.
So schwer es derzeit vorstellbar ist, wird von Mützenich und weiteren prominenten SPD-Unterschreibern eines „Manifestes“ also gefordert, neben aller militärischen Stärke auch daran zu denken, was irgendwann durch Verhandlungen erreicht werden könnte. Das ist womöglich realistischer als jede großmaulige Rhetorik vom „roten Knopf“. Es schließt sich nicht aus, die Verteidigungsfähigkeit deutlich zu erhöhen und dies gleichzeitig in eine Exit-Strategie aus dem Rüstungswettlauf zu denken. Denn der rote Knopf ist ja keine Lösung. Es mag wichtig sein, abschrecken zu können. Aber da die Lösung ja nicht darin besteht, dass den jemand drückt – Ende für alle! – ist selbst ein utopisches Nachdenken über Frieden gut.
Spahns Vorschlag würde gegen wichtige Verträge verstoßen, wie den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur Deutschen Einheit oder den Atomwaffensperrvertrag, betonte Mützenich, der einst mit dem Thema „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“ promoviert wurde. Es ist ein Unterschied, ob einer wie Spahn sich bei der Beschaffung von Masken vergaloppiert hat, oder ob es um den „roten Knopf geht.