Da hüpfte dein Herz

Du warst eigentlich immer dafür, dass die deutsche Nationalmannschaft gewinnen soll. Aber als Ritsu Doan für Japan traf, warst du plötzlich auf seiner Seite. Die Bayern-Blase nervte gewaltig.

Bild: Achim Keller

Es ist einfach passiert. Als Ritsu Doan das 1:1 für Japan im Spiel gegen Deutschland erzielte, hast du die Faust geballt, und noch mehr: Ein „Ja!!“ hüpfte hinter deinem Kehlkopf hervor. Darüber warst du dann selbst verwundert, allerdings nicht mit schlechtem Gewissen. Denn schnell wurde dir klar, wie es ist: Dem Kick des SC Freiburg zuzuschauen macht Spaß, weil es authentisch ist. Hingegen ist die Nationalmannschaft ein seltsamer Haufen von eingebildeten Bayern-Stars plus X. Außerdem hätte der Flick Hansi ja auch Matthias Ginter statt Süle oder Schlotterbeck aufstellen können, ebenfalls Christian Günter statt dem Raum, den derselbe (ha ha!) vor dem 1:1 nicht schließen konnte. Doans Tor war eine Kampfansage des Herzens gegen die scheinbar Großen gewesen.

Nein, die Geschichte mit der Kapitänsbinde hat dich nicht interessiert. Das war eher lächerlich deutsch. Erst regten sich alle auf, als die „One -Love“-Binde anstelle der Regenbogen-Binde (die Kapitän Manuel Neuer zuvor öfters trug) extra dafür ersonnen worden war, in Katar zwar ein Zeichen zu setzen, das gleichzeitig darin bestand, nicht eindeutig zu sein. Als dann aber diese zur Banalität verwässerte und am Reißbrett von PR-Strategen entworfene „One-Love“-Binde kurz vor Turnierstart von der Fifa unter Androhung mafiöser Gewalt verboten wurde, da waren die deutschen Kicker plötzlich Weicheier, weil sie das grandiose „One-Love“-Käseding nicht unter Einsatz ihres sportlichen Lebens verteidigten. Alles Quatsch!

Wo aber kommt dann deine Distanz her? Okay, du warst schon früher bei der einen oder anderen WM auf der Seite des besseren Fußballs. Wenn Spanien damals den Tiki-Taka perfekt beherrschte, dann war ein knapper Sieg gegen uns halt okay. Wenn Italien allerdings wegen einer in Ehrfurcht erstarrten deutschen Aufstellung die protzige Brust zeigen durfte, dann war das echt ein Ärgernis. Grundsätzlich aber hast du mitgefiebert und dir Siege des deutschen Nationalteams gewünscht. Brasilien, ein Fest!

Was ist also passiert, dass es dir passierte, am Ende selbst das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft nach der Vorrunde mit einem gleichgültigen Achselzucken zur Kenntnis zu nehmen? Vielleicht war es diese Bayern-Blase, in der sich auch Bundestrainer Flick bewegte. Der verkrampft ehrgeizige Kimmich, der für einen Führungsspieler einen Mangel an Größe aufweist, der ewig quatschende Thomas Müller, der einfach nicht in Form war, aber trotzdem die große Klappe vor den TV-Kameras spazieren führen musste.

Es gab ja diesen Moment, als du doch noch mitgerissen wurdest. Als Niclas „Lücke“ Füllkrug kam, der vielleicht einzige echte Nicht-Star im DFB-Kader (außer unseren SC-Jungs), und das 1:1 gegen Spanien schoss. Ein Tor des Herzens, humorlos und ehrlich. Da kam nochmal die Faust aus deiner Tasche. Da gluckste das „Ja!“ aus dir heraus. Es hätte ein Anfang sein können.

Gegen Costa Rica dann den echten Zentrumsstürmer Füllkrug trotz seines Laufs draußen zu lassen, wo man doch acht Tore gebraucht hätte – da war sie wieder, die Bayern-Blase, die am Ende geplatzt ist. Einen im Verein extrem formstarken Innenverteidiger wie Matthias Ginter nicht zu bringen, um dem chronisch schwächelnden Süle und dem lächerlich wie ein Zirkuspferd galoppierenden Rüdiger die nächsten Absencen bei Gegentoren zu gönnen, hat dich dann auch nicht erwärmen können. Flick unterlag dem Irrtum, dass er noch Bayern-Trainer sei. Aktuelle Formkurven, etwa auch bei Mario Götze oder Christian Günter, zählten nix. Also, was soll`s?

Als dann in der Nachberichterstattung im Studio alle nur von „Wut“ und „Enttäuschung“ daher schwafelten und die „Experten“ die 1:2-Auftaktniederlage gegen Japan als unfassbare Schmach und Grund allen Übels nannten, hättest du am liebsten mal gefragt: „Hallo? Wie hat eigentlich Spanien gegen Japan gespielt? 1:2 verloren, nach einer 1:0-Führung? Kann es vielleicht sein, dass Japan eine gute Mannschaft hat?“ Und wieder hat Ritsu Doan getroffen. Es gibt einen Fußball jenseits deutschen Hochmuts.