Bitter, beschämend: Wie die Union Vertrauen vernichtet

Die Unions-Debatte um die Abschiebung von Syrern aus Deutschland offenbart, wie getrieben Merz und Co. von der AfD sind. Noch schlimmer ist der Verrat der Ortskräfte Afghanistans

Fotomontage: Adrian Kempf - Johann Wadephul sagte völlig zu Recht, dass ein deutscher und christdemokratischer Außenminister nach einem Besuch durch ein zerstörtes Damaskus sagen dürfe: Dort könne man nicht leben. Es sagte auch, Syrien sehe schlimmer aus als Deutschland 1945

Es ist ein Irrweg, der bezeichnend ist. In der Unions-Debatte um die „Abschiebung“ von Syrern aus Deutschland offenbart sich erneut, wie getrieben die Union um Kanzler Merz von der AfD ist. Was war geschehen? Außenminister Johann Wadephul hat mit einer Äußerung in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Syrien für Unmut in den eigenen Reihen gesorgt. Beim Besuch einer schwer verwüsteten Vorstadt von Damaskus zweifelte er an, dass angesichts der massiven Zerstörung kurzfristig eine große Zahl syrischer Flüchtlinge freiwillig dorthin zurückkehren werde. „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben“, sagte er. Tja, das war mal stark. Denn CDU und CSU haben befördert, dass das Thema Migration die Gesellschaft polarisiert. Dabei wäre die Aufgabe konservativer Volksparteien das genaue Gegenteil: Sie müssten sich mit aller Macht der Mitte dafür einsetzen, den Menschen zu erklären, dass dieses Land eine gesteuerte, aber starke Zuwanderung bitter nötig hat. Sie müssten zu einer positiven Erzählung von Vielfalt finden, die sich nicht nur in Nebensätzen versteckt. Sie müssten Respekt und Empathie ausstrahlen für Menschen, die viel dafür riskiert haben, hier ihr Glück zu suchen. Das wäre Staatsräson und nebenbei auch Parteiinteresse: Viele künftige Deutsche mit osteuropäischen, türkischen oder arabischen Wurzeln sind kulturell konservativ. Doch die Angst von Merz und Co. vor den anstehenden Ergebnissen bei den Landtagswahlen im Osten Deutschlands überbordet alles. Und der Irrweg besteht darin, zu glauben, man könne die AfD schwächen, wenn man mitleidlos, aber auch ohne Sinn und Verstand möglichst viele Syrer abschiebt. Ganz finster wird es dann, wenn etwa 2000 gefährdete Afghanen mit deutschen Schutzversprechen in Pakistan fest sitzen, da die neue Bundesregierung sich nicht mehr an die Zusagen der Ampel-Regierung gebunden fühlt. Denn hier stellen sich nicht nur Fragen der Menschlichkeit (wie Wadephul sie bei seinem Besuch in Syrien gezeigt hat), sondern es geht da auch um die Vertrauenswürdigkeit Deutschlands.


Entsprechend aufgeregt waren die Reaktionen in der Union auf Wadephuls nicht nur menschlich richtigen Satz. Nach dem Motto: Das darf nicht sein, dass ein führender Politiker der CDU der AfD dadurch in die Hände spielt, dass er sich NICHT wie einer geriert, der noch rechter als die Rechten ist. Wahlergebnisse gehen schließlich über Vernunft, meinen die aufgeregten Unions-Politiker. „Gelegentlich hilft es, im Zweifel dann schnell die Dinge auch noch mal klarzustellen und einzuordnen“, kritisierte etwa Fraktionschef Jens Spahn den Außenminister. Er wollte sagen: Klarstellen, dass wir abschieben was geht und im Falle der ehemaligen Ortskräfte aus Afghanistan: Abblocken was geht. Ja, die Union ist getrieben von der AfD und verhält sich auch kopflos wie eine Getriebene. Sprich: Hühnerhaufen nix dagegen!

Wie ging der interne Streit um die Abschiebung von Syrerinnen und Syrer weiter?
Johann Wadephul wehrte sich durchaus gekonnt. Der Außenminister soll vor der CDU-Fraktion eine lange Rede gehalten haben, in der er zwar sagte, dass auch er daran festhalte, Straftäter und Gefährder abzuschieben. Er betonte gleichzeitig aber auch, ein deutscher und christdemokratischer Außenminister müsse nach halbstündiger Fahrt durch ein zerstörtes Damaskus sagen können: Dort könne man nicht leben. Wadephul sagte bei der Sitzung außerdem, Syrien sehe „schlimmer aus als Deutschland 1945“. Der Außenminister verwies auf seine persönlichen Eindrücke und sprach davon, dass Bombardements auf Städte wie Damaskus und Aleppo diese in eine „apokalyptische Situation“ verwandelt hätten. „Und solange das so der Fall ist, wird es schwer sein, dort wieder ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen“, sagte er.


Bundeskanzler Merz sah sich zu einer Klarstellung genötigt, was den Kurs der Union angeht. „Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland, und deswegen können wir auch mit Rückführungen beginnen“, sagte Merz. Er setze aber darauf, dass ein großer Teil der Geflüchteten von sich aus in das Land zurückkehre und dort am Wiederaufbau teilnehme.
Wie ist faktisch die Lage in Deutschland? Derzeit leben rund 950 000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland. Davon sind nach Angaben des Innenministeriums 10 000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland ausreisepflichtig. Diese Zahl könnte deutlich steigen: 316 000 syrische Staatsbürger besaßen, Stand Ende 2024, den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention, 296 000 einen subsidiären Schutzstatus, den Deutschland bei Neubewertung der Sicherheitslage entziehen könnte. Dieser gilt für Menschen, denen im Herkunftsland die Todesstrafe, Folter oder willkürliche Gewalt drohen.


Doch massenhafte Abschiebungen von hunderttausenden Menschen nach Syrien übersteigt bei weitem die Möglichkeiten der Behörden. Und Fachleute warnen außerdem von den Folgen. Überdurchschnittlich viele Syrerinnen und Syrer – etwa 62 Prozent – arbeiten dem Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge in systemrelevanten Berufen, dazu zählen Branchen wie Verkehr und Logistik, das Handwerk und der Gesundheitssektor. Der Bundesärztekammer zufolge arbeiten etwa mehr als 7000 syrische Medizinerinnen und Mediziner in Deutschland, es ist die größte ausländische Gruppe. Oft seien sie in strukturschwachen Regionen tätig, wo Ersatz besonders schwer zu finden ist. Insofern reiht sich der interne Streit in der Union, der trotzig in aller Öffentlichkeit ausgetragen wird, in diverse Kommunikations- Desaster wie etwa die Stadtbild-Debatte ein.

Wo es dann erbärmlich wird
Die knapp 2000 in Pakistan gestrandeten Afghanen senden eine verzweifelte Bitte an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und die gesamte Bundesregierung, sie nicht den Taliban auszuliefern. „Wir wollten und mussten der Taliban-Herrschaft entkommen, um zu überleben“, heißt es in dem Brief. „Wir können nicht zurück nach Afghanistan. Diese Rückkehr würde für viele von uns brutal und gewaltsam enden.“ Eindringlich bitten die Geflüchteten den Kanzler darum, „diese schwierige Situation in einer Art zu lösen, dass wir nicht in Lebensgefahr geraten und diese verzweifelte Situation endet.“
In dem Brief wird die große Angst der Geflüchteten vor einer erzwungenen Rückkehr deutlich. „Unter uns sind Mütter, deren Kinder vor Angst zittern, wenn nachts jemand an die Tür klopft. Väter, die in den Gefängnissen der Taliban gefoltert wurden.“ Dennoch müssten sie gerade schmerzhaft lernen, dass die neue Bundesregierung Deutschlands auf immer neuen Wegen versuche, „den versprochenen Prozess zu beenden“, auch wenn „dadurch unser Leben in akute Gefahr von Tod und Gewalt gerät“. Die Geflüchteten hatten heikle Jobs bei Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan übernommen, dem Militär oder westlichen Regierungen dort geholfen oder sich als Richter oder Menschenrechtsaktivisten mit den Taliban angelegt. Und sie waren nach der Machtübernahme durch die islamistische Terrorgruppe im August 2021 in Gefahr. Deutschland hatte ihnen wegen individueller Gefährdung nicht nur Aufnahmezusagen geschickt, sondern sie auch aufgefordert, ihr Land in Richtung Pakistan zu verlassen, um von dort aus nach Deutschland zu kommen. Besonders trifft die Geflüchteten offenkundig, nun von einem Land im Stich gelassen zu werden, von dem sie das nie erwartet hätten. „Viele von uns haben mit Deutschland zusammengearbeitet. Wir waren wichtige Verbündete, Kameraden, Mitstreiter und Freunde. Deutschland steht für uns symbolisch für Menschlichkeit, Worttreue und für Aufrichtigkeit.“ Der eindringliche Brief macht ein absolut unwürdiges Verhalten sichtbar. Dass Menschen, die einst in Afghanistan mutig für Frauenrechte, Demokratie oder Recht und Gesetz einstanden, den deutschen Kanzler Friedrich Merz an Recht und Gesetz sowie Menschlichkeit und Aufrichtigkeit erinnern müssen, dürfte selbst für Hardliner unter Asylpolitikern beschämend sein. Und alles nur, weil Merz seine fehlgeleitete AfD-Politik macht.