Manche markigen Sprüche sind das Pulver nicht wert, das man damit verschießt. Etwa der Satz von Markus Söder, der kurz nach der Bundestagswahl im Februar sagte, die damals erst noch angestrebte Regierung aus Union und SPD sei „die letzte Patrone der Demokratie“. Nun ja, Söder macht da rauflustig auf Rauchende Colts, aber sein Sprachbild ist schräg. Denn in diesem Spruch ist ja das Scheitern schon angelegt. Wenn jemand nur noch eine Patrone im Colt hat, ist es halt schlecht um ihn bestellt. Folglich wird sich jetzt auch niemand wundern, wenn es derzeit um die Regierungskoalition schlecht bestellt ist. Ähnlich verhält es sich mit dem kürzlich von Kanzler Friedrich Merz formulierten Spruch, der da lautete: „Wenn wir gemeinsam erfolgreich regieren, dann wird es keine sogenannte Alternative für Deutschland mehr brauchen.“ Das bedeutet ja im Umkehrschluss, dass es die AfD braucht, wenn die Koalition NICHT „gemeinsam gut regiert“. Und so sieht es im Moment ja aus. Denn in der Regierungskoalition hapert es gewaltig. Und dies nicht einmal nur, weil Union und SPD so grundsätzlich verschiedene politische Ansichten haben. Sondern noch mehr, weil innerhalb der SPD, aber vor allem innerhalb der Union ständig einzelne Parlamentarier die „gemeinsame“ Linie verlassen. Denn bei lediglich zwölf Stimmen für eine Regierungsmehrheit bei Abstimmungen im Bundestag ist da schnell die letzte Patrone verschossen.
Ein Beispiel: Die sogenannte Junge Gruppe in der Unionsfraktion lehnt die Rentenreform der Regierung ab und tut dies lautstark und oft kund. Diese Jugendfraktion hat 18 Mitglieder, sechs mehr, als die Mehrheit von Schwarz-Rot zählt. Nimmt man außerdem an, dass auch in der SPD-Fraktion etliche Jüngere sitzen, die von der Politik ihrer Parteichefin Bärbel Bas nicht sehr überzeugt sind, lässt sich eine Koalitionskrise über das Thema Rente durchaus vorstellen.
Das Dilemma mit der Jungen Union
Der Streit über die Rentenpolitik ist einer, der zur Abwechslung nicht zwischen den Parteien, sondern innerhalb der Union geführt wird. Es ist quasi eine Merz-Krise. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union hat Friedrich Merz die großen Erwartungen der JU hat der Kanzler gewaltig enttäuscht. Mit seiner Haltung in der Rentendebatte hat er ausgerechnet die CDU-Vereinigung in Rage gebracht, die ihn auf seinem Weg zurück in die Politik mit großem Einsatz unterstützt hatte. „Friedrich Merz konnte sich immer auf die Junge Union verlassen – und jetzt, in dieser Frage, verlässt sich die Junge Union Deutschlands auf Friedrich Merz“, hatte JU-Chef Johannes Winkel zum Auftakt des Deutschlandtags gesagt. Aber Merz hat dann gezeigt, dass sich die JU nicht auf ihn verlassen kann. Die Junge Union ist seitdem auf der Palme. Es folgt eine Ansage, die an Klarheit kaum zu überbieten ist. Das vom Kabinett gebilligte Rentenpaket sei im Bundestag „in seiner jetzigen Ausgestaltung nicht zustimmungsfähig“, heißt es in einem Beschluss der Jungen Gruppe der Unionsfraktion. 18 Mitglieder zählt diese, ohne ihre Stimmen hat die Koalition keine Mehrheit.
Seit Monaten hatten die Jungen in der Union darauf hingewiesen, dass ihrer Ansicht nach der Rentengesetzentwurf der Sozialdemokratin Bärbel Bas über den Koalitionsvertrag hinausgeht. Und dass es dabei um enorme Mehrkosten von 115 Milliarden Euro gehe. Die Jungen haben ihren Ärger darüber erst intern, dann in aller Deutlichkeit auch öffentlich kundgetan. Und dann das, ungebremst im Vorfeld: Dieser Deutschlandtag der JU wird in der Union noch lange nachwirken. Ein ganzer Saal, der nach Ansprache von Merz einfach schweigt. Hunderte Delegierte, aber kein Applaus. Nur dröhnende Stille. Und das, obwohl die Junge Union Merz auf dessen langem Weg an die Spitze von Partei und Kanzleramt immer mit großem Einsatz unterstützt hatte. Nicht nur die Regierung Merz ist ausweislich aller Umfragen in einer veritablen Vertrauenskrise. Auch in der Union schwindet das Vertrauen in den Kanzler.
Es war Markus Söder, der am Tag nach dem Merz-Auftritt versucht hat, wenigstens die größten Verwerfungen zu glätten. Söders Auftritt auf dem Deutschlandtag wurde gefeiert. Denn er gestand ein, dass in dem Regierungsgesetzentwurf „ein bisschen mehr drin“ stehe als im Koalitionsvertrag. Und dass die JU „gute Argumente“ habe. Man werde deshalb „sicher noch mal reden müssen“. Ein „reines SPD-Basta von der Seite“ gehe nicht.
Die SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas warnte prompt die Union (also auch Söder und dessen letzte Patrone) davor, das Rentenpaket scheitern zu lassen. Warum solle die SPD dann ihrerseits andere in der Koalition vereinbarte Vorhaben mittragen, fragte Bas und nannte als Beispiel die Grundsicherung, die das Bürgergeld ablösen soll. Auch diese Reform sei „ein schwieriges Thema“ für die SPD. Und fügte an: „Wer gerade die Koalition gefährdet, sitzt in der Union“, sagte Bas.
Die Fettnäpfchen des Kanzlers Merz
Der Kanzler hatte versprochen, dass die Bürger schon im Sommer erste Veränderungen spüren würden und ein Herbst der Reformen folgen würde. War aber eher nicht so. Sowieso ist das sogenannte „Erwartungsmanagement“ des Kanzlers immer öfter ein Problem. Merz verspricht oft viel zu schnell viel zu viel. Beispiel: Merz hat als Oppositionschef, aber dann auch als Kanzler noch behauptet, durch die Umstrukturierung des Bürgergeld ließen sich kurzfristig mindestens fünf Milliarden im Haushalt einsparen. Konkrete Berechnungen ergaben dann aber später, dass es höchstens mal ein Milliönchen wäre und mittelfristig sogar umgekehrt das neue System mehr Geld kostet als das bisherige. Und zwar deshalb, weil trotz allem Druck der größte Teil der Bürgergeldbezieher nicht in Arbeit gebracht werden kann, weil die Betriebe zwar händeringend Fachkräfte suchen, die meisten Bürgergeldbezieher aber ungelernte Kräfte sind, die keine Stelle kriegen werden.
Es war Friedrich Merz, der Angela Merkel einmal vorgeworfen hat, das Erscheinungsbild ihrer Regierung sei „grottenschlecht“. Und es war ebenfalls dieser Friedrich Merz, der Olaf Scholz den Satz entgegen geschleudert hat: „Sie können es nicht.“ Scholz sei ein „Klempner der Macht“, der sein Handwerk nicht beherrsche. Wer andere derart harsch kritisiert, sollte sein eigenes Handwerk beherrschen. Merz tut das aber offensichtlich nicht.
Beinahe im Wochentakt geht etwas schief. Zuletzt der Umgang mit den (menschlichen und verständlichen) Syrien-Äußerungen des Außenministers und die Stadtbild-Debatte, die Merz spontan, angreifbar unpräzise und ohne Strategie losgetreten hatte. Und jetzt das Fiasko auf dem Deutschlandtag der Jungen Union
Etwa die Hälfte der Wähler rechnet einer Umfrage zufolge damit, dass die Regierung Merz-Klingbeil vorzeitig auseinander fliegen wird. Aber anders als in der Ampel-Regierung Scholz-Habeck-Lindner, in der der Kanzler und sein Finanzminister im auch persönlichen Streit den Bruch herbeiführten, dürfte die Gefahr dieses Mal nicht von den Führungskräften ausgehen, sondern von jenen Abgeordneten am linken und rechten Rand, die kulturell und intellektuell mit der anderen Seite fremdeln – und sich selbst für extrem wichtig erachten. Aber auch an der Führungsschwäche von Kanzler Friedrich Merz.
Was soll das ganze Gedöhns?
Es gibt eine Lehre aus dem Scheitern von Kamala Harris in den USA, die sich die deutsche Mitte vergegenwärtigen sollte: Es reicht nicht, einen heroischen Wahlkampf zur Verteidigung der Demokratie zu führen. Was dort die Mehrheit an Leuten erst mal verteidigt sehen wollte, war ihr Geldbeutel. Auch in Deutschland haben viele Menschen die Überzeugung verloren, dass Leistung belohnt wird. Da reicht es nicht, die „letzte Patrone“ zu beschwören. Zumal es auch anmaßend ist, sich selbst so zu zeichnen, dass hinterher nur noch das Scheitern kommt. Man müsste mal runterkommen von diesem Selbstbild. Die Demokratie, das sind die Wähler. Die haben keine „Patrone“ im Colt, aber eine Stimme. Und es muss ja nicht immer nur die AfD sein, sondern wer weiß, wer von den Wählern beauftragt wird?

